Verschwundene Reiche. Norman Davies

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Verschwundene Reiche - Norman Davies

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Dolmetschers Gotisch mit ausländischen Gesandten. Die arianischen Gottesdienste in seiner königlichen Kapelle wurden ebenfalls in gotischer Sprache gehalten. Allmählich dehnte er seine Herrschaft über die ganze Iberische Halbinsel aus. Der Codex Euricianus von 471 war der erste Versuch einer schriftlichen Zusammenfassung germanischer Gewohnheitsrechte in der nachrömischen Welt.15 Das war ein Zeichen politischer Reife. Im Jahr 476 überredete Eurich den vorletzten Kaiser des Westens, Julius Nepos, die nur noch nominelle römische Oberherrschaft über das Territorium der Westgoten aufzugeben. Bereits vor seinem Tode war das Römische Reich im Westen völlig in sich zusammengebrochen. Das Tolosanische Reich blieb verwaist als souveräner Staat zurück.

      Die Forschung hat die Entwicklung des westgotischen Königtums im 5. Jahrhundert genau nachgezeichnet. In der ersten Phase gab es vor allem die Tendenz, alle Formen römischer Rechtspraxis und lateinischer Titel nachzuahmen. In der mittleren Phase sahen die Reges Gothorum sich schon als etwas Besseres, nicht mehr nur als reine foederati. Und in der letzten Phase, als Nachfolger des Reiches, agierten sie auf Augenhöhe mit dem Kaiser. Während eben dieser Entwicklung verlor die Oberschicht der westgotischen Gesellschaft, die optimates, über die Jahrzehnte hinweg allmählich an Einfluss. In der germanischen Tradition waren alle Krieger gleich gewesen – die nachrömische Monarchie dagegen betonte die Hierarchie und die Königswürde.16

      Der fränkische Chronist Gregor von Tours (534–594) hat Eurich das Etikett eines Katholikenverfolgers angehängt, aber diese Unterstellung ist ungerecht. Ein paar unliebsame Geistliche wie Bischof Quinctianus von Civitas Rutenorum (Rodez) wurden ins Exil geschickt, aber es geschah nichts, was an die brutalen Verfolgungen heranreichte, die die arianischen Vandalen in Nordafrika in Gang setzten.17

      Kurz nach dem Tod Eurichs und des letzten westlichen Kaisers Romulus Augustulus akzeptierte der Ostgote Theoderich, der sich auch Flavius Theodoricus nannte, den byzantinischen Befehl, auf Italien zu marschieren und das Kaisertum wiederherzustellen. Im Jahr 488 überquerte er deshalb die Alpen mit einem riesigen Heer, zerstreute die Verteidiger der nachrömischen Ordnung in alle Winde und tötete ihren Anführer Odoaker nach einer dreijährigen Belagerung Ravennas eigenhändig. Mit Hilfe seiner westgotischen Verwandten überrannte er dann die italienische Halbinsel von einem Ende bis zum anderen und nahm den Titel eines »Vizekaisers« an. Gestützt auf die militärische und kulturelle Macht von Byzanz und deren große Kriegsmarine, drohte sein ostgotisches Königreich mit der Hauptstadt Ravenna bald seine Nachbarn und Rivalen zu überragen. Neben dem westgotischen Tolosanischen Reich grenzte es an das (zweite) Reich der Burgunder, das gerade im Rhônetal entstanden war (siehe S. 119.).18

      Eurichs Sohn Alarich II., der als Junge im Jahr 484 den Thron bestiegen hatte, war der Achte in der Königslinie. Er verwandte viel Energie darauf, Nachbarn und Untertanen gleichermaßen für sich zu gewinnen. Seine größte Leistung bestand in der Vorbereitung des berühmten Breviarum Alarici, einer überaus gelungenen Kompilation des römischen Rechts. Dieses Werk, das Gesetze nicht nur sammelte, sondern auch auslegte, wurde von einem Komitee aus Adligen und Geistlichen gebilligt, bevor es 506 in Kraft trat. Es sollte zu einem Standardtext im ganzen nachrömischen Gallien bis ins 11. Jahrhundert hinein werden.19 Darüber hinaus umwarb Alarich die Ostgoten. Er heiratete Theoderichs Tochter und zeugte mit ihr einen kleinen Sohn, was die Aussicht auf ein riesiges pangotisches Bündnis eröffnete.

      Dann allerdings tauchte Alarichs Nemesis in Gestalt Chlodwigs auf, des Königs der germanischen Franken, der seit den 480er-Jahren begonnen hatte, sein Reich vom Rheinland aus nach Gallien hinein auszudehnen und schon fleißig dabei war, die Burgunder zu schwächen. Chlodwig war ein frisch bekehrter Katholik mit grenzenlosem Ehrgeiz und der Herrscher, der sich von einer Vereinigung der Goten wohl am stärksten bedroht fühlte.20 Im Jahr 497 hatte er sich mit den Bretonen – von den Angelsachsen aus Britannien vertriebene Briten, die sich in der späteren »Bretagne« niederließen (A.d.Ü.) – an der Westküste Aquitaniens zusammengeschlossen, wo die Hafenstadt Burdigala (Bordeaux) kurz besetzt wurde. Kurz darauf feierte er einen überwältigenden Sieg über seine östlichen Nachbarn, die Alemannen, und konnte sich jetzt mit voller Aufmerksamkeit dem Süden zuwenden. Alarichs Instinkt sagte ihm, dass er einer Konfrontation aus dem Weg gehen sollte. Einmal hatte er einen fränkischen Flüchtling namens Syagrius ausgeliefert, der es gewagt hatte, Chlodwig herauszufordern. Gregor von Tours berichtet, dass der Westgote darauf bestand, nach Ambaciensis (Amboise) zu reisen, wo er Chlodwig zu einem Gespräch auf einer Loire-Insel traf:

