Luis Suárez. Luca Caioli
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Errichtet im klassizistischen Stil mit großen weißen Säulen, blauen Türen, viel rotem Samt, goldenem Stuck, goldenen Fresken und Kristallleuchtern, ist es ein Schmuckstück inmitten baufälliger Häuser. Die Planung geht auf den englischen Ingenieur Robert Alfred Wilkinson zurück, der für die Bahngesellschaft Ferrocarril Noroeste arbeitete. Die Eröffnung erfolgte am 6. Oktober 1882 mit einer monumentalen Aufführung von La Hija Única durch das italienische Theaterensemble Oreste Cartocci unter Leitung von Gustavo Salvini. Der wundervolle Abend bildete den Auftakt zu einer Reihe hochklassiger Veranstaltungen mit Künstlern wie Luisa Tetrazzini, Teresa Mariani oder Leopoldo Fregoli.
Nach Jahren des Verfalls und diversen Spukgeschichten über das Haus wurde das Theater 2009 renoviert und erstrahlt nun wieder in altem Glanz. In dem als Museum dienenden Bau finden auch Revuen, Opern, Konzerte und Aufführungen statt – eine Hommage an eine glorreiche Vergangenheit, so wie übrigens auch die Suite Nr. 32 des Hotels Concordia, in dem der große Tangosänger Carlos Gardel nach einem seiner Auftritte abstieg.
An Saltos Geschichte und seine vielen berühmten Söhne und Töchter erinnern u. a. der futuristische Monolith zu Ehren von Giuseppe Garibaldi (1807–1882) sowie das Haus des Schriftstellers Horacio de Quiroga (1878–1937). Garibaldi, der „Held zweier Welten“, lebte von 1845 bis 1846 in Salto und kämpfte während des uruguayischen Bürgerkriegs in den Schlachten von Itapebí und San Antonio.
Die Casa de Quiroga, ein Mausoleum, Museum und Kulturzentrum, ist ein älteres Gebäude in der Avenida General Viera. Quiroga, der als Verfasser von Kurzgeschichten, kleinen Romanen und Gedichten innerhalb der lateinamerikanischen Welt wirkte, nutzte es für die Sommerfrische. Heute beherbergt es eine Ausstellung und die Urne mit seiner Asche. Quiroga ist häufig mit Edgar Allan Poe verglichen worden, den der Uruguayer selbst für einen Meister seines Fachs hielt. Sein Leben verlief dramatisch und war geprägt vom Tod, bevor er sich mit 59 Jahren das Leben nahm. Seine Werke, wie die Geschichten von Liebe, Irrsinn und Tod oder – für Kinder – die Urwald-Geschichten, sind für Schüler in Salto Pflichtlektüre.
Die heutigen berühmten Söhne Saltos sind allerdings anderer Natur. Quer über der Calle Uruguay hängen zwei riesige Werbebanner der Stadtverwaltung, die Edinson Cavani und Luis Suárez im Trikot der Celeste zeigen, umgeben von Karnevalstänzerinnen in Pailletten. Die Karnevalswoche mit ihren Paraden ist eine weitere Attraktion Saltos – eine bunte Mischung aus Samba, Candombe und Batucada sowie afrikanischen und europäischen Rhythmen. Unter dem Klang der Trommeln paradieren die Karnevalsköniginnen fast wie im Sambódromo von Rio de Janeiro die Straßen entlang.
Doch nicht nur die Stadt selbst nutzt die Konterfeis der Kicker: „Gewinnen leicht gemacht“, ruft Suárez breit lächelnd den Passanten an der Kreuzung von Calle Uruguay und Calle Sarandí zu. Er wirbt damit für Cablevision, die lokale Kabelfernsehfirma. Etwa 20 Blocks entfernt vom Stadtzentrum, auf einem Hügel im Viertel El Cerro, befindet sich das Haus, in dem Luis Alberto Suárez Díaz in den ersten Lebensjahren wohnte. Suárez kam am 24. Januar 1987 im Krankenhaus von Salto als Sohn von Sandra und Rodolfo zur Welt. Er hat drei ältere Geschwister – Paolo, Giovanna und Leticia – und zwei jüngere Brüder, Maximiliano und Diego.
Luis – dünn und wegen seiner dichten schwarzen Haare auch „Cabeza“ oder „Cabezón“ („großer Kopf“ bzw. „Dickkopf“) genannt – war ein kerngesundes Kind. Anders als seine Geschwister bekam er noch nicht einmal die Windpocken. Mit zwei Jahren zog er sich allerdings eine Blinddarmentzündung zu und bekam zwei Tage nach der Operation eine Bauchfellentzündung, eine dabei gelegentlich auftretende Komplikation. Die Schmerzen müssen unerträglich gewesen sein; nicht einmal Aufstehen war dem kleinen Luis möglich. Die Ärzte mussten den Zugang erneut öffnen und die Ursache beheben. Danach verheilte die Infektion allmählich.
