Der Sommer in dem Linda schwimmen lernte. Roy Jacobsen

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Der Sommer in dem Linda schwimmen lernte - Roy Jacobsen страница 11

Автор:
Серия:
Издательство:
Der Sommer in dem Linda schwimmen lernte - Roy Jacobsen

Скачать книгу

zu gierig verzehrte, dass es damit an Linda etwas auszusetzen gab, oder etwas, das man sich anders gewünscht hätte, und ich glaube, das war gut für uns alle, denn Linda hatte noch immer nichts gesagt. Das tat sie erst, als wir zur Tür hereinkamen.

      »Bett«, sagte sie.

      »Ja«, sagte Mutter verwirrt. »Da wirst du schlafen.«

      Worauf Linda den Eisengriff um Mutters Finger löste und ins Bett kletterte und sich hinlegte und die Augen schloss, während Mutter und ich stehen blieben und diesem Spiel zusahen, nach und nach immer verwunderter, denn es war kein Spiel, Linda schlief wie ein Stein.

      Mutter sagte, Ja, Ja, und deckte sie zu und blieb auf der Bettkante sitzen und streichelte ihre Haare und ihre Wange. Dann ging sie hinaus und ließ sich am Küchentisch auf einen Stuhl fallen, als ob sie soeben aus dem Krieg heimgekehrt wäre.

      »Sie ist sicher total erschöpft, die Arme. Einfach zu uns zu kommen. Ganz allein ...«

      Auch für diese Argumentation hatte ich kein Verständnis, denn was sollte zum Beispiel besser sein, als zu uns zu kommen, in ein Bett, das schon dreimal neu gemacht worden war, ohne dass jemand darin gelegen hätte? Das sagte ich auch, ich zeigte Mutter, dass ich unser neues Familienmitglied schon ziemlich satt hatte.

      Aber das hörte sie nicht, sie hatte das blaue Köfferchen geöffnet und einen Brief gefunden, eine Art Gebrauchsanweisung, wie sich herausstellte, darin stand mit gerader Handschrift, was Linda gern tat – spielen (!) und essen: Kunsthonig und Kümmelkäse und Soße und Kartoffeln; Fisch und Fleisch und Gemüse mochte sie weniger gern. Es stand dort aber auch, wir sollten »nicht zu viel Essen in das Kind hineinstopfen«. Außerdem hatte sie eine Schwäche am linken Knie, deshalb musste sie Medizin nehmen, Pillen, die in Dosen steckten, auf denen Lindas Name stand, und Mutter fand auch die im Koffer und hielt sie ins Licht, um sie sich genauer anzusehen, zwei Pillen jeden Abend, oder drei. »Und sie muss ein ganzes Glas Wasser dazu trinken«, stand in dem Brief, »gleich vor dem Schlafengehen, sonst steht sie nachts auf und geht zum Kühlschrank.«

      Und wieder konnte Mutter nicht mehr.

      »Großer Gott.«

      »Was ist los?«, fragte ich.

      »Wie traurig!«, stöhnte sie.

      Ich begriff noch immer nichts, konnte nur wiederholen:

      »Was ist denn los?«

      »Und sie hat solche Ähnlichkeit mit ihm!«

      »Ähnlichkeit mit wem?«, schrie ich und merkte, dass ich wirklich abstürzte, nicht aufgrund dessen, was sie sagte, sondern weil sie so aussah. Sie sprach natürlich über den Kranführer, Lindas Vater, meinen Vater, die Scheißursache für dieses Geheule, den Mann, der, ehe er heruntergefallen war, so viel Chaos hatte veranstalten können, dass wir nicht mehr wussten, was oben und was unten war. Und als wäre das nicht genug gewesen, kam nun auch noch Kristian nach Hause und hörte aus der Diele, dass irgendetwas nicht stimmte, und fragte, was um alles in der Welt ist denn hier los?

      »Das geht dich einen feuchten Kehricht an!«, schrie Mutter total außer sich und gab sich keinerlei Mühe, ihr tränennasses Gesicht zu verbergen. »Mach, dass du wegkommst! Hörst du? Und lass dich hier ja nie wieder blicken!«

      Kristian schaffte das Kunststück, zu begreifen, dass das hier ein Ausnahmezustand war, und zog sich ruhig zurück. Anders als ich.

      »Aber mit wem hab ich denn dann Ähnlichkeit?«, rief ich. »Du hast nie gesagt, dass ich mit irgendwem Ähnlichkeit habe!«

      »Was bildest du dir denn ein.«

      Ich war ein anderer und begriff das erst, als ich ihre Hand packte und die Zähne in die beiden Finger bohrte, die Linda mit Beschlag belegt hatte, und so fest zubiss, wie ich nur konnte, damit sie wirklich einen Grund zum Schreien hätte. Sie verpasste mir mit der flachen Hand eine Ohrfeige, hart und gründlich, was sie noch nie getan hatte, und wir starrten einander noch mehr wie verwandelt an. Ich spürte sogar in meinem unerträglichen Gesicht ein starres Lächeln und eine beißende Kälte.

