Anfang und Ziel ist der Mensch. Heinrich Mann

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Anfang und Ziel ist der Mensch - Heinrich Mann страница 10

Автор:
Серия:
Издательство:
Anfang und Ziel ist der Mensch - Heinrich Mann

Скачать книгу

Niemand auflehnen kann) im Volke hervorbringen. Jeder Krach exotischer Werthe bringt seinen Namen auf alle Lippen, jede durch einen »Ring« vollzogene Vertheuerung eines notwendigen Verbrauchmittels trägt ihm tausend Verwünschungen ein. Aber was thut das, wenn ihn die Geschäftswelt fürchtet, wenn ihm die Presse dient und vielleicht sogar die politischen Gewalten ihn berücksichtigen! Im Übermut seines Glanzes oder auch in der Verlegenheit einer allzu gewagten Situation kann ihm wohl einmal eine kleine Unvorsichtigkeit passiren, von der Art, daß sie beim besten Willen nicht mehr zu übersehen ist. Er lernt den Undank des Menschengeschlechts kennen. Aber wenn selbst seine Freunde über ihn herfallen, die ihm Alles verdanken, so findet sich ein neuer Freund, den er gerade durch sein Unglück verpflichtet. Der berühmte Anwalt, vor dem alle Staatsanwälte zittern, reißt ihn mit sicherm Griff heraus. Und sollte er doch einmal mit der Nachtseite des Lebens Bekanntschaft machen müssen, so hat er rechtzeitig sein Haus bestellt und etwa auf den Namen der Frau ein paar Grundstücke übertragen – o, nur eine Kleinigkeit von zwei Millionen oder drei allerhöchstens. Diese sind dann doch aus dem Zusammenbruch gerettet und können, sobald die lächerliche Formalität der Gefängnisbuße überstanden, in Paris als Grundstock eines neuen Vermögens dienen. Aber zu diesem Aeußersten kommt es fast nie, und inzwischen kann er ruhig dem Haß trotzen, dessen Blick ihm folgt, wenn er überall in der Oeffentlichkeit seinen lärmenden Prunk ausbreitet, um sich auch so von anderer Rasse zu zeigen als diejenige unserer Großkaufleute es ist, deren ruhiger Wohlstand sich von jeher nur im Behagen ihrer Häuslichkeit bekundet hat. Wenn er mit seinem Tibury und seiner Cocotte die Linden lang fährt, sieht ihm verwundert der zu Fuß gehende Gardeleutnant nach, der den kleinen, schwarzborstigen, fahlen, schwammigen Menschen natürlich nur grotesk finden kann. Aber je bescheidener sein Dasein und je unkritischer sein Sinn, desto stärker muß das Volk, das gleichwohl noch lange nicht sozialistisch verführt ist, um die Notwendigkeit des Reichthums zu leugnen, diesen Fremdling hassen, dem es dunkel etwas Unheimliches ansieht, als rollten seine Räder über Tausend Leichen. Und hat nicht wirklich dieser Mann auf tausend vernichtete Existenzen seine Macht aufgerichtet wie eine unheilvolle Bestie, die einfach weil sie da ist, weil sie im Haushalte der Natur vorgesehen ist, den Tod um sich her verbreiten muß! Aber was allein den Menschen vom Tier unterscheidet, ihn von seiner Tierheit befreien kann, das ist der Ausgleich oder die Milderung des Kampfes ums Dasein. Jede andere »Kultur« ist hinfällig, so lange man die wilden Thiere im »freien Spiel der Kräfte« duldet, anstatt sie auszurotten oder in Käfige zu sperren! Dieser Mann hat, wie kein Anderer, die moralischen Werthungen verwirrt, das Bewußtsein der sozialen Pflichten und Gesetze geschwächt, verzweifelten Unglauben und haltlose Anarchie ringsum in den Geistern gesäet: – und dann stelle man ihn sich vor, wie er zwischen einem vortheilhaften »Abschluß« und einem diner fin zufällig einen antisemitischen Zeitungsartikel in die Hand bekommt und sich traurig wundert, warum man ihn denn seines Glaubens wegen verfolge!

      (1895) Essay. »Jüdischen Glaubens«, zuerst in: Das Zwanzigste Jahrhundert. Blätter für deutsche Art und Wohlfahrt, hg. v. H. Mann, Heft v. August 1895, hier: Klein, W. Hg. u. a., Essays und Publizistik, Bd. 1, S. 195–202, hier S. 198ff.

      Im Schlaraffenland. Ein Roman unter feinen Leuten

      Der Vortrag einer Sängerin, die sich nebenan hören ließ, ging unter in den lauten Gesprächen. Als man nach einiger Zeit merkte, daß sie fertig war, ertönte frenetischer Beifall. Drüben auf dem Kamin aus rosigem Porzellan schlug die Stutzuhr, Schildpatt mit eingelegtem Kupfer, halb zwölf.

