Anfang und Ziel ist der Mensch. Heinrich Mann

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Anfang und Ziel ist der Mensch - Heinrich Mann

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auf Heinrich. Er bewunderte sein Talent und seinen unbekümmerten Lebensstil. Als Kinder hatten sie sich im Elternhaus in der Lübecker Beckergrube fern der Wirklichkeit gemeinsam in eine Märchenwelt hineingeträumt, in einen »Zustand freien Schwebens, der Enthobenheit aus Zeit und Raum« (Hans Wysling). Beide berichteten in ihren Lebensrückblicken über die Bindungskräfte, die diese Kindheitserlebnisse auslösten. Noch Jahre später, als Thomas seinen Bruder Ende der Neunzigerjahre des 19. Jahrhunderts in Rom und dem nahegelegenen Städtchen Palestrina besuchte, verlebten sie glückliche Tage der Brüderlichkeit, obwohl sich schon damals die Lebenslinien der beiden zu trennen begannen. Sie genossen den Sommer in den Sabiner Bergen, wanderten, lobten die einheimische Küche und ließen es nicht an gutem Wein fehlen. Im Winter verweilten sie in Rom. Sie diskutierten, lasen und fassten Pläne. Sie haben wohl sogar daran gedacht, es den Brüdern Edmond (1822–1896) und Jules de Goncourt (1830–1870) in Frankreich gleichzutun und gemeinsam einen Roman zu schreiben. Heinrich entfaltete in diesen glücklichen Tagen neben seinen schriftstellerischen Ambitionen auch sein Talent als Maler. Die monatlich eintreffende Zuwendung aus dem väterlichen Erbe gewährte ihnen den kleinen Wohlstand, dessen es bedurfte, um ein Künstlerleben zu führen. Das Erscheinen von Thomas’ Buddenbrooks wenige Jahre später führte zu einer tiefgreifenden Veränderung des Verhältnisses der beiden Brüder. Heinrich fühlte sich herausgefordert, was sich weiter verstärkte, je mehr diese Familiengeschichte des Verfalls der bürgerlichen Gesellschaft Furore machte. Als Reaktion darauf veröffentlichte er binnen weniger Jahre mehrere Romane. Es kam zum Zerwürfnis. Thomas warf ihm vor, eine »Blasebalg-Literatur« zu schreiben, die vor allem auf Wirkung und Erfolg setze und nicht genug Wert auf Stil, Sorgfalt, innere Ordnung, inhaltliche Konsequenz und Geschlossenheit, Tiefe und Strenge lege. Heinrich war schockiert. Ihm fehlten die Worte. Er schwieg. Das enge brüderliche Band war vorerst zerschnitten; die noch verbleibende Verbindung lebte fortan vor allem aus den Tagen der Kindheit. Auch wenn es zu Beginn der Zwanzigerjahre zu einer Versöhnung der Brüder kam, fanden sie nicht zu der Unbekümmertheit früherer Tage zurück. Sie lebten ein jeweils anderes Leben: Heinrich das Leben eines Bohemiens, Thomas ein bürgerliches Leben in einem fest gefügten sozialen Rahmen. Für Heinrich änderte sich dies vorübergehend, als er 1914 die Prager Schauspielerin Maria Kanová heiratete. Die Brüder schauten mit anderen Augen auf die Welt. Ihre Bücher sprachen, augenfällig von Heinrichs Roman Im Schlaraffenland und Thomas’ Buddenbrooks an – sie erschienen kurz nacheinander – von dieser Verschiedenheit, das Leben zu betrachten und es in Literatur zu formen. Beide feierten große Erfolge. Thomas erhielt sogar 1929 den Literaturnobelpreis. Heinrich genoss in der Weimarer Republik höchstes Ansehen. Er wurde zum »Mann der Republik«. Aber mit seinen Büchern war ihm insgesamt nicht annähernd ein so anhaltend großer Erfolg vergönnt wie seinem jüngeren Bruder. Darunter litt er.

      Als Schriftsteller in der »Bonner Republik« am Ende der Sechzigerjahre danach gefragt wurden, welche Romane sie von Heinrich Mann gelesen hätten, stellte sich heraus, dass nur wenige von ihnen tiefergehende Kenntnisse seines Werkes besaßen. Das mag sich heute geändert haben. Doch noch immer lasten auf seinem Werk zwei Schatten. Der Ruhm und literarische Erfolg seines Bruders Thomas und die deutsche Teilung, die Heinrich Mann als Vorzeige-Autor der DDR in der Bundesrepublik die verdiente Anerkennung versagte. Er hat sie bis heute nicht gefunden.

      Kind aus wohlhabender Familie

      Heinrich Mann wurde am 27. März 1871 als erstes Kind von Thomas Johann Heinrich Mann und dessen junger Ehefrau Julia, geb. da Silva-Bruhns, in der Freien Hansestadt Lübeck geboren. Bei diesem Ehepaar handelte es sich nicht um eine gewöhnliche Bürgerfamilie, sondern um junge Leute gehobenen Standes. Mitte der Siebzigerjahre flüsterte die stolze Mutter ihrem gerade einmal vierjährigen Sohn Heinrich ins Ohr: »Wir sind nicht reich, aber sehr wohlhabend.« Und das traf es auf den Punkt. Lübecker, die etwas auf sich hielten, protzten nach alter Hanseatischer Tradition nicht mit ihrem Wohlstand. Sie versteckten ihn aber auch nicht, vielmehr wussten sie damit behutsam umzugehen. Dies galt insbesondere für die alten Kaufmannsfamilien. Und dazu zählte die Familie Mann.

