Die Vollendung des Königs Henri Quatre. Heinrich Mann
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Читать онлайн книгу Die Vollendung des Königs Henri Quatre - Heinrich Mann страница 11
„Schnell gesund werden, Rosny, hartnäckiger alter Ketzer, damit wir Paris nehmen.“
Auch der Baron raunte nur: „Eure Majestät spricht kaum noch wie einer von der Religion.“
Henri, immer leiser: „Würde es Ihnen etwas ausmachen?“
Rosny, am hingehaltenen Ohr des Königs:
„Sire! Von einem hartnäckigen Hugenotten, wie ich es bin, dürfen Sie nicht verlangen, daß ich Ihnen zurate, zur Messe zu gehn. Eins will ich Ihnen aber doch sagen, daß dies allerdings das schnellste und leichteste Mittel ist, damit alle bösen Anschläge zu Rauch werden.“
Der König richtete sich im Sattel auf. Als hätte er nichts gehört, zeigte er nach dem Schloß, das nah war. „Adieu, mein Freund, gehabt Euch wohl. Wenn mir’s gelingt und ich bekomme Zuwachs von Macht und Größe, Ihr Anteil, Herr de Rosny, ist Ihnen gewiß.“
Sprach es, gab seinem Pferde die Sporen, und hinter sich die Jagd und die Meute, sprengte der König von Frankreich voll Eifer durch das waldige Gebiet seines treuen und klugen Dieners. Einmal verließ er das Gehölz und geriet auf einen Acker, Birken standen hoch darum her. Leicht schwebten ihre Wipfel im Himmelsblau. Über die Erde gebückt arbeiteten Bauern — sahen auf, als sie den Hufschlag hörten, und wollten zur Seite springen. Die Jagd hielt aber auf der Stelle an, und der König, den diese Leute noch nicht kannten, zeigte nach dem Schloß, das fern und blauend aus Wipfeln ragte. Den ältesten der Männer fragte er: „Sag mir, Freund, wem das Schloß gehört?“
„Herrn de Rosny“, antwortete der Alte.
Dem rüstigen Sohn befahl der König: „Reich mir eine Handvoll Ackerkrume“, und der gab sie ihm auf das Pferd. Der König ließ die Erde von einer Hand in die andere gleiten. „Gute fette Krume. Wem gehört der Acker?“
„Herrn de Rosny.“
„Seht her!“ Der König hatte den Klumpen auseinandergenommen: es glänzte darin ein Silbertaler. „Der ist für Madelon. Mach deine Schürze auf.“ Das tat das Mädchen, er warf das Geldstück hinein, und sie lachte zu ihm hinan aus halbgeschlossenen Augen — ein schelmisches Leuchten und geheimes Einverständnis, ihm wohlvertraut aus allen seinen Jugendtagen.
Im Weiterreiten rief er zurück:
„Ihr habt einen guten Herrn, und auch er wird an mir alle Zeit einen guten Herrn haben.“
Da sahen die Leute einander mit offenen Mündern an, dann aber liefen sie, lautlos vor Staunen, noch schnell ein Stück hinterdrein. Von den Hufen der Pferde stoben die Schollen, fröhlich bellten die Hunde, und ein Jäger stieß ins Horn.
Ein Höllenpfuhl
„Es lebe Gott, der König ist tot“, sagten sie in Paris und glaubten wirklich, daß er diesmal nicht nur Unglück gehabt, sondern ausgespielt habe. Aber der König ließ sie dabei. Ein Regen ohne Ende fiel, die Landstraße war verlassen, man hörte nichts von ihm, obwohl er nur einen Tag entfernt in Mantes war. Er hatte die Stadt erobern müssen wie jede andere. Kaum in ihren Mauern, gab er den Bäckern ein Fest. Diese Zunft hatte in Erfahrung gebracht, daß der König dort unten in seiner Heimat eine Mühle besaß und der Müller von Barbaste hieß. Um seinem Namen Ehre zu machen, spielte er mit ihnen Ball, sie gewannen ihm all sein Geld ab, und dann wollten sie aufhören. Er verlangte Genugtuung, und als sie sich weigerten, ließ er die ganze Nacht Brot backen. Am Morgen verkaufte er es für die Hälfte: wie sie da kamen und sich erboten, mit ihm weiterzuspielen!
Diese Sache ließ er eigens nach Paris melden. So erfuhren sie dort nicht nur, daß er lebte, was schon Unglück genug war; sondern daß er überall das Getreide aufkaufte. Sein Heer muß unzählig sein! Plötzlich weiß jeder und gibt es zu, daß der König bei Ivry gesiegt hat. Er hat unseren Herzog ganz entsetzlich geschlagen. Der Dicke und sein auseinandergelaufenes Heer findet nie mehr zu uns her die aufgeweichten Wege. Der rettet uns diesmal nicht. Nur den Ketzer wird nichts abhalten, den dürfen wir erwarten, schon das vorige Mal hat er unsere Vorstädte rein ausgeplündert und neuntausend erschlagen.
