Der Sommer in dem Linda schwimmen lernte. Roy Jacobsen
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Jetzt wartete sie am Küchentisch.
Auf das Abendbrot.
Entsprechend der Gebrauchsanweisung in dem blauen Koffer hatten wir die Aufgaben schon so verteilt, dass Mutter die Brote schmierte und sie auf zwei Teller verteilte und diese neben unsere Milchgläser vor uns stellte. Gleich viele Schnitten auf jeden Teller, zweieinhalb, mit dem Aufstrich, den wir uns wünschten, während Mutter nur eine aß, mit Sirup, was sie an ihre Kindheit erinnerte, oder eher daran, wovon sie nie genug bekommen hatte, denn bei ihnen war der sogenannte Schmalhans Küchenmeister gewesen. Sie stand vor der Anrichte und machte sich zugleich an irgendetwas in einem Schrank oder im Spülbecken zu schaffen, und ab und zu sagte sie etwas Witziges. Und Linda bekam keine weiteren Brote, egal, wie sehr sie Mutter mit stillen langen Blicken ansah, die normalerweise die stärkste Willenskraft bezwungen hätten, ja, auch wenn sie längst nicht mehr so gierig zulangte wie an Tag 1, und wenn sie außerdem begriffen hatte, dass sie nicht die ganze Hand auf den Aufstrich legen durfte, auf den Kunsthonig zum Beispiel.
Ich merkte, auch wenn ich gerade an diesem Abend gern noch eine Schnitte gehabt hätte und wenn es bei uns nie ein Thema gewesen war, ob ich ein, zwei oder sechs aß, dass ich es doch nicht erwähnte, was mir einen beifälligen Blick von Mutter eintrug, denn wir waren in der Aufgabe miteinander verschmolzen, die Anweisungen im Brief zu befolgen. Linda begriff, was Sache war.
»Lesen«, sagte sie.
Und dann wurde gelesen. Aber zuerst wurde der Tisch abgeräumt und gespült, wenn wir das so nennen können, denn Linda war vollauf damit beschäftigt, auf dem Hocker zu stehen – von dem ich hatte weichen müssen – mit den Händen im Seifenwasser herumzuplatschen, während ich gründlicher als sonst spülte und merkte, dass sie jetzt nicht mehr seltsam roch, sie roch nach gar nichts, so wie ich. Sie war außerdem gekämmt, hatte kürzere Haare und trug eine hellblaue Haarspange, die den Pony aus ihren großen Augen hielt, die sie nun nicht mehr verbergen konnte. Mutter fragte, ob sie ein Lied kenne. Linda murmelte nach einigem Hin und Her einen Titel, den ich noch nie gehört hatte, aber Mutter lächelte und summte und konnte zwei Strophen von genau diesem unbekannten Lied, während sie abtrocknete und wegräumte, und Linda lächelte verschämt ins Spülwasser und bekam rote Wangen, was wir für ein gutes Zeichen hielten, denn um ehrlich zu sein, hatte sie noch nicht viel gelächelt, seit sie gekommen war.
Auch das Lesen hatte sich um einiges verändert, jetzt waren wieder die Bobbsey-Zwillinge angesagt, die ich reichlich satt hatte, eine Bande von Kindern, die dermaßen viele Eltern und Onkel und Tanten hatte, dass es nicht zu fassen war, und Mette-Marit in der Ballettschule, was Mutter als kleines Kind gelesen hatte und was sie auch mir hatte aufschwatzen wollen, ich konnte Mette-Marit nicht ausstehen. Außerdem wollte Linda nicht sehr viel lesen, sondern die ersten anderthalb Seiten immer wieder hören, als ob sie den Faden verlor, wenn die Erzählung erst in Gang kam, oder vielleicht, weil sie eine besondere Vorliebe für Wiederholungen hegte.
Aber es hat eine eigene Stimmung, so unter der Zimmerdecke zu liegen, mit den Armen unter dem Kopf, und zu wissen, dass du deine eigenen Bedürfnisse für dich behalten musst, wenn du nur weißt, dass das geschätzt wird, und dafür sorgte meine Mutter, mit einem neuen Blick, den sie sich zugelegt hatte; wir waren wie gesagt zu einem Team geworden, mit dem Auftrag, uns um einen Menschen zu kümmern, den wir noch nicht ganz durchschauten, und das würde auch noch dauern, nämlich mehr als drei Monate.
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