Die Eroberung von Plassans. Emile Zola

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Die Eroberung von Plassans - Emile Zola

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gebracht hatte, setzte er sich seelenruhig auf das Terrassengeländer. Bedächtig trank er aus dem Glas, schnalzte mit der Zunge und hielt den Wein dabei gegen das Licht.

      „Der kommt aus der Ecke von Saint-Eutrope, dieser Wein da“, murmelte er. „Mich täuscht man nicht. Ich kenne die Gegend wie meine Rocktasche.“ Er schüttelte den Kopf und grinste.

      Da fragte ihn Mouret unvermittelt mit einem eigentümlichen Unterton in der Stimme:

      „Und wie geht es in Les Tulettes?“

      Macquart blickte hoch, sah alle an; nachdem er ein letztes Mal mit der Zunge geschnalzt und das Glas neben sich auf den Stein gestellt hatte, antwortete er lässig:

      „Ganz gut . . . Ich habe vorgestern Nachricht von ihr bekommen. Es geht ihr immer gleich.“

      Félicité hatte den Kopf abgewandt. Schweigen trat ein. Mouret hatte eben den Finger auf eine der offenen Wunden der Familie gelegt, als er auf die Mutter Rougons und Macquarts anspielte, die seit mehreren Jahren als Irre in der Anstalt von Les Tulettes eingesperrt war. Macquarts kleines Anwesen lag daneben, und es schien, als habe Rougon den drolligen Alten dort postiert, damit er auf die Ahne aufpasse.

      „Es wird spät“, sagte Macquart schließlich und stand auf, „ich muß vor Einbruch der Nacht zurück sein . . . Sag mal, Mouret, mein Junge, ich rechne an einem der nächsten Tage auf dich. Du hattest mir doch versprochen zu kommen.“

      „Ich komme, Onkel, ich komme.“

      „Darum geht es nicht, ich will, daß alle kommen, verstehst du! Alle . . . Ich langweile mich dort, so ganz allein. Ich werde für euch kochen.“ Und sich zu Félicité umwendend, fügte er hinzu: „Sagen Sie Rougon, daß ich auch auf ihn und auf Sie rechne. Daß die alte Mutter dort nebenan ist, soll Sie nicht hindern zu kommen; da würde es ja überhaupt keine Möglichkeit mehr geben, sich zu zerstreuen . . . Ich sage Ihnen, daß es ihr gut geht, daß man sie gut pflegt. Sie können sich auf mich verlassen . . . Sie sollen ein Weinchen kosten, das ich auf einem Hang an der Seille entdeckt habe; ein Weinchen, das Sie berauscht, Sie werden ja sehen!“

      Immer noch sprechend, wandte er sich zur Tür. Félicité ging so dicht hinter ihm her, daß sie ihn hinauszuschieben schien. Alle begleiteten ihn bis auf die Straße. Er band sein Pferd los, dessen Zügel er an einen Fensterladen geknüpft hatte, als Abbé Faujas, der nach Hause kam, mit einem leichten Gruß durch die Gruppe hindurchschritt. Man hätte meinen können, ein schwarzer Schatten eile geräuschlos dahin. Félicité drehte sich flink um, schaute ihm bis zur Treppe nach, weil sie nicht die Zeit gehabt hatte, ihm ins Gesicht zu sehen.

      Stumm vor Erstaunen schüttelte Macquart den Kopf und murmelte: „Wie, mein Junge, du beherbergst jetzt Pfarrer bei dir? Und er hat ein eigentümliches Auge, dieser Mann. Nimm dich in acht: Soutanen bringen Unglück!“

      Er setzte sich auf die Wagenbank, pfiff leise und fuhr die Rue Balande im leichten Trab seines Pferdes hinunter. Sein runder Rücken verschwand samt seiner Pelzmütze an der Biegung der Rue Taravelle.

      Als sich Mouret umwandte, hörte er, wie seine Schwiegermutter zu Marthe sagte:

      „Mir wäre es lieber, wenn du ihm die Einladung ausrichtest, damit es nicht so feierlich wirkt. Wenn du eine Möglichkeit fändest, mit ihm darüber zu sprechen, würdest du mir eine Freude machen.“

      Sie schwieg, als sie sich ertappt fühlte. Nachdem sie Désirée überschwenglich geküßt hatte, brach sie endlich auf, wobei sie sich durch einen letzten raschen Blick vergewisserte, daß Macquart hinter ihr nicht zurückkehrte, um über sie zu schwatzen.

      „Du weißt, daß ich dir ganz entschieden verbiete, dich in die Angelegenheiten deiner Mutter zu mischen“, sagte Mouret zu seiner Frau, als sie wieder ins Haus traten. „Sie steckt immer in einem Haufen Geschichten, die niemand durchschauen kann. Was zum Teufel kann sie mit dem Abbé vorhaben? Wegen seiner schönen Augen würde sie ihn nicht einladen, wenn sie nicht ein heimliches Interesse hätte. Dieser Pfarrer ist nicht umsonst von Besançon nach Plassans gekommen. Dahinter steckt irgendwas.“

      Marthe hatte sich wieder an das ewige Ausbessern der Familienwäsche gemacht, das ihr ganze Tage wegnahm.

