Der Archipel in Flammen. Jules Verne
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der Archipel in Flammen - Jules Verne страница 4
Wenn die Maniaten zur Stunde auch noch halb wild sind, so mag man sich vorstellen, was dieselben vor nun fünfzig Jahren sein mochten. Ehe die Kreuzfahrten der Dampfschiffe ihren Raubzügen zur See ein Ziel setzten, traten sie während des ersten Viertels dieses Jahrhunderts als die verwegensten Seeräuber auf, welche die Handelsfahrzeuge in allen Stapelplätzen des Morgenlandes nur zu fürchten hatten.
Gerade der Hafen von Vitylo erschien durch seine Lage am Ende des Peloponnes, am Eingang zweier Meere, durch die Nähe der den Seeräubern wohlbekannten Insel Cerigotto, höchst geeignet, sich allen Übeltätern zu öffnen, welche den Archipel und die benachbarten Gegenden des Mittelmeeres unsicher machten. Der Zentralpunkt der Bewohnerschaft dieses Teils von Magne hieß speziell das Land von Kakovonni, und die Kakovonnioten, welche zu beiden Seiten der Landspitze siedelten, welche mit dem Kap Matapan2 ausläuft, hatten es bequem, ihre Untaten auszuführen. Auf dem Meer überfielen sie die Schiffe; an das Land lockten sie dieselben durch falsche Signale. Überall plünderten und verbrannten sie dieselben. Ob deren Besatzung nun eine türkische, maltesische, ägyptische oder selbst eine griechische war, das kümmerte sie nicht; sie wurde ohne Erbarmen niedergemetzelt oder nach den Barbareskenstaaten3 in die Sklaverei verkauft. Gab es einmal eine Zeit lang nichts zu tun, und wurden die Küstenfahrer in der Bucht von Cerigo oder dem Kap Gallo seltener, so stiegen öffentliche Gebete auf zu dem Gott der Stürme, damit dieser sich herabließe, ein Schiff von großem Tonnengehalt und mit reicher Ladung in ihre Hand zu geben. Die Mönche schlugen es auch nicht ab, diese Gebete zum Nutzen ihrer Gläubigen zu zelebrieren.
Jetzt hatte es seit mehreren Wochen nichts zu plündern gegeben. Kein Schiff war an der Küste von Magne angelaufen. Deshalb verursachte es einen wirklichen Ausbruch der Freude, als der Mönch jene von asthmatischem Keuchen unterbrochenen Worte ausgerufen hatte:
»Ein Schiff in Sicht!«
Sofort erschallten die dumpfen Schläge des Simanders, einer Art Glocke aus Holz mit eisernem Klöppel, welche in den Provinzen in Gebrauch ist, wo die Türken die Verwendung von metallenen Glocken nicht zuließen. Die klanglosen Schläge genügten jedoch, die habgierige Bevölkerung zusammenzurufen, Männer, Frauen, Kinder, herrenlose furchtbare Hunde, alle begierig zu plündern und wenn nötig zu morden.
Inzwischen verhandelten die auf dem Felsen vereinigten Vityliner mit großer Lebhaftigkeit. Welcher Art Fahrzeug war es, das der Mönch ihnen anmeldete? Mit der nordnordwestlichen Brise, die beim Einbruch der Nacht noch auffrischte, glitt das Schiff mit Backbordhalsen schnell dahin. Es schien möglich, dass es beim Lavieren das Kap Matapan ziemlich streifte. Seinem Kurs nach schien es aus der Gegend von Kreta zu kommen. Schon begann sein Rumpf sich zu zeigen über dem weißen Kielwasser, das es hinter sich ließ; seine Segel alle bildeten jedoch für das Auge eine unkenntliche Masse. Es war also schwierig zu sagen, welcher Klasse das Fahrzeug angehören möge, was auch die verschiedensten, von einer Minute zur anderen sich widersprechenden Äußerungen veranlasste.
»Es ist eine Schebeke«, erklärte einer der Seeleute, »ich sehe ihre viereckigen Segel am Fockmast!«
»Nein«, erwiderte ein anderer, »es ist eine Pinke! Man sieht ja den erhöhten Achter und starkgekrümmten Vordersteven!«
»Schebeke oder Pinke! Wer könnte dieselben auf eine solche Entfernung unterscheiden?«
»Sollte es nicht vielmehr eine Polake mit viereckigen Segeln sein«, bemerkte ein anderer Seemann, der aus den halbgeschlossenen Händen sich eine Art Fernrohr gemacht hatte.
»Gott helfe uns!« antwortete der alte Gozzo. »Polake, Schebeke oder Pinke, jedenfalls sinds drei Maste, und drei Maste sind allemal besser als zwei, wenn sichs darum handelt, hier bei uns mit einer tüchtigen Ladung Wein aus Candia oder mit Stoffen aus Smyrna zu landen!«
Nach dieser weisen Bemerkung blickten alle mit noch größerer Aufmerksamkeit hinaus.
Das Schiff näherte sich und schien allmählich zu wachsen; weil es aber so dicht am Winde fuhr, konnte man es nicht von der Seite sehen. Es wäre also schwierig gewesen, zu sagen, ob es zwei oder drei Maste führte, das heißt, ob sein Tonnengehalt ein größerer oder ein geringerer sein werde.
»Oh, das Unglück verfolgt uns, und der Teufel hat sein Spiel!« rief Gozzo, indem er noch einen Fluch hinzusetzte, mit dem er alle Sätze zu verstärken pflegte. »Das Ding ist weiter nichts als eine Feluke …«
»Oder gar nur eine Speronare!« rief der Mönch nicht weniger enttäuscht als seine Zuhörer.
Dass diese beiden Bemerkungen mit nicht sehr wohlwollenden Rufen aufgenommen wurden, braucht wohl kaum versichert zu werden. Aber welcher Art das Fahrzeug auch war, so konnte man doch schon beurteilen, dass es höchstens hundert bis hundertfünfzig Tonnen messen konnte. Freilich kam es ja nicht auf die Menge der Ladung an, wenn diese sonst eine wertvolle war. Man trifft einfache Feluken oder selbst Speronaren, welche eine Fracht an kostbaren Weinen, feinen Ölen oder teuren Geweben führen. In solchen Fällen verlohnt es sich schon der Mühe, sie zu plündern, denn sie geben oft reiche Beute für geringe Mühe. Zu verzweifeln war also noch nicht. Dazu entdeckten die älteren Leute der Bande, dass das Schiff ein gewisses elegantes Äußeres hatte, welches, langjähriger Erfahrung nach, immerhin zu seinen Gunsten sprach.
Schon begann die Sonne hinter dem Horizont im Westen des ionischen Meeres zu