Anfang und Ziel ist der Mensch. Heinrich Mann
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Читать онлайн книгу Anfang und Ziel ist der Mensch - Heinrich Mann страница 12
Der Garten begann zu schallen von dem Galopp der Hufe. Die alten Centauren kämpften miteinander. Die jungen Satyre warfen ihre gewundenen Reben fort und ihre bauchigen Schläuche, und stürzten sich auf die Lippen und die Brüste der Nymphen. Ein graubärtiger Faun lehrte schwarzhaarige Kinder mit Mohnkränzen eine obszöne Runde. Am Boden brannten zerplatzte Granatäpfel und verblutete Tauben neben Rosen. Eine leise, einfache, aufreizende Melodie entströmte, man weiß nicht woher, der roten Luft. Dahinten, auf den rot spielenden Wellen, warfen Syrenen sich heftig auf den Rücken. Ihr Schuppenschwanz schnellte klappend aus dem Wasser, ihre roten Haare trieben ausgebreitet um sie her. Seltsam harte und schrille Laute entstiegen ihren breiten Mündern.
»Bleibt!« rief Jean Guignol, und er sprach, mitten in der Arbeit des Knetens, ihre Bilder, eines nach dem andern – er sprach in plastischen Versen die Bilder aller dieser Fabelwesen und die vielen Gesichter, eines nach dem andern, in denen die Natur sich ihm verriet. Er sprach sie stolz erregt, herrisch, siegesgewiß … Aber sie entfernten sich, sie zogen froh und farbig durchs Gras, unter Küssen, kindlichem Schwatzen oder dem Schäumen von Mänaden, in rot besonnter Nacktheit. Ein Kranz von Blättern verkettete alle.
»Warum nicht auch mich mit euch allen?!«
Die Rosen warfen von den Zypressen herab, ihnen Schleier über die Haare. Es waren viele Frauen, jungfräulich schmale, und laszive aus viel Fleisch; ernste in braunen Geweben, und nackte glückliche. Die dort zog einen Bock hinter sich her, jene trug auf den Armen einen Schwan. Eine beugte sich im Gehen zum Bache nieder und strich mit ihrer Hand über ihn hin wie über eine Wange. Eine erhob eine Schale. Eine setzte ihre weichen Sohlen auf den Rasen, drehte sich, sang, und folgte den andern. Jean Guignol wollte vorstürzen. Das dunkle Laub hatte schon fast alle verschlungen. In der Finsternis zwischen den Stämmen erloschen die Farben der Frauen. Die letzte lächelte vom Saum des Waldes her, als werde sie ihn nie mehr verlassen.
Der vereinsamte Künstler warf sich auf sie, besinnungslos. Sie war fort, ein großer Bock blieb ihm in den Händen. Er schleppte ihn mitten auf die Wiese, er packte den dürren Hals des Tieres, das ihn gelb und klar ansah. Er schrie ihm seine Wut ins Gesicht, seine besinnungslose Brust, seine Enttäuschung, sein Leiden um die eine, die ihm entfloh in den Taumel all jener Gestalten. Er hatte sie nicht gefaßt, sie war vielfältig. Sie war weder die Nymphe noch die Mänade, sie war ebensogut auch der Faun und der Brunnen, oder eine Biene – »oder auch du!« … Und er kniete vor dem Bock, in Drang, Verzweiflung, überwältigender Ahnung.
(1902) Roman. Die Göttinnen oder Die drei Romane der Herzogin von Assy, S. 620ff.
Die Jagd nach Liebe
JUGENDLICHE LIEBESTOLLHEIT *
Mit fünfzehn hatte er, ein schwächlicher, verträumter Junge, auf Sofas gelegen und weinend das Schicksal befragt, ob er je die Glieder einer Frau um sich fühlen werde. Plötzlich hatte er sich entschlossen und gleich eine ganze Menge an Gliedern zu fühlen bekommen, gegen bar. Mit sechzehn hatte er Ute begehrt, nur sie, mit einer Angst und einem Geheimnis, die ihn bleich machten und ihm eine Levikokur eintrugen. Mit siebzehn hatte er sich die erste Modistin angeschafft. Mit neunzehn hatte er die Frau Kahn gehabt, eine Amerikanerin, die bei seiner Mutter verkehrte; oder vielmehr sie ihn. Nun war er zwanzig, und nun lebte er mit Ute. Jeder Schritt, den er machte, jeder Gedanke, in den er einlenkte, führte zu ihr. In ihrem Kopf konnte kein Bild entstehen, in das nicht seine, Claudes Gestalt getreten wäre. Mit fünfzehn, als er zweimal wöchentlich eine andere Kokette probierte, schwamm es im Horizont immer von Brüsten und Beinen. Es war die kurze Zeit, als jedes neue Weib, für Claude ein Paradies gewesen war. Für den Herrn Panier war es das noch mit vierundsechzig. Aber woher strömte der märchenhafte Frühling, in den gebadet nun Claude umherging? Aus Einer, nur aus der Einen. Zum ersten Mal im Leben fühlte er sich fast gesund. Er sah sich an jedem Morgen im sicheren Besitz des ganzen Tages, der voll vom Zerspringen war von ihren Worten, ihrem überlegenen Lachen, ihrem gerollten R., ihren an das Haar erhobenen Händen, ihrem Schritt – voll von ihr!
