Das Leben des Antonio Filarete, Benozzo Gozzoli, Vittore Carpaccio und weiterer Künstler. Giorgio Vasari
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Einleitung zum Leben der Florentiner Antonio Filarete und des Bildhauers Simone
Bereits zu Beginn der Vita fällt Vasari ein vernichtendes Urteil über das Werk des Florentiner Bildhauers, Architekten und Theoretikers Antonio Averlino, genannt Filarete (* um 1400 Florenz – † um 1469 Rom?): Die Bronzetür für Sankt Peter in Rom – eines der Hauptwerke des Künstlers – sei laut Vasari in einem »unglückseligen Stil« ausgeführt (»sciaurata maniera«) worden. Ihr Auftraggeber, Papst Eugen IV., dem Vasari hier jegliches Vermögen abspricht, Kunst zu beurteilen, hätte besser nach einem Künstler vom Rang eines Filippo Brunelleschi, Donatello oder anderer herrlicher Bildhauer für ihre Anfertigung suchen sollen, dann wäre ihr Stil zweifellos besser ausgefallen. Weiterhin kritisiert Vasari mit harten Worten Filaretes Architekturtraktat und nennt es gar ein »lächerliches« und »albernes« Werk (»ridicola e tanto sciocca«), das nicht einmal in geordneter Form genügend Informationen über zeitgenössische Künstler und ihre Werke präsentiere. Damit will Vasari freilich einmal mehr seine eigene Leistung als Künstlerbiograph hervorheben. Auffällig ist zudem, daß Vasari an keiner Stelle der Vita schreibt, Filarete habe mit seinen Werken die Kunst vorangebracht. Dies ist aber eines der Leitmotive im Fortschrittsmodell der Vite. Auch beim Ospedale Maggiore in Mailand, das Vasari immerhin eingehend beschreibt und lobt, wird dessen wegweisende Vorbildfunktion für später entstandene Spitalbauten nicht ausreichend gewürdigt. Daß der Bau wegen seiner Orientierung an der Florentiner Frührenaissance einen Wendepunkt in der lombardischen Architektur des 15. Jahrhunderts markiert, wird von Vasari ebenfalls nicht erwähnt.
Vasaris niederschmetterndes Urteil hat die Rezeption Filaretes – vornehmlich seiner Bronzetür und seines Architekturtraktats – bis in das 20. Jahrhundert hinein wesentlich beeinflußt. Erst in den letzten Jahrzehnten wurden beispielsweise die Bronzetür für Sankt Peter, deren Formeneklektizismus vielfach Irritationen auslöste, für ihre antiquarische Gelehrsamkeit gewürdigt.1 Filarete habe sich bei der Ausführung der Bronzetür bewußt unterschiedlicher Bildmodi bedient und bei den Martyriumsszenen auf eine perspektivische Darstellung verzichtet, da der Antike diese frühneuzeitliche Darstellungsform fremd gewesen sei. Neben Filaretes Architekturtraktat, das im Gegensatz zu Leon Battista Albertis epochalem Werk De re aedificatoria ungeordnet erscheint und – für ein Traktat ungewöhnlich – in Form eines utopischen Romans verfaßt ist, dürfte es vor allem der Formeneklektizismus der Bronzetür gewesen sein, der zu Vasaris harscher Kritik an dem Künstler führte. Daß der Aretiner gleich zu Beginn Brunelleschi und Donatello als beipielhafte Künstler erwähnt, ist bezeichnend, denn sie sind es, an denen die Werke Filaretes letztlich gemessen werden. Auch Lorenzo Ghiberti, dessen Bronzetüren für das Florentiner Baptisterium Vasari in der zweiten Ausgabe der Vita im Zusammenhang mit der Tür für Sankt Peter erwähnt, wird Filarete gegenübergestellt. Alle drei, vor allem aber Brunelleschi und Donatello, zählen im zweiten Teil der Vite zu den die anderen Künstler überragenden Bildhauern und Architekten, denen es zu verdanken sei, daß sich die Künste auf entscheidende Weise fortentwickeln konnten. Sie waren es, die mit ihren innovativen Schöpfungen das Fundament für die Künstler der terza età legten, denn ihre Werke waren nicht nur an der Antike orientiert, sondern wiesen auch eine meisterhafte Naturnachahmung auf, waren voller Erfindungskraft und nach den Regeln der Perspektive aufgebaut. Der Vergleich mit Vasaris Bewertung Brunelleschis und Donatellos legt offen, wieso der Aretiner kein Verständnis für Filaretes Werke aufbringen konnte und zweifellos auch nicht wollte: Sie entsprachen einfach nicht seinem künstlerischen Ideal.2
Wie im Titel bereits anklingt, behandelt Vasari in der Vita nicht nur Leben und Werk Filaretes, sondern geht auch auf einen gewissen Simone ein, der Donatellos Bruder gewesen sein soll und angeblich mit Filarete unter anderem die Bronzetür für Sankt Peter ausführte. Die Identität Simones ist umstritten, da nicht belegt ist, daß Donatello tatsächlich einen Bruder hatte, und da Filarete weder in seinem Relief an der Bronzetür, in dem er seine Mitarbeiter aufführt, noch in seinem Architekturtraktat einen Künstler namens Simone erwähnt. Immer wieder wurde versucht, verschiedene zeitgenössische Künstler, die den Namen Simone trugen, mit Vasaris Schilderungen in Verbindung zu bringen, unter ihnen zwei Goldschmiedemeister namens Simone di Giovanni Ghini. Doch bleibt die Identität des von Vasari genannten Künstlers auch weiterhin fraglich. Die Werke, die Vasari ihm in der Vita zuschreibt, werden heute anderen Künstlern zugeordnet oder ihre Urheber konnten nicht identifiziert werden.