Lila Píriz, Luis’ Großmutter väterlicherseits, wartete im Hof ihres Hauses in der Calle Ozimane auf mich. Sie brauchte ein bisschen, bis sie die Tür öffnete, und entschuldigte sich, den Besucher nicht ins Esszimmer bitten zu können – dort schliefen Leute. Am nächsten Tag sollte es nämlich ein großes Fest anlässlich ihrer Diamanthochzeit mit Atasildo Suárez geben. Aus ihrer Ehe waren sechs Kinder hervorgegangen, die ihnen 23 Enkel und 23 Urenkel schenkten, und viele von ihnen waren aus Montevideo zur Feier gekommen.
In der Küche werkelten bereits zwei Frauen, die Brotteig kneteten. Draußen im Hof krächzte ein Papagei in seinem Käfig. Lila warnte davor, sich ihm zu sehr zu nähern: „Kommen Sie mit dem Finger in die Nähe, beißt er zu.“ Ihr Mann Atasildo döste derweil auf einem Liegestuhl. Im Hintergrund blickte man auf das viele Grün von Salto. Lila sprach natürlich auch über ihren Enkel: „Er war ein guter Junge. Fußball war sein Ein und Alles. Der spielte von morgens bis abends und hat sich immer gut mit allen verstanden. Es ist ja jetzt schon ein paar Jahre her, dass er weg ist; erst nach Montevideo und dann nach Europa.“ Und Atasildo fügte noch hinzu: „Nein, Luis kommt nicht zur Diamanthochzeit. Aber für uns reicht es auch, bei seinen Erfolgen dabei gewesen zu sein. Und zu wissen, dass er auf der ganzen Welt berühmt ist, macht uns sehr stolz.“
Mehr war den Großeltern zu ihrem Enkel nicht zu entlocken. Allerdings hatten sie auch schon ganze Heerscharen neugieriger Journalisten aus aller Herren Länder zu Besuch gehabt, die allesamt mehr über die Familie Suárez erfahren wollten. Auch in Salto selbst halten sich diverse Gerüchte über den Kicker und seine Angehörigen. So brachte eine Lokalzeitung Anfang 2014 eine Story über María Josefa Reyes Pelusa, Luis’ damals 65-jährige Großmutter mütterlicherseits. Sie sei nach Salto zurückgekehrt, da es ihr nicht gut gehe und sie kein Dach über dem Kopf habe. In der Hoffnung auf größere Auflage fuhren die Zeitungen schweres Geschütz auf, als sie den großen Skandal witterten. Alles Mögliche wurde behauptet: Der Sohn von Reyes Pelusa habe die Stadt gedrängt, ihr ein Haus zu bauen; Luis hätte jegliche Zahlung verweigert und auch sonst nichts getan, um der Großmutter in ihrer schwierigen Lage beizustehen. Es gab Geschichten, dass Luis nichts von der Sache wisse, oder auch andersherum, dass er Geld geschickt habe, nachdem er davon erfuhr. Eigentlich war es eine private Familienangelegenheit, der die Presse aber unbedingt nachgehen musste …
Luis’ Vater Rodolfo Suárez war wie schon der Großvater Soldat und diente im 7. Infanteriebataillon „Ituzaingó“ – dem Präsident Pepe Mujica beim 100-jährigen Jubiläum 2010 übrigens als Zeichen der Annäherung zwischen der linken Regierung und den Streitkräften persönlich die Ehre erwies. Die General-Artigas-Kaserne, in der das 7. Bataillon gemeinsam mit der 3. Infanteriebrigade stationiert ist, liegt nur ein paar hundert Meter vom Haus von Lila Píriz und Atasildo entfernt.
Die Kaserne besteht im Wesentlichen aus einer großen grünen Fläche mit einigen Silos; drumherum sind ein Zaun mit Türmen, auf denen Soldaten mit Gewehren Wache stehen, und Schilder mit der Aufschrift „Militärisches Sperrgebiet. Betreten verboten“. Neben der Kaserne befindet sich eine Reihe kleiner gelber Häuser, in denen die Familien der Soldaten wohnen. Hierher, in die Nummer 1.120, zog auch die Familie Suárez Díaz. Allerdings kann sich kaum jemand an den kleinen Luis Suárez erinnern – die Häuser werden alle vier Jahre neu vergeben. Und doch ist hier der Ort, an dem „El Pistolero“ ernsthaft mit dem Fußballspielen begann: auf dem Fußballplatz des 1964 gegründeten Club Deportivo Artigas, dem Verein der Armeeangehörigen und deshalb auch „Soldatenklub“ genannt.
Miguel, der gerade das Dach des Klubheims ausbesserte, erklärte mir: „Während der Militärdiktatur kriegte der Verein ordentlich Kohle, auch für Material und Plätze. Da konnten damals nur wenige Klubs mithalten.“ Deshalb wären die „Milicos“ (was etwas flapsig für „Militärs“ steht) auch immer Fußballfans gewesen. Viele in Salto erinnern sich noch gut an den langanhaltenden Lärm der Bataillonssirenen nach Uruguays Sieg gegen Südkorea bei der WM 2010 – so wie schon 1950, als Uruguay im Maracanã Brasilien schlug und seinen zweiten WM-Titel gewann.
Rodolfo