Verschwundene Reiche. Norman Davies
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Theoderich I. (reg. 419–451) war mit zahlreichen Söhnen und Töchtern gesegnet und setzte sie ein, um ein ausgefeiltes Netzwerk dynastischer Allianzen aufzubauen. Vor allem aber blieb er bei zeitgenössischen Chronisten wie bei späteren Historikern wegen seines kühnen Einsatzes bei der Abwehr von Attilas Hunnen in Erinnerung. Er starb als treuer Verbündeter des kaiserlichen Generals Flavius Aëtius im Juni 451, als er seine Krieger in die blutige Schlacht auf den Katalaunischen FeldernC führte, die Gallien vor den furchtbaren Steppenreitem bewahrte.13 Drei seiner Söhne folgten ihm nacheinander auf dem Thron.
Nach Gibbon hatte Thorismund (reg. 451–453) eine Schlüsselrolle in der siegreichen Schlacht gespielt, in der sein Vater starb. Seine Truppen hatte er in Reserve auf den nahen Höhen gehalten, bis er schließlich von oben heranjagte und die Hunnen vom Felde trieb. Doch der Sieg brachte ihm wenig, wurde er doch von seinem Bruder Theoderich ermordet, bevor er seine Macht festigen konnte, angeblich weil er drohte, das Bündnis mit Rom aufzukündigen.
Theoderich II. (reg. 453–466) hat die historische Berichterstattung einerseits durch den schönen Namen seiner Ehefrau Königin Pedauco – was »Gänsefuß« bedeutet – bereichert und andererseits durch eine Beschreibung seiner Person aus der Feder eines Augenzeugen, wie es sie sonst für germanische Könige nicht gibt. Der lateinische Autor Sidonius Apollinaris (432–488) war Bischof von Arvernis und damit ein Untertan der Westgoten. In einem seiner erhaltenen Briefe kommt er der Bitte eines Freundes nach und beschreibt den König ausführlich:
Freilich ist es der Mann auch wert, … gekannt zu werden … Sein Körper ist gerade recht, er ist kein Riese von Gestalt, aber doch größer und stattlicher gewachsen als der Durchschnitt. Er hat einen wohlgerundeten Kopf, auf dem sein Lockenhaar von der glatten Stirn zurück auf den Hinterkopf reicht. Der Nacken sitzt nicht schlaff auf den Schultern, sondern steht kraftvoll empor. Buschige Augenbrauen bekrönen die beiden Bogen der Augen. Wenn er aber seine Augenlider senkt, dann reichen die Spitzen der Wimpern fast bis zur Wangenmitte. Ohren und Ohrläppchen werden entsprechend der Sitte seines Volkes von den zurückgekämmten Haaren bedeckt. Die Nase ist edel gekrümmt. Die Lippen sind schmal und werden durch keine Ausdehnung der Mundwinkel vergröbert. Die unterhalb der Nasenlöcher sprossenden Haare werden täglich abgeschnitten … der Bart, wenn er sich in der unteren Gesichtshälfte erhebt, [wird] ständig vom Barbier geschoren … Kinn, Kehle und der nicht fette, sondern kraftstrotzende Hals haben eine milchweiße Haut, die … von jugendlicher Röte übergossen wird; nicht Zorn, sondern ehrfürchtige Scheu bewirken nämlich häufig bei ihm diese Färbung. Die Schultern sind wohlgerundet, die Oberarme muskulös, die Unterarme kräftig, und breit die Hände; der Brustkorb wölbt sich über den zurücktretenden Bauch empor. Zwischen den Rippenbögen unterteilt ein schmales Rückgrat die Rückenpartie. Beide Hüften strotzen vor starken Muskeln. Im gegürteten Leib herrscht Lebenskraft. Fest wie Horn ist der Oberschenkel, der von Gelenk zu Gelenk voll männlicher Kraft erscheint. Seine Knie sind völlig frei von Falten und voller Schönheit. Die Unterschenkel stützen sich auf feste Waden, aber die Füße, die so mächtige Gliedmaßen tragen, sind dennoch zart.
… Vor Tagesbeginn sucht er mit einem ganz kleinen Gefolge die Gemeinschaft seiner Priester auf und betet mit großem Ernst … freilich … mehr aus Gewohnheit als aus Überzeugung … Der Rest des Morgens wird durch die Sorge um die Verwaltung des Reiches bestimmt. Neben dem Thronsessel steht der oberste Waffenträger. Die Schar der in Pelze gekleideten Gefolgsleute … bleibt … aus der unmittelbaren Umgebung verbannt … Unterdessen werden die Gesandten fremder Völker vorgelassen. Der König hört meistens zu, antwortet aber nur wenig … Wenn [eine Sache] rasch besorgt werden soll, treibt er dazu an. Die zweite Stunde ist da. Er erhebt sich vom Thron und hat nun Zeit, seine Schätze oder die Stallungen zu besichtigen.
