Raumschiff Prokyon Band 1-18: Die ganze Serie. Harvey Patton
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Erneut griff er nach dem Gesicht des Fremden, fasste zu und zog kräftig daran. Als seine Hand wieder hochkam, hielt sie eine Bioplastfolie, die sich mit einem schmatzenden Geräusch von den Zügen des Mannes löste.
»Mira und Polaris – das ist ja ein Nimboiden!«, brachte Lars Gunnarsson verblüfft hervor.
Bioplastfolien waren bei den Menschen der 900-Parsec-Raumkugel schon seit Jahrhunderten bekannt. Es handelte sich dabei um Zellkulturen aus lebendem, menschlichem Hautgewebe, die künstlich gezüchtet und als Transplantate, besonders bei Verbrennungen, benutzt wurden. Sie übernahmen innerhalb kurzer Zeit alle natürlichen Funktionen, so dass keinerlei Entstellungen zurückblieben. Doch auch die diversen Geheimdienste hatten sich ihrer oft bedient, wenn es galt, das Gesicht eines Menschen zu verändern, um ihn bei einem Gegner einschleusen zu können.
Das war nun auch hier geschehen. Der Mann, den sie alle seinem Aussehen nach unzweifelhaft für einen Terraner gehalten hatten, wies nach der Entfernung der Folie die typische graubraune, grobporige und schwartige Gesichtshaut eines Bewohners des Vulkanplaneten auf. Das brachte einen gänzlich neuen Aspekt ins Spiel!
Nach allem, was sie bisher erlebt hatten, hatten die Mitglieder der Crew längst nicht mehr daran geglaubt, dass die Entführung des irdischen Außenministers von den Gegnern Toburu-Chans ausgeführt worden war. Alle daran Beteiligten hatten das Aussehen von Terranern gehabt, die Männer, wie auch die Frauen. Jetzt war jedoch so gut wie erwiesen, dass sie alle nur Nimboiden gewesen waren, durch die Bioplastfolien ausgezeichnet getarnt.
Damit änderte sich einiges. Es galt nun, die gesamte Lage neu zu überdenken und aus dem Ergebnis die Schlussfolgerungen zu ziehen.
Ungeklärt war vor allem die Frage der Verbindung zwischen den Entführern und den Bewohnern dieses Mondes, irgendwo in der tiefen Vergangenheit.
»Wie mag sie zustande gekommen sein?«, überlegte Mitani halblaut. »Und wie könnte ein Bündnis über die Jahrtausende hinweg einer der beiden Parteien einen zählbaren Nutzen bringen? Ich vermag es mir nicht vorzustellen, zumal die Zeittransmitter offenbar nicht sehr leistungsfähig sind.«
Luca nickte. »Dazu kommen jetzt noch die verwirrenden Ereignisse der letzten Stunden. Weshalb wollte man uns unbedingt um die Ecke bringen, obwohl wir hier abgeschnitten und so gut wie waffenlos waren? Noch viel rätselhafter ist es, dass die Amazonen jetzt die Nimboiden angreifen und diese wiederum so rigoros gegen sie vorgegangen sind.«
»Vielleicht ein Streit zwischen diesen ungleichen Verbündeten«, mutmaßte Lars. »Die Zauberer suchten wohl Hilfe, um ihre Heimat gegen Angreifer schützen zu können, vermutlich gegen Hilfskräfte des Drajur. Den Nimboiden dagegen konnte es ziemlich gleich sein, was mit den Bewohnern eines Mondes geschah, den sie nur noch als eine verlassene und unwirtliche Welt kannten.«
»Richtig«, warf Orvid Bashkiri ein. »Wie es um ihre Mentalität bestellt ist, wissen wir ja aus eigener Erfahrung. Kriegerisch und kompromisslos waren sie schon immer, zumindest die herrschenden Chans, und nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Darunter musste die Zusammenarbeit leiden, und nun scheint es zum offenen Bruch gekommen zu sein.«
Taff Caine hob die Hand.
»Das alles sind bis jetzt nur bloße Spekulationen, Vermutungen ohne jeden Beweis, Freunde. Ich denke aber, dass wir von diesem Mann einiges werden erfahren können, wenn wir es richtig anfangen. Er ist leider inzwischen ohnmächtig geworden, wir werden also notgedrungen warten müssen, bis er wieder zu sich kommt. Vielleicht erhalten wir dann die Antworten auf all die Fragen, die wichtig für uns sind.«
Er spähte zu dem seltsamen Bauwerk hinüber, das nach wie vor in bläulichem Leuchten pulsierte. Zwei Nimboiden rannten kopflos über die freie Fläche, wurden von vier Amazonen verfolgt und bald eingeholt, da ihre Verfassung ähnlich schlecht wie die des Gefangenen der Crew zu sein schien. Es gab ein kurzes Handgemenge, dem zwei schrille Todesschreie folgten. Dann entfernten sich die Amazonen, liefen auf das Gebäude zu und verschwanden im Eingang.
