Der Archipel in Flammen. Jules Verne
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3 Als Barbareskenstaaten wurden vom 16. bis zum frühen 19. Jahrhundert die Staaten in der als Barbarei bezeichneten Region, namentlich das Sultanat Marokko und die osmanischen Regentschaften Algier, Tunis und Tripolis, bezeichnet. (Wikipedia) <<<
4 Die Takelage eines Schiffes umfasst alles für die Bemastung sowie die Besegelung erforderliche Tauwerk nebst Befestigungen. <<<
5 Mole <<<
6 (Meist) zweitgrößtes Segel eines Mastes <<<
Zweites Kapitel – Auge in Auge
Zehn Minuten später verließ ein leichtes Boot, eine Gig, die Sacoleve und führte nach dem Fuß des Molos ohne jede Begleitung und ohne Waffen den Mann, vor dem die Vityliner so schnell den Rückzug angetreten hatten.
Es war der Kapitän der »Karysta« – so nannte sich das kleine Fahrzeug, welches eben im Hafen vor Anker gegangen war.
Unter der dicken Seemannsmütze zeigte dieser nur mittelgroße Mann eine hohe stolze Stirn und in den grausamen Augen einen höchst entschlossenen Blick. Über seine Oberlippe lief der Klephte-Schnurrbart waagerecht nicht in Spitzen, sondern in starken Haarbüscheln aus. Seine Brust war breit, seine Glieder muskulös. In Locken fielen ihm die schwarzen Haare auf die Schultern. Wenn er fünfunddreißig Jahre überschritten hatte, konnte das nur um wenige Monate sein. Aber sein durch Sonne und Wind gebräunter Teint, die Härte seiner Züge und eine Falte auf der Stirn, die wie eine Furche vertieft erschien, in der kein guter Samen keimen konnte, ließ ihn entschieden älter erscheinen, als er in der Tat war.
Was die Kleidung angeht, die er eben trug, so bestand diese weder aus der Weste, noch dem Brustlatz oder der Fustanella des Palikaren. Der Kaftan, die Kapuze von brauner Farbe, welche wenig hervortretend gestickt war, die grünlichen Beinkleider mit den weiten Falten, welche sich in hohe Stiefel verloren, erinnerten weit eher an die Tracht eines Seemannes aus den Barbareskenstaaten.
Dennoch war Nikolas Starkos wirklich von Geburt ein Grieche und ein Eingeborener des Hafens von Vitylo. Hier hatte er seine ersten Jugendjahre verbracht. Als Kind und als Jüngling hatte er zwischen diesen Felsgebilden den Anblick des Meeres lieben gelernt. Auf diesen Gewässern war er, eine Beute des Windes und der Strömungen, so viel umhergefahren. Hier gab es keine Einbuchtungen, deren Wassertiefe und Landungsplätze er nicht gekannt hätte; kein Riff, keinen Grund, keinen Unterwasserfelsen, dessen Lage ihm verborgen geblieben wäre; keine Windung des Kanals, welche er selbst ohne Lotsen und ohne Kompass nicht hätte in Sicherheit befahren können. Das erklärt denn auch leicht, warum er trotz der falschen Signale seiner Landsleute die Sacoleve immer hatte mit ruhiger Hand leiten können. Daneben wusste er, wie wenig den Vitylinern Vertrauen zu schenken war. Er hatte sie schon gar zu oft in Tätigkeit gesehen. Und im Grunde missbilligte er vielleicht nicht einmal ihre räuberischen Gewohnheiten, wenigstens sobald er persönlich gesichert war, nicht davon zu leiden.
Doch wenn Nicolas Starkos seine Leute kannte, so war er nicht minder bei ihnen bekannt. Nach dem Tod seines Vaters, der unter den tausenden von Opfern fiel, welche die Grausamkeit der Türken hinschlachtete, lechzte seine von Rache erfüllte Mutter nur nach der Stunde, wo sie sich bei der ersten Erhebung gegen das türkische Joch auflehnen konnte. Er selbst hatte Magne mit achtzehn Jahren verlassen, um zur See zu gehen, wobei er vorzüglich im Archipel umherfuhr, und sich dabei nicht allein zum vortrefflichen Seemann, sondern auch in dem Handwerk des Räubers ausbildete.
Niemand hätte wohl zu sagen vermocht, an Bord wie vieler Schiffe er seitdem gedient, welche Flibustier- oder Seeräuberführer ihn unter ihrem Befehl gehabt, unter welcher Flagge er zuerst gekämpft, wie viel Blut seine Hand schon vergossen, Blut der Feinde Griechenlands ebenso wie solches seiner Verteidiger – dasselbe, welches auch in seinen Adern rollte. Wiederholt hatte man ihn schon in verschiedenen Häfen des Busens von Coron gesehen. Manche seiner Landsleute hätten wohl verschiedene Großtaten von ihm berichten können, wenn er sich mit ihnen verbündet hatte, Handelsschiffe zu überfallen und zu vernichten, um die reiche Beute mit ihnen zu teilen. Dennoch umgab den Namen Nicolas Starkos ein gewisses Geheimnis. Jedenfalls war er aber in den Provinzen von Magne so bekannt, dass sich alle vor seinem Namen verneigten.
Damit erklärte sich auch der Empfang, den dieser Mann bei den Bewohnern von Vitylo fand, ebenso der Umstand, dass schon seine Anwesenheit genügte, alle auf die geplante Plünderung verzichten zu lassen, sobald sie nur erkannt hatten, wer die Sacoleve befehligte.
Sobald der Kapitän der »Karysta« ein wenig hinter dem Quai den Hafen betreten hatte, bildeten die zu seinem Empfang herbeigelaufenen Männer und Frauen ehrerbietig eine Kette, um ihn hindurchzulassen. Als er ans Land stieg, wurde kein Ausruf laut. Es schien, als ob Nicolas Starkos hier einen hinreichenden Einfluss ausübte, um anderen schon durch sein Erscheinen Ruhe zu gebieten. Die Leute warteten, bis er sprechen würde, und wenn das – wie wahrscheinlich – nicht der Fall war, hätte sich gewiss niemand erlaubt, ein Wort an ihn zu richten.
Nachdem Nicolas Starkos seinen Matrosen der Gig befohlen, an Bord zurückzukehren, begab er sich nach dem Winkel, den der Quai im Hintergrund des Hafens bildete. Kaum hatte er aber zwanzig Schritte in dieser Richtung getan, als er plötzlich stehenblieb. Dann wandte er sich an den alten Seemann, der ihm nachfolgte, als erwarte er von ihm noch irgendwelche Befehle.
»Gozzo«, begann er, »ich werde noch zehn kräftige Burschen brauchen, um meine Besatzung zu vervollständigen.«
»Du wirst sie haben, Nicolas Starkos«, antwortete Gozzo.
Hätte der Kapitän der »Karysta« hundert zur Auswahl unter der seefahrenden Bevölkerung des Ortes verlangt, so würde er diese auch gefunden haben. Und diese hundert Mann würden, ohne zu forschen, wohin sie geführt würden, wozu sie bestimmt seien, für wessen Rechnung