Der Bischof, eindeutig ein Bewunderer, kommt nun richtig in Fahrt:
Auf der Jagd hält er es für unter seiner königlichen Würde, sich den Bogen umzuhängen. Wenn er … auf einen Vogel oder ein wildes Tier trifft, lässt er sich vom nachfolgenden Diener den Bogen reichen, dessen Saite oder Sehne lose herabhängt … Er fordert Dich vorher auf, das Ziel zu nennen. Du wählst aus, was er treffen soll, und was Du ausgewählt hast, trifft er. Und wenn schon einmal einer von beiden sich irrt, so irrt weniger oft der Schuss des Jägers als der Blick dessen, der das Ziel bestimmt hat.
Wenn man ihm zum Gastmahl folgt, das außer an Festtagen gerade so wie das eines privaten Hauses ist, dann gibt es hier keinen glanzlosen Haufen von verfärbtem altem Silber, den der keuchende Diener auf sich biegenden Tischen auftürmt. Das meiste Gewicht hat das Gespräch, da man bei dieser Gelegenheit entweder nichts oder aber Ernsthaftes redet. Die bequemen Sitzmöbel mit ihrem faltenreichen Überhang sind bald purpurfarben drapiert, bald mit weißem Linnen bespannt; die Speisen begeistern wegen der kunstvollen Art ihrer Zubereitung und nicht deswegen, weil sie an sich so wertvoll wären … Mit einem Wort, man sieht dort griechische Eleganz, gallische Überfülle und italische Spritzigkeit… und königliches Maßhalten … Nach dem Mahle fällt der Mittagsschlaf entweder ganz aus oder ist nur kurz. Zu den Stunden, in denen der König spielen möchte, greift er rasch zu den Würfeln. Er betrachtet sie genau, dreht sie gekonnt, wirft sofort, redet ihnen im Spaß gut zu und wartet geduldig. Bei guten Würfen schweigt er, bei schlechten lacht er … in jedem Fall zeigt er Gleichmut … Manchmal freilich, wenn auch selten, treten beim Abendmahl Schauspieler auf, doch so, dass kein Tischgenosse durch gallige und bissige Bemerkungen beleidigt wird. Man lässt dort weder Wasserorgeln erklingen noch einen Dirigenten ein Chorstück mit lauter Orchesterbegleitung zur Aufführung bringen. Dort macht kein Lautenspieler Musik, kein Flötenbläser, kein Tamburinmädchen und keine Gitarristin, da der König allein jener Musik zugetan ist, durch die Kraft in die Seele und Wohlklang ins Ohr dringen. Wenn er sich von der Tafel erhoben hat, zieht die Wache zuerst beim Schatzgewölbe auf … es [ist] an der Zeit, dass mein Griffel ein Ende finde, weil Du bloß über die Art und Persönlichkeit des Mannes erfahren wolltest, während ich beabsichtige, kein Geschichtswerk, sondern einen Brief zu schreiben. Lebewohl.14
Die Herrschaft Theoderichs II. litt unter den Wechselfällen der Reichspolitik. Im Jahr 455 besuchte Eparchius Avitus, der neu ernannte römische Befehlshaber in Gallien, Tolosa. Während seines Aufenthalts kam die Nachricht, dass Rom zum zweiten Mal geplündert worden sei, diesmal von den Vandalen, und Theoderich nutzte die Gelegenheit, um Avitus zum Kaiser auszurufen. Dann drang er zum ersten Mal auf die Iberische Halbinsel vor und rechtfertigte seine Eroberungen als Rückgewinnung von Reichsland. Seine Ansprüche überzeugten den nächsten Kaiser, Majorian, der von Gibbon als »ein großer und heldenhafter Charakter« beschrieben wird, überhaupt nicht, und wenigstens kurzfristig setzte er mit großer Energie in Gallien wieder die Reichsherrschaft durch.
Theoderichs jüngerer Bruder Eurich (reg. 466–484) ergriff die Macht inmitten militärischer Konflikte, nicht nur zwischen Westgoten und Reichstruppen, sondern auch zwischen verschiedenen westgotischen Parteien. Er tötete seinen Bruder, schlug einen tobenden keltischen Kriegherrn namens Riothamus, zog wieder über die Pyrenäen und siedelte eine Einheit ostgotischer Söldner aus römischen Diensten auf seinem Territorium an. Als Gesetzgeber