      Er strich noch eine Weile um sie herum und murmelte:

      „Die machen mir Spaß, der alte Macquart und deine Mutter. Na tatsächlich, die können sich nicht ausstehen! Du hast gesehen, wie ihr die Luft wegblieb, weil sie ihn hier erblickte. Man möchte meinen, sie hat immer noch Angst, zu hören, wie er Sachen erzählt, die man nicht wissen soll. Er wäre nicht darum verlegen, hübsche Sachen zu erzählen . . . Aber mich wird man nicht bei ihm ertappen. Ich habe geschworen, mich nicht in diesen Wirrwarr hineinzumischen . . . Siehst du, mein Vater hatte recht, wenn er sagte, daß die Familie meiner Mutter, diese Rougons, diese Macquarts, nicht den Strick zum Aufhängen wert sei. Ich habe ebenso wie du Blut von ihm; es kann dich nicht verletzen, daß ich das sage. Ich sage es, weil es stimmt. Heute sind sie zu Vermögen gekommen, aber das hat sie nicht vom Schmutz gesäubert, im Gegenteil.“

      Schließlich ging er fort und machte einen Spaziergang über den Cours Sauvaire, wo er Freunde traf, mit denen er vom Wetter, von den Ernten, von den Geschehnissen des Vortages plauderte. Eine große Bestellung Mandeln, die er am folgenden Tag übernahm, hielt ihn mehr als eine Woche lang in ständigem Kommen und Gehen, was bewirkte, daß er Abbé Faujas fast vergaß. Übrigens begann ihn der Abbé zu langweilen; er redete nicht genug, er war zu geheimniskrämerisch. Er ging ihm zweimal aus dem Wege, weil er glaubte, der andere suche ihn einzig und allein, um das Ende der Geschichten über die Bande der Unterpräfektur und die Bande der Rastoils zu erfahren. Als Rose ihm erzählte, daß Frau Faujas versucht habe, sie zum Sprechen zu bringen, hatte er sich vorgenommen, die Lippen nicht mehr aufzutun. Ein anderes Vergnügen füllte seine leeren Stunden aus. Wenn er jetzt die so gut verschlossenen Vorhänge im zweiten Stock betrachtete, brummelte er vor sich hin:

      „Versteck dich ruhig, mein Guter . . . Ich weiß, daß du mich hinter deinen Vorhängen belauerst; das bringt dich immer noch nicht groß voran. Wenn du damit rechnest, durch mich die Nachbarn kennenzulernen!“

      Dieser Gedanke, daß Abbé Faujas auf der Lauer lag, erheiterte ihn ungemein. Er gab sich viel Mühe, um nicht in irgendeine Falle zu gehen. Aber als er eines Abends nach Hause kam, gewahrte er fünfzig Schritt vor sich Abbé Bourrette und Abbé Faujas, die vor Herrn Rastoils Tür stehengeblieben waren. Er verbarg sich in einem Hauswinkel. Die zwei Priester hielten ihn dort eine gute Viertelstunde fest. Sie sprachen lebhaft, trennten sich, kamen dann wieder. Mouret glaubte zu verstehen, daß Abbé Bourrette Abbé Faujas inständig bat, ihn zum Präsidenten zu begleiten. Dieser entschuldigte sich, lehnte schließlich mit einiger Ungeduld ab. Es war ein Dienstag, ein Empfangstag. Endlich trat Bourrette bei Herrn Rastoil ein; Faujas schlich in seinem demütigen Gang nach Hause. Mouret blieb nachdenklich. Wirklich, warum ging der Abbé nicht zu Herrn Rastoil? Die ganze Pfarre Saint-Saturnin speiste dort, Abbé Fenil, Abbé Surin und die anderen. Es gab keinen Schwarzrock in Plassans, der nicht im Garten vor dem Wasserfall die kühle Abendluft genossen hätte. Diese Weigerung des neuen Vikars war eine wahrhaftig ungewöhnliche Sache.

      Als Mouret nach Hause gekommen war, ging er schnell hinter in seinen Garten, um die Fenster im zweiten Stock zu beobachten. Nach einer Weile sah er, wie sich der Vorhang des zweiten Fensters rechts bewegte. Sicherlich stand Abbé Faujas dort, um auszukundschaften, was bei Herrn Rastoil vorging. An gewissen Bewegungen des Vorhangs glaubte Mouret zu erkennen, daß er gleichfalls nach der Seite der Unterpräfektur hinüberblickte.

      Als er am nächsten Tag, einem Mittwoch, ausgehen wollte, teilte ihm Rose mit, daß Abbé Bourrette seit mindestens einer Stunde bei den Leuten im zweiten Stock sei. Da kehrte er wieder um und schnüffelte im

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