      Heinrichs Vater führte ein seit Jahrzehnten einträgliches Kommissions- und Speditionsgeschäft, das vor allem auf dem Getreidehandel basierte. Die Familie erwarb damit so viel Ansehen, dass ihrem »Oberhaupt« der Titel eines »Königlich Niederländischen Konsuls« verliehen wurde. Thomas Johann Heinrich Mann wurde zudem 1877 zum Senator auf Lebenszeit berufen. Er zeichnete in Lübeck für das Finanz- und Steuerwesen verantwortlich. Auch seine elf Jahre jüngere Frau Julia da Silva, Heinrichs Mutter, mehrte das Ansehen der Familie. Sie hatte deutsch-portugiesische Wurzeln. Ihre Eltern lebten in Brasilien. Sie brachte gelebte Weltoffenheit nach Lübeck und verzauberte mit ihrem Charme und ihrer Anmut das familiäre Umfeld. Besonders begehrt waren ihre Einladungen zum Maskenball. Heinrich erinnerte in seiner Novelle Das Kind an diesen Ballzauber, der vom Kaiserlichen Hof Napoleons III. schließlich auch den Weg nach Lübeck fand. Er schrieb: »Man spielte Scharaden, gab Rätsel auf, die Damen bemalten die Fächer ihrer Freundinnen mit Aquarellen, Herren, die sie verehrten, schrieben ihre Namen darauf.« Diese Sitten und Gebräuche fanden ihren Höhepunkt im Maskenball, dessen Faszination nicht nur die Höflinge in Paris erlagen, sondern auch die braven Lübecker. Heinrich wuchs in einer behüteten Welt des Wohlstands, der sozialen Anerkennung und in gewissem Maße des Exotischen auf. Im Maskenball fand dies seinen kultivierten Ausdruck.

      Wie sich alsbald zum Leidwesen seines Vaters herausstellen sollte, fühlte Heinrich sich mehr vom Exotischen angezogen als vom Kaufmannswesen. Alle Versuche, ihn für Letzteres zu gewinnen, scheiterten. Ihn begeisterten Bücher, Schriftsteller und das ganz in der Nähe des elterlichen Hauses gelegene Theater. Die Gedichte von Heinrich Heine, Theodor Storm und Emanuel Geibel, die Balladen und Romane von Theodor Fontane hatten es ihm mehr angetan, als das Zahlenwerk des Kommissionshandels und die Verhandlungen mit den Getreidebauern. Schon als Schüler fing er an zu schreiben. Das Gymnasium trat dabei mehr und mehr in den Hintergrund. Zuerst ein vortrefflicher Schüler, ließen seine Leistungen allmählich nach. Das Abitur zu machen, wozu es ihm keineswegs an Fähigkeiten mangelte, reizte ihn nicht. Er sah seine Zukunft nicht in Lübeck. Es zog ihn nach Dresden. Durch den Beginn einer Buchhandelslehre glaubte er, zusätzlich zur Profession des Schreibens auch noch das Lesen zum Beruf machen zu können. Doch schon schnell zeigte sich, dass von ihm anderes erwartet wurde, als Bücher zu studieren. Von seiner Mutter zum Freigeist erzogen, missfiel ihm die soziale Unterordnung in dem feinen aber kleinen Unternehmen Zahn und Jaensch. Um die Enge zu verlassen, kündigte er und suchte im S. Fischer Verlag in Berlin sein Glück. Dort begann er im April 1891 ein Volontariat. An der damaligen Friedrich-Wilhelms-Universität schrieb er sich als Gast ein. Damit eröffnete sich ihm die Möglichkeit, die dort versammelten Geistesgrößen von Wilhelm Dilthey, über Heinrich von Treitschke bis Hermann Grimm zu hören. Doch auch der streng geregelte und lebensferne Universitätsbetrieb entsprach anscheinend nicht ganz seinem inneren Wesen. Er tummelte sich lieber in der Berliner Theaterszene und den Etablissements der Berliner Nacht. Der frühe und unerwartete Tod seines Vaters im Oktober 1891 bedeutete einen tiefen Einschnitt in das Leben der Familie. Die Mutter zog bald darauf mit ihren Kindern nach München. Gerade 20 Jahre alt, musste Heinrich auf eigenen Füßen stehen. Fortan stand für ihn fest, Schriftsteller zu werden.

      Jahre der Selbstfindung

      Nach dem Tod seines Vaters führte er ein rastloses Leben. Von einer systematischen schriftstellerischen Arbeit konnte zunächst nicht die Rede sein. Aber er bereitete sich darauf vor; er las viel, hörte den einen oder anderen Vortrag und vertiefte sich in die Lektüre zeitgenössischer Autoren. Besonders Friedrich Nietzsche, dieser »Aufwühler des Zeitgeistes«, hatte es ihm angetan. Seine Werke wurden zu seiner Hauptlektüre. Hinzu kam der aufregende Prophet der Moderne, Hermann Bahr. Er nahm einen nachhaltigen Einfluss auf sein Denken und Schreiben. Bahr beschäftigte, wie die Hektik der Tage, die Industrialisierung und Landflucht, auf die innere Verfassung der Menschen einwirke, wie die rastlose Zeit deren Nerven und Seele bestimme, sodass schließlich sie – nicht die Vernunft – zum bestimmenden Wesenszustand des Menschen würde. Nach einem Blutsturz musste

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