Es waren achthundert gewesen, aber der Schrecken der großen Stadt übertrieb in jedem Betracht, sowohl seine Furchtbarkeit wie ihre eigene Ohnmacht. „Der führt Krieg gegen die Mühlen und Kornspeicher des ganzen Landes. Wir werden verhungern!“ sagten sie, wurden gelähmt vom Vorgefühl und sahen zu, wie die Spanier sich mit Lebensmitteln versorgten. Die Spanier, das waren der Gesandte Mendoza und der Erzbischof von Toledo, dieser in besonderer Sendung, damit er seinem König Don Philipp berichtete, was den nächstens ausersehenen Untertanen der Weltmacht am meisten fehlte, ob der Glaube oder das Geld. Nun, es sollte das Brot sein, wie der Erzbischof bemerken konnte. Er und die spanische Partei versorgten sich, besonders die sechzehn Vorsteher der Stadtteile, und vor allem die Klöster.
Die Herzöge von Nemours und von Aumale befehligten die Besatzung, waren mit Spanien wohl oder übel verbündet, hielten aber im Wesen zu Frankreich, was für Paris damals nicht mehr die Regel war: nur alte Leute, die in Gefängnissen saßen, wußten noch, was die Freiheit, die Religion und der gesunde Sinn sind. Einer, Bernhard Palissy, bot aus der Bastille heraus dem Herzog von Nemours, einem Guise, den Stein der Weisen an. So nannte er einen versteinerten Schädel — und meint eigentlich, daß der Anblick eines so alten Menschenrestes den Lothringen mahnen sollte, den verfehlten, unheilvollen Ehrgeiz seines Hauses aufzugeben und den wahren König von Frankreich anzuerkennen. Denn wir treten bald vor Gott, meinte der Achtzigjährige, der nie erfuhr, daß Nemours in der Tat in sich gegangen war bei der Berührung des „Steines der Weisen“.
Daneben gab es die Schwester der Lothringen, die berühmte Herzogin von Montpensier, deren Gatte im Heer des Königs stand; sie selbst war seine Feindin und stolz darauf, daß sie den Mörder des vorigen Königs abgerichtet hatte für die Tat. Nicht genug daran, sie wollte den Hugenotten auf dem Schafott sehen. Wie denn, am Rad und Galgen! Die Furie der Liga hetzte schon wieder von ihrem Balkon herab die Jugend der hohen Schulen, bis sie ihr Mordgeschrei durch die Straßen trugen. Die schöne, aber alternde Herzogin indessen in ihrem Palast hielt sich den unbändigen Busen. Der Haß und Rachedurst, der ihn stürmisch bewegte, war schmerzhaft, zuletzt wurde er ihr verdächtig. Der Sieg Navarras bei Ivry, sie hatte ihn durch ihren Bruder Mayenne, den Besiegten, früher erfahren als sogar die Spanier, hatte die Kenntnis lange für sich behalten und verschwieg sich selbst den Grund, bis es sie überwältigte. „Navarra“, sagte sie, um nicht „Frankreich“ zu sagen; aber in ihrer leidenschaftlichen Brust hieß sein Name nur Henri, und ihr Haß war ihr zur Qual wie sein Glück. Sie hörte, daß er den Prior ihres Mönches gefangen hatte, desselben, den sie zum Königsmord abgerichtet hatte. Henri übergab den Prior seinem Gericht in Tours, der Prior wurde von vier Pferden zerrissen, die Herzogin lag drei Stunden in Ohnmacht. Ambroise Paré kam, ein alter Chirurg, den alle achteten, obwohl er Hugenott war. Er ließ die Dame zur Ader, und als sie erwachte, fragte sie: „Ist er schon da?“ — in einem Ton, mit einem Gesicht, daß der Greis zurückwich, er, der die Bartholomäusnacht und auch sonst schon mehrmals die Hölle erblickt hatte.
Die große Stadt glaubte alles. Er ist da, glaubte sie, während er erst überlegte, ob er seine Soldaten nochmals gegen die Vorstädte von Paris losließe. Wir verhungern! weinten sie, als ihre Märkte noch hätten voll sein können; wurden aber Verraten von den Vorstehern der sechzehn Stadtteile, die nur spanisch dachten, obwohl ihre Rede französisch war. Am achten Mai des Jahres 1590 hielt der König seine Hauptstadt endlich ganz eingeschlossen. Diesmal ließ er ihr keine Ausflucht, weder links noch rechts des Flusses, nahm die Vorstädte, verhinderte Gewalt, ließ seine Geschütze mäßig über die Mauern schießen — umschloß sie nur, eng und ohne Ausflucht.