      Ich erbrach mich zwischen uns auf den Boden und ging ruhig hinaus in die Diele und zog meinen Mantel an und ging hinaus auf die Straße zu den anderen, zu denen, die kein Zuhause hatten, wie es aussehen konnte, denn sie waren jedenfalls nie zu Hause, die Großen und Verlorenen, Raymond Wackarnagel und Ove Jøn etcetera ... und an diesem Abend schlugen wir die Fensterscheiben in der Eingangstür von Zweier und Vierer und Sechser und Siebener und Elfer ein und auch das Fensterchen von Liens Lager, wo Griesmehl und Drehtabak aufbewahrt wurden. Niemals wurden an einem einzigen Samstagabend in Tonsenjordet noch mehr Scheiben eingeschlagen. Und vielleicht war ich der Einzige, der wusste, warum, oder der zumindest einen Grund hatte, ein stummes und seltsames Wesen, das zu Hause lag und in unserem neuen Etagenbett schlief; die anderen taten es wohl aus alter Gewohnheit, oder weil es in ihrer Natur lag, in meiner lag es einwandfrei nicht.

      An den folgenden Tagen war die Hölle los, mit Ermittlungen und Hausmeister und Genossenschaftsvorsitzendem. Es war ja nun kein Problem, festzustellen, wer es gewesen war, es waren die üblichen Verdächtigen, Ove Jøn und Raymond Wackarnagel etcetera. Das Mysterium war ich, der noch niemals etwas angestellt hatte, sondern als Muttersöhnchen galt, und nicht nur, weil mir der Vater fehlte, sondern auch, weil ich ein ausgeglichener Junge war, ein munterer Junge mit beiden Füßen auf dem Boden und einem hellen Kopf, wie Frau Henriksen unter meine Schönschreibarbeiten schrieb; ich konnte lesen und rechnen, ich fürchtete mich nicht, nicht einmal vor Raymond Wackarnagel; ich spülte fast jeden Abend, ich war ein wenig klein gewachsen, aber ich pisste mir nicht in die Hose und strich mehr als gern eine ganze Wand mit dem Pinsel an, wenn das von mir verlangt wurde. War ich nur in schlechte Gesellschaft geraten? Oder lag auch in mir ein unberechenbarer Teufel auf der Lauer?

      Das gab Kristian die Möglichkeit, sich wieder einzuschalten.

      »Scheiß drauf«, sagte er zum Genossenschaftsvorsitzenden Jørgensen, der breit und fesch in unserer Diele stand und mit Mutter darüber sprach, wie man den Pöbel zur Raison brachte. »Mit dem Jungen ist alles in Ordnung.«

      »Woher willst du das denn wissen?«, fragte sofort Mutter, die es aus gegebenen Anlass für nötig gehalten hatte, sich mit Jørgensen ein wenig zu verbünden, das kann sie aus dem Effeff, meine Mutter, wenn es sein muss, das kommt von ihrer Kindheit, als jüngstes von vier Geschwistern, aus Torshov, mit einem Vater, der offenbar viel getrunken hatte, und einer Mutter, die sich nach dem Tod des Vaters in seinen Sessel gesetzt und ebenfalls das Trinken angefangen hatte.

      »Das können doch alle sehen«, sagte Kristian mit seiner unbesiegbaren Gewerkschaftsstimme, »wenn sie noch bei Verstand sind.«

      Sicherheitshalber legte er mir auch die Hand auf den Kopf und lächelte, Gott weiß, worüber, und ging summend in sein Zimmer.

      Mutter blieb mit verschränkten Armen stehen und spielte an dem Verband herum, den sie um zwei schmerzende Finger gewickelt hatte, die Lindafinger, jetzt ein wenig unsicherer, was die unheilige Allianz anging, die sie mit Jørgensen eingegangen war, einem Mann, der entschied, wann die Heizkörper ausgelüftet werden sollten und wann die Tretschlitten zusammengelegt wurden, ehe sie für den Sommer im Luftschutzraum eingelagert wurden.

      »Na gut, wir wollen ja auch nicht übertreiben«, sagte sie und schaute in eine andere Richtung. Und mehr war nicht nötig, denn nun fing auch ich wieder an zu flennen und mir rutschte heraus, dass ich das Fenster im Elfer bezahlen würde, denn nur das hatte ich eingeschlagen, von meinen Ersparnissen.

      Mutter musterte mich gerührt und Jørgensen begriff, dass

Скачать книгу