Eine alte Blumenverkäuferin beim Kontrollor in Nymphenburg, die den jungen Mann seiner Begleiterin nicht gewachsen fand, sagte einmal: »’s tut halt nix ’m Menschen so gut wie’s Mailüfterl.« Und Claude griff sich an die Schläfen, so überwältigt war er von dieser einfachen Wahrheit.
(1903) Roman. Die Jagd nach Liebe, S. 90f.
KUNST UND LIEBE *
»Eine Künstlerin, die sich verliebt, wirklich und ganz verliebt – das war nie eine«, behauptete Ute, hoch und stolz.
»Wofür hältst Du mich denn? Ich bin ja verwöhnt durch die Kunst. Das Studium der Leidenschaften für die Bühne hat mich klarsichtig gemacht, ich weiß ja, was jeder bieten könnte. Hast du dir das nie gesagt? Stell dir vor, ich sollte einen von diesen Leuten lieben, einen dieser halben Männer, mit ihren Lächerlichkeiten, Schwächen, Unredlichkeiten, einen Pömmerl, Killich – Nun, und dich?« fragte sie langsam, mit mitleidigender Grausamkeit.
Er senkte den Kopf. Aber dann brach es heraus, wund, überreizt, mit elend hinausgereckten Armen, ein Notschrei.
»Du irrst dich. Ich könnte lieben!«
Ute zuckte die Achseln.
»Aber ich nicht. Ich sehe manchmal mit Staunen den andern Frauen zu. Sie lieben, weil sie den Mann nicht kennen – aus Dummheit. Ich hab mich schon gefragt, ob ich sie beneide, ob ich auch soweit herunterkommen möchte. Nein, nein. Das ist ja ein Wahnsinnskeim, den eine in sich trägt. Bei Gelegenheit eines unwichtigen Mannes geht er auf. Ich hab ihn nicht in mir, was willst du. Ich bin vielleicht ein Monstrum?« »Ja«, sagte Claude hart.
»Bin ich’s? Dann ist auch mein Körper eines. Was er für Angst, für Empörung leidet, bei der Annäherung des Mannes – oh, das wirst du nie erfahren. Und was ich meinem Ehrgeiz, meiner Kunst für Opfer bringe … Aber ich tu’s, ich bin stark.«
Da erblickte er das Elend ihrer Stärke. Es weinte ihm auf die Hände. Er stammelte, bebend von Mitleid, mit ihr, mit sich.
»Aber mich – warum nicht wenigstens mich lieben, der um dich weiß. Bin ich zu schlecht, wie die andern?«
»Du bist mir am nächsten, du bist mein Bruder. Da, gib mir die Hand.«
Er wich zurück, gequält. »Ich will nicht mehr.« »Ich liebe dich, wie ich kann. Ich brauche dich, fühle mich wohl in deiner Anbetung und komme in kalte Wut, wie in Düren, wenn du mich verrätst. Das genügt dir nicht? Gib mir deine Hand.«
»Ich will nicht mehr.«
Er besann sich. Drohend: »Du weißt, was ich will. Ich geh nicht weg, ohne dich gehabt zu haben.«
Sie rückte den Kopf, ganz rasch: »Du machst mich bös.«
»Das ist mir ganz einerlei, darüber sind wir zwei hinaus …«
Er feuerte sich an, sträubte sich dagegen, die Tat versäumt zu haben.
»Ich hab die Macht!«
»Hör doch auf mit deiner Macht!« Sie geriet in Wut.
»Weil du ein Mann bist? Ich bin keinem unterworfen, weißt du, dir am wenigsten. Weshalb duld ich dich? Weil du keine breiten Schultern hast, und mich nicht durch eine Übermacht von Männlichkeit bedrohst. Was kannst du denn?«
»Ich