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DAS LEBEN DER FLORENTINER ANTONIO FILARETE UND DES BILDHAUERS SIMONE
Vita d’Antonio Filarete e di Simone Scultore. Fiorentini (1568)
Hätte Papst Eugen IV.1 bei seinem Entschluß, das Portal von Sankt Peter in Rom in Bronze ausführen zu lassen, darauf geachtet, vortreffliche Männer für diese Arbeit zu finden, was ihm zu seiner Zeit ein leichtes gewesen wäre, weil damals Filippo di Ser Brunelleschi,2 Donatello3 und weitere außerordentliche Künstler lebten, dann wäre dieses Werk nicht auf die unselige Weise ausgeführt worden, in der es sich uns heute darbietet. Aber vielleicht war es bei ihm nicht anders als bei den meisten Fürsten, die entweder nichts von Kunstwerken verstehen oder sehr wenig Vergnügen an ihnen finden. Wüßten sie aber, wie wichtig es ist, bei öffentlichen Werken vortrefflichen Personen den Vorzug zu geben, weil hieraus Ruhm für einen selbst erwächst, würden ganz sicher weder sie noch ihre Verwalter derart nachlässig handeln. Wer sich nämlich mit zweitklassigen und inkompetenten Künstlern einläßt, sorgt für kurze Dauer von Werken und Ruhm, ganz zu schweigen von dem Schaden, der dem Gemeinwohl zugefügt wird und dem Jahrhundert, in dem man geboren ist; sind die nachfolgenden Generationen doch fest davon überzeugt, daß jener Fürst, wären in jener Epoche bessere Meister zu finden gewesen, ganz sicher auf die Dienste jener zurückgegriffen hätte und nicht auf die von Taugenichtsen aus dem gemeinen Volk.4 Nachdem er also 1431 zum Pontifex ernannt worden war und dann hörte, daß die Florentiner die Türen an San Giovanni von Lorenzo Ghiberti5 ausführen ließen, kam Papst Eugen IV. auf den Gedanken, auch an Sankt Peter eine aus Bronze schaffen zu wollen. Weil er von solchen Dingen aber nichts verstand, überließ er die Angelegenheit seinen Verwaltern, bei denen der damals noch junge Antonio Filarete6 und Donatellos Bruder Simone,7 beide Bildhauer aus Florenz, so hoch in der Gunst standen, daß ihnen jenes Werk übertragen wurde.8 Sie legten folglich Hand an und plagten sich dann zwölf Jahre lang mit der Fertigstellung. Und obwohl Papst Eugen aus Rom fliehen mußte und durch die Konzile arg in Bedrängnis geriet, sorgten jene, denen die Aufsicht über Sankt Peter oblag, dafür, daß dieses Werk nicht aufgegeben wurde. Filarete schuf in diesem Werk eine schlichte Einteilung im Flachrelief und führte in jedem Segment zwei aufrecht stehende Figuren aus: oben den Erlöser und die Madonna, darunter die Heiligen Petrus und Paulus und zu Füßen des Heiligen Petrus jenen naturgetreu porträtierten Papst auf Knien. Außerdem findet sich unter jeder Figur eine kleine Episode mit dem darüber abgebildeten Heiligen – unter dem Heiligen Petrus seine Kreuzigung und unter Paulus die Enthauptung, und genauso unter dem Erlöser und der Madonna einige Begebenheiten aus ihrem Leben. Einem Einfall folgend, schuf Antonio auf der Innenseite zu Füßen besagter Tür eine kleine Szene in Bronze, in der er sich selbst, Simone und seine Schüler porträtierte, wie sie zu einem Weinberg spazieren und einen mit Leckereien vollbeladenen Esel mitführen.9 Allerdings haben sie in dem genannten Zeitraum von zwölf Jahren nicht ständig an dieser Tür gearbeitet und auch in Sankt Peter einige Grabmäler aus Marmor von Päpsten und Kardinälen geschaffen, die beim Neubau der Kirche zugrunde gegangen sind.10 Im Anschluß an diese Werke wurde Antonio von Herzog Francesco Sforza,11 damals Gonfaloniere der Heiligen Kirche, nach Mailand geholt, weil dieser Werke von ihm in Rom gesehen hatte und nach seinem Entwurf das Armenhaus errichten wollte, was er dann auch tat, bei dem es sich um ein Spital für kranke Männer und Frauen und für die unschuldigen, unehelich geborenen