       Igitur Alaricus rex Gothorum cum viderit, Chlodovechum regem gentes assiduae debellare, legatus ad eum dirigit, dicens: »Si frater meus vellit, insederat animo, ut nos Deo propitio pariter videremus…«

      Als nun Alarich der Gotenkönig sah, dass König Chlodwig ohne Unterlass die Völker bekriegte und sich unterwarf, schickte er Gesandte an ihn und sprach: »Wenn es meinem Bruder beliebt, so wäre es der Wunsch meines Herzens, dass wir uns einmal sehen, so Gott will.« Chlodwig aber wies dies nicht zurück und kam zu ihm. Sie … sprachen, aßen und tranken miteinander … und schieden dann in Frieden.21

      Wie sich herausstellte, ließ Chlodwig sich nicht so leicht besänftigen. Er war seit Kurzem durch Eheschließung mit den Burgundern liiert und außerdem mit dem byzantinischen Kaiser verbündet, der ihm den Titel eines Reichskonsuls übertragen hatte, und er wollte seinen Rivalen zuvorkommen. Gemeinsam beschloss man einen Feldzug ins Reich der Westgoten. Die Byzantiner sollten vor der Südküste patrouillieren, die Franken von Norden her einmarschieren. Ein Verhandlungsangebot des Ostgoten Theoderich wurde abgelehnt. Im Frühling des Jahres 507 erstrahlte ein »lodernder Meteor« am Nachthimmel:

      Igitur Chlodovechus rex ait suis: »Valde molestum fero, quod hi Ariani partem teneant Galliarum …«

      König Chlodwig sprach daher so zu seinen Kriegern: »Es schmerzt mich, dass diese Arianer einen so großen Teil Galliens besitzen. Lasst uns mit Gottes Hilfe einmarschieren und lasst sie unsere Macht spüren …« So zog das Heer weg [von Tours] in Richtung Poitiers … Als die Franken den Fluss Vigenna [die Vienne] erreichten, der durch Regen angeschwollen war, wussten sie nicht, wie sie übersetzen sollten, bis eine riesige Hirschkuh erschien und ihnen eine Furt durch den Fluss zeigte … Als der König sein Zelt auf einem Hügel nahe Poitiers aufschlug, sah er Rauch von der Kirche St. Hilaire aufsteigen und nahm dies als ein Zeichen, dass er über die Häretiker triumphieren werde. Es war alles für die schicksalhafte Schlacht vorbereitet: So griff Chlodwig Alarich den Gotenkönig auf der Ebene von Vouillé [in campo Vogladense] an, drei Wegstunden von der Stadt entfernt. Wie es ihr Brauch war, täuschten die Goten eine Flucht vor. Doch Chlodwig tötete Alarich von eigener Hand und entkam selbst [einem Hinterhalt] dank der Stärke seines Brustpanzers und der Schnelligkeit seines Pferdes.22

      Das Ergebnis war also eindeutig (und die Vouglaisiens haben hier einen positiven Beweis für die Herkunft ihres Namens). Binnen weniger Stunden war die Macht der Westgoten in Gallien gebrochen. Und die Franken machten weiter Druck: Manche von ihnen ritten über das Zentralmassiv, um Landstriche bis hin zur Grenze Burgunds zu erobern. Chlodwig marschierte nach Burdigala, wo er überwinterte, bevor er im folgenden Frühling Tolosa plünderte. Ein Rest von Alarichs Heer leistete noch in Narbonne Widerstand, die meisten Westgoten jedoch zogen sich hinter die Pyrenäen zurück. Das gallische Kernland ihres Königreiches hatten sie aufgegeben. Von dieser Zeit an herrschten die Westgoten nur noch auf der Iberischen Halbinsel, wo sie ihre Macht bis zur Ankunft der Mauren zwei Jahrhunderte später bewahren konnten.

      Für den fränkischen Sieg gibt es die verschiedensten Erklärungen. Die Version der Sieger, die Gregor von Tours verbreitete, betonte die helfende Hand eines katholischen Gottes. Selbst Edward Gibbon hob die Bedeutung der Religion hervor und schrieb dem gallo-römischen Adel fantasievoll die Rolle einer katholischen fünften Kolonne zu. Seine Interpretation wird heute angezweifelt.23 Auf sichererem Grund bewegt er sich dagegen, wenn er vom unbeständigen Kriegsglück schreibt: »So beschaffen ist die Macht der Fortuna – wollten wir weiterhin unser Nichtwissen unter diesem populären Namen verbergen –«, so Gibbon hochtrabend, »dass es fast genauso schwierig ist, die

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