Schaurige Orte in der Schweiz. Christof Gasser

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Schaurige Orte in der Schweiz - Christof Gasser

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Bäumen.

      Mit zitternden Beinen steigt Steffen wieder auf sein rotes Rennrad. Der Lenker ist nicht mehr ganz gerade, das Fahren geht aber einigermaßen. Er wählt den kleinsten Gang, fährt nun ganz langsam aufwärts, nimmt Kehre um Kehre, fast in Zeitlupe geht es an den Leitplanken entlang. Ich verstehe dich, Graf de Renesse, denkt Steffen, der wollte mit diesem Tal hier unten nichts zu tun haben. Das Hotel dreht dem Pass und dem Bergell den Rücken zu, schaut auf den See hinaus, auf die großen Wiesen. Ein Golfplatz sollte die Gäste anlocken und Bootsfahrten auf dem Silsersee würden die Herzen erfreuen.

      Das Hotel müsste etwas für Verliebte sein, denkt er, etwas für Karin und mich. Die Ohrfeige, das möchte er ihr gleich morgen sagen, die war nicht gerechtfertigt. Natürlich hätte er sie nicht in diesen Putzraum hineindrängen sollen, ihr an den Hintern greifen und versuchen, den engen Rock hochzuziehen. Irgendwie war es ein Notfall. Ein nicht mehr zu kontrollierender Drang nach Nähe, nach Befriedigung. Und dann diese Klatsche. Sie schob ihn zur Seite, ordnete ihre Kleider und war weg, bevor er sich erklären konnte. Er will das nachholen. Wird ihr sagen, dass er an jenem Morgen den Anruf bekommen hatte wegen Lisa und Lara. Der Wagen ausgebrannt. Ein stinkendes Gerippe. Und von seinen beiden Liebsten blieb nur verkohltes Material übrig. Das alles musste er Karin sagen, wenn er morgen zur Arbeit kam.

      Für Leute, wie er selbst einer war, wollte Steffen Träume wahr werden lassen. Die Ideen des Grafen weiterdenken. Es gab diese Geschichte vom Speisesaal, den er unter Wasser gesetzt haben soll, damit die Gäste mit Gondeln zum Buffet fahren konnten. Irgend so etwas sollte doch möglich sein. Der direkte Seeanschluss mittels eines Kanals steht auch ganz oben auf seiner Wunschliste. Ein Haus, in dem Träume wahr werden, so etwas schwebte ihm vor. Illusionen wecken, die Gäste erlösen, wie er sich selber erlösen muss aus diesem Albtraum. Neue Bilder an die Stelle der alten setzen.

      Lisa, Lara, Lisa, Lara. Tränen laufen Steffen über das Gesicht. Er wollte doch nicht weggehen, wollte sie beschützen, doch das war nicht mehr möglich. Und so ging alles in Flammen auf, er hätte es verhindern können, denkt er, wenn er dabei gewesen wäre, wäre das nicht passiert.

      Wie der Graf musste auch er Träume erfüllen, Glück bringen, Schuld tilgen. Doch was hatte es Camille gebracht? Ich darf dich doch so nennen, fragt er, als schon der Turm Belvedere oben am Pass sichtbar wird, den der Graf als persönliche Residenz gebaut hatte. Um sich gegen das Bergell und die Geister zu schützen, denkt Steffen, eine Burg, die das Böse abwenden soll. Auch das war ein Traum, den Renesse nicht realisieren konnte.

      Steffen spürt, wie das Dunkle den Pass hinaufkriecht und ihm auf den Fersen bleibt, lauert, um zuschlagen zu können, wenn er eine Schwäche zeigt. All die verschütteten Menschen, die verbrannten Hexen und der enthauptete Heilige, sie sind hinter ihm her, und plötzlich weiß er, dass ihm nur der Turm des Grafen Sicherheit geben kann. Diese Gewissheit gibt ihm Kraft, hilft ihm, die Straße zu meistern und den Kulminationspunkt des Passes zu erreichen, bevor ihn die Welle von Blut, die die Straße heraufschwappt, einholt und wegschwemmt.

      Von Gregor keine Spur. Das ist Steffen nur recht. Er fährt hinüber zum Turm Belvedere, lehnt sein Rennrad gegen die Mauer und nimmt die Champagnerflasche, die neben dem Eingang steht.

      »Danke, Camille«, sagt er und steigt langsam die Treppe zum obersten Stockwerk hinauf.

      *

      Der belgische Graf, sagt man, habe sich im Champagnerrausch vom Turm Belvedere oben am Pass ins Bergell gestürzt, in den Tod. Andere Quellen berichten, dass er 1904 in Nizza gestorben sei, wo er christliche Literatur verfasst haben soll. Das ist fast zu wenig dramatisch.

      Steffen Schmidt, unser ehemaliger Eventmanager, muss die Geschichte gekannt haben. Möglicherweise wollte er, weil er seiner Aufgabe nicht gewachsen war, dem Grafen nachfolgen. Bei seinem Sturz in die Tiefe erlitt er schwere Verletzungen, die nun in einer Zürcher Privatklinik behandelt werden und, wie man hört, nur langsam ausheilen. Was an seelischen Narben zurückbleibt, kann niemand sagen. Den Stresstest, den ich mit ihm durchgeführt habe, hat er jedenfalls nicht bestanden. Als sein Vertrauter und engster Mitarbeiter bin ich selbstverständlich bereit, all seine Funktionen zu übernehmen.

      Ach ja, noch etwas: Karin und ich werden bald heiraten, meinen Antrag hat sie schon angenommen.

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