Inzwischen bemühten sich Dorit und Mitani, den Nimboiden ins Bewusstsein zurückzubringen. Er erwachte schließlich, lag zwar still, aber seine Augen zeigten den gleichen irren Ausdruck wie zuvor.
Taff redete beruhigend auf ihn ein und stellte ihm einige kurze Fragen, erhielt jedoch keine Antwort. Statt dessen begann der Mann erneut zu toben und musste festgehalten werden. Unartikulierte Laute kamen über seine Lippen, dann ein langer, tierisch anmutender Entsetzensschrei. Noch einmal bäumte sich sein Körper steil auf, fiel dann zurück und blieb schlaff liegen.
»Er ist tot«, stellte Mitani resigniert fest. »Unter dem Einfluss des blauen Nebels muss er einen schweren psychischen Schock erlitten haben, dem sein Geist einfach nicht gewachsen war.«
8
Caine fluchte leise vor sich hin, beruhigte sich aber bald wieder. Er war Pragmatiker und wusste, dass es sinnlos war, entgangenen Gelegenheiten nachzutrauern.
»Wir sind jetzt also nicht klüger als zuvor«, resümierte er. »Es scheint fast, als sollte uns diesmal unser Glück vergessen haben. Wie dem auch sei, wir werden uns dadurch nicht beirren lassen, sonst wären wir nicht die PROKYON-Crew! Das Bauwerk wird jetzt offensichtlich nicht bewacht, also werden wir zu ihm vordringen und nachsehen, was dort vor sich geht. Eine funktionierende Waffe haben wir jetzt immerhin.«
Er hob den Strahler auf, der einige Schritte neben dem Toten lag. Es handelte sich um eine modifizierte Ausführung des bewährten Handlasers, wie er auf Nimboid verwendet wurde, kompakter und schwerer als das terrestrische Modell. Im Gürtel des Nimboiden steckten drei Reservemagazine, so dass Feuerkraft für längere Zeit vorhanden war.
»Folgt mir!«, bestimmte er kurz und setzte sich in Bewegung.
Ihm war klar, dass sie ein großes Risiko eingingen, doch er ignorierte die Tatsache bewusst. Sie mussten damit rechnen, ebenso von dem blauen Nebel überrascht zu werden, wie zuvor die Nimboiden. Die Frage war nur, ob er auf sie die gleiche verheerende Wirkung haben würde, da sie ihm schon einmal ausgesetzt gewesen waren, ohne dass er schlimmere Folgen gezeitigt hatte als jenen seltsamen Realtraum.
Sie hielten noch zweimal kurz an, als sie die Leichen der beiden Männer erreichten, die von den Amazonen getötet worden waren. Bei ihnen fanden sich zwei weitere Strahlwaffen und einige Magazine, die Lars und Orvid an sich nahmen. Der Bordingenieur schüttelte verwundert den Kopf.
»Es geht schon wirklich seltsam zu auf diesem verrückten Mond«, sagte er, während er die Waffe überprüfte. »Warum haben die Mädchen die Strahler nicht an sich genommen, Taff? Sie sind doch erheblich wirkungsvoller als ihre archaische Bewaffnung.«
»Vermutlich deshalb, weil sie gar nicht damit umzugehen wissen«, erklärte Caine. »Sie scheinen wirklich nur Dienerinnen der niedrigsten Stufe zu sein, bewusst in Unwissenheit gehalten und zudem auch noch irgendwie geistig versklavt. Eine Art von organischen Robotern, höher stufe ich sie nicht ein.«
Schweigend eilten sie weiter, jeweils in Abständen von etwa fünf Metern. So hatten diejenigen, die sich am Schluss der Gruppe befanden – die beiden Mädchen und Alexandros Demosthenes – noch eine Chance, sich zurückzuziehen, falls auch über sie der sinnverwirrende Nebel niederging.
Taff duckte sich unwillkürlich, als sie bis auf zwanzig Meter an das Bauwerk herangekommen waren. Es war eine rein reflektorische