      Andreas setzte sich endlich, er lehnte den Kopf zurück und versuchte sich betäuben zu lassen von der funkelnden Decke, deren vergoldete Kassetten elektrische Birnen bargen. Dies hinderte ihn nicht, von neuem in eine verzweifelte Mutlosigkeit zu verfallen. Was hatte er bisher erreicht? Kein ernsthafter Bekannter stand bei ihm, es war zu klar, daß die Leute, die er kennenlernte, ihn nur daraufhin ansahen, ob sich ihm eine heitere Seite abgewinnen lasse. Gelang es ihm heute abend nicht, ein Lächeln von der Hausfrau zu erhalten, so war es aus mit seinem Eintritt in diese Welt. Und jetzt, da er einen Blick hier herein getan hatte, fanden seine Begierden erst ihren Gegenstand. Er sandte seine schüchternen Eroberungsblicke im Kreise der geschmückten Frauen umher. Manche waren üppig, schwer und weich wie Odalisken. Andere, Hagere, hoben langgestielte Lorgnons vor die umränderten, pervers blickenden Augen. Wer von einer von ihnen in Gnaden aufgenommen wurde, so als Schoßhündchen wie Diedrich Klemper bei Lizzi Laffé, der war sein Lebtag versorgt. Das Geld rollte hier unter den Möbeln umher. Gewiß tat keiner etwas anderes, als sich die Taschen zu füllen. Welch ein Wohlleben in diesem Schlaraffenland!

      Eine häßliche Falte seines Fracks, die ihm noch nie so aufgefallen war wie in dieser Beleuchtung, entriß den armen jungen Mann seinen Träumen. Er verglich seine dürftige Kleidung mit den tadellosen Anzügen, die an ihm vorüberwandelten, und bei jedem Vergleiche stieg seine Wut. Endlich befand er sich in der erforderlichen Stimmung, um mit sich selbst va banque zu spielen. Wenn er in einer halben Stunde noch keinen Schritt auf seiner Laufbahn vorwärts getan haben würde, so schwur er sich, wegzugehen und nie wiederzukommen.

      Er wollte sich erheben, als zwei junge Leute dicht vor ihm stehenblieben. Sie sahen hinüber nach der Palmengruppe, vor der in einer Pompadour-Bergère eine große starke Dame saß. Sie war nicht gerade jung, aber ihr weißer Teint hatte nichts verloren, und so prachtvolle Schultern konnte sie nach Andreas’ Meinung in ihrer Jugend kaum besessen haben. Ihre zu starken Gesichtszüge erhielten etwas Charakteristisches durch den hohen schwarzen Helm von Haaren über der engen Stirn. Sie war in weiße Seide gekleidet, mit tief über die Büste fallenden Spitzen, worauf Brillantagraffen blitzten.

      Der eine der jungen Leute bemerkte: »Sie ist doch noch immer schön.«

      »Die Hausfrau?« sagte der andere. »Selbstredend. Zwar n’ bißchen schwere Nahrung, aber es tut nichts. Je mehr, desto besser, nach der Taxe der Wüstenstämme.«

      »Welche Taxe?«

      »Als die Schönste gilt diejenige, die nur auf einem Kamel fortbewegt werden kann. Nach ihr kommt die, die sich auf zwei Sklavinnen stützen muß. – Aber warum macht sie denn so’n leidendes Gesicht?« »Frau Türkheimer? Das wissen Sie nicht? Wo kommen Sie denn her? Ratibohr hat ja mit ihr gebrochen.«

      »Der Esel! Und warum?« »Wegen des Gatten, sagt man.«

      »Türkheimer? Der wird sich doch nicht lächerlich machen? Er läßt doch seit bald einem Menschenalter seine Frau tun, was sie will. Was hat der denn gegen Ratibohr?«

      »Ja, Ratibohr soll kein dankbarer Kunde sein. Durch die Vertraulichkeit mit Frau Adelheit ist er hinter allerlei Geheimnisse gekommen. Türkheimer hat gemerkt, daß ihm, seit seine Frau mit Ratibohr zusammensteckt, öfter was vor der Nase weggeschnappt wird. Das hat ihn entrüstet.« »Wirklich?«

      »Türkheimer ist ja ein sehr verständiger Mann, um die Privatangelegenheiten seiner Frau kümmert er sich nicht. Aber wenn die Geschäfte ins Spiel kommen, dann wird er strenge.« »Und da hat er dem Ratibohr Krach gemacht?« »Sie kennen ihn nicht. Er hat ihm die Beteiligung an einem feinen Coup angeboten, mit der Bedingung, seine Frau aufzugeben.« »Und Ratibohr hat eingeschlagen?« »Was dachten Sie denn?«

      In diesem Augenblick sah Andreas den eleganten Doktor Bediener, das Glas im Auge, in der Tür erscheinen. Der junge Mann stürzte jäh auf den Chefredakteur los. »Herr Doktor!« sagte er hastig. »Gestatten Sie mir eine Bitte, würden Sie die Güte haben, mich der Dame des Hauses vorzustellen?«

      »Comment donc, mon cher!« rief Doktor Bediener, der früher Korrespondent in Paris gewesen war. Er sah Andreas starr an und setzte hinzu: »Ich suche Sie seit zwei Stunden, mein lieber Herr, Herr – re …« »Andreas Zumsee«, ergänzte Andreas.

      Der Chefredakteur ergriff seinen Schützling leicht am Arm, trat mit ihm vor Frau Türkheimer und sprach: »Schöne Frau,

Скачать книгу