Die Vollendung des Königs Henri Quatre. Heinrich Mann
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Читать онлайн книгу Die Vollendung des Königs Henri Quatre - Heinrich Mann страница 13
Die Reue entrang es ihm, die Verzweiflung über die Taten, die er nicht eigentlich beging, sondern er war in sie versetzt. Aber das versteht kein alter Kriegsmann bis zuletzt — obwohl gerade Biron belehrt war über einige Dunkelheiten und Tiefen seines leichten Kampfhahns und Königs. Ihre eigenen Kämpfe, bevor diese beiden einander gefunden hatten und in den Armen gelegen, waren besonders und von der Art strenger gegenseitiger Prüfung gewesen: Biron vergaß es nicht. Hager aufgerichtet, leicht schwankend von dem Wein, den er jederzeit trank, ohne jemals seine Klarheit zu verlieren, ein Totenkopf mit hängendem Schnurrbart — stand Marschall Biron, überlegte, erwog und brachte hervor, niemand hätte vermutet, wie zart und voll Zweifel: „Sire! Soll ich’s weiterreden?“
Henri nickte, weil die Stimme ihm ausblieb. Dann flüsterte er: „Reden Sie — aber tun Sie, als ob Sie lügen.“
Biron bestätigte es ihm. „Man wird die Wahrheit umsonst zu erraten suchen. Weiß ich sie doch selbst nicht. Denn Eure Majestät haben als Hugenott Ihren Glauben und Anspruch auf den Thron verteidigt länger als zwanzig Jahre: auch gegen mich, der ich Ihr Feind war und der Feind des Admirals Coligny, den wir Papisten ganz schrecklich töteten. Ich hab nichts aus all der Zeit vergessen. Sire! Und Sie?“
Der König hörte die zarte, aber mächtige Ansprache eines Katholiken, der ihn warnte. ,Soll ich wirklich die Religion der Königin, meiner Mutter, abschwören?‘ erkannte Henri. Er blickte in eine niederschmetternde Helligkeit, woraus man ihn ansah und im Auge behielt — wer, das sagte ihm nur sein Schuldgefühl. Er war geblendet, die Helligkeit war das innere Licht des Gewissens. ,Mutter‘, dachte er. ,Herr Admiral‘, dachte er.
Obwohl sehr bleich und mit einem Gefühl großer Schwäche, versteifte er sich, befestigte die Stimme und wiederholte seinen Befehl. Von der Tür, im letzten Augenblick rief er den Marschall noch zurück. „Aber nicht meinen Protestanten sagen Sie es! Nicht meinen Protestanten!“
Er wußte, daß sie es natürlich erfahren würden. Auch das Verhalten jedes einzelnen der alten Freunde konnte er voraussehen. Froh war er nur, daß er Mornay oder die Tugend nach England geschickt hatte. Bis dorthin das Gerücht dringt, ist es eine matte Fabel, und der Königin Elisabeth, die dennoch Verdacht schöpfen könnte, wird Mornay ihn ausreden. Statt des einen Abwesenden zeigten genug andere ihm ihre strengen oder traurigen Gesichter: mehrere hätte er für leichter gehalten. Roquelaure, der gerne glänzt, ehrgeiziger Turenne, ihr habt die Kraft, wahr zu sein, und einen König, der lügen will, zu mißbilligen! Sein Agrippa stellte sich wohl nichtsahnend, gedachte aber in Wahrheit, seinen König zu überrumpeln. „Sire!“ begann er. „Ich bin in Gewissensnöten.“
„Du, Agrippa?“
„Ich. Wer denn sonst. Mir hat ein Freund aus Paris die Namen von Verschwörern verraten, schickt mir sogar ihre eigenen Briefe, daraus zu ersehen, was sie vorhaben gegen das Leben Eurer Majestät.“
„Gib sie mir!“
„Gerade Ihnen? Sire! Der spanische Gesandte wird mir mehr zahlen als Sie, wenn ich ihn in Kenntnis setze, daß dieses Unternehmen entdeckt ist. Aber obwohl ich auf Geld immer sehr bedacht bin, wie Sie wissen, erwerbe ich es doch niemals durch Verhandlungen mit den Feinden der Religion und meines Königs.“
„Wartest lieber, bis die Mörder mich haben? Oder welchen Preis machst du mir?“
Strafend wie jetzt hatte Agrippa noch niemals ausgesehen. In Minuten schien er um drei Zoll gewachsen.
„Keinen. Es ist dafür gesorgt, daß Sie diese Leute, wenn sie Ihnen unter die Augen treten, nicht einmal erkennen.“
„So werde ich dir nicht glauben, daß ich in Gefahr gewesen bin.“
„Sire! Wie Sie befehlen“, schloß Agrippa kühn und auch wieder humorvoll nach seiner Art. Nun geschah es gleich darauf, daß mehrere spanische Herren im Auftrag Don Philipps dem König von Frankreich, der seine Hauptstadt belagerte, eine Infantin zur Ehe anbieten wollten. Henri in seiner Begierde nach Frieden mit seinen Untertanen, beeilte sich, die Unterhändler zu empfangen. Nur der erste von ihnen wurde zu ihm gebracht, und man hielt ihn bei den Händen, links ein anderer, aber rechts Agrippa, der sich stellte, als wäre dies eine unverfängliche Höflichkeit — hielt indessen dem Manne das Handgelenk fest. Henri begriff. Er fertigte den falschen Beauftragten schnell ab, fragte auch nicht, was mit ihm und den übrigen nachher geschah. Seinem Agrippa d’Aubigné bot er keine Belohnung für die Lebensrettung an, und noch weniger dankte er ihm die erhaltene Belehrung, wie man uneigennützig, gerade und der eigenen Sache beharrlich treu ist.
Er glaubte, daß ihm selbst die Untreue leider aufgetragen wäre von Gott, da beschlossen war, daß er sollte das Königreich retten. ,Ich ehre Gott‘, so rechtfertigte Henri seine Untreue, was sogar mit dem Allwissenden nicht leicht ist. ,Ihm gehorch ich gegen das Andenken meiner Mutter und des Admirals, aller unserer Gewissenskämpfer, gegen das Bekenntnis der Pastoren und ungeachtet einer ganzen Million Opfer der Religionskriege.‘ Eine neue, erschreckende Einsamkeit befiel hier seinen Geist. ,Nicht alte Freunde, nicht Partei noch die geschützten Städte, in denen wir beten durften, La Rochelle am Meer, nicht einmal du! Keine einmütige Verbundenheit mit denen meines Glaubens, kein Psalm in der Schlacht: nichts hält stand, da das Königreich ruft. Das Königreich, das ist mehr als Meinung oder Absicht, ist mehr sogar als Ruhm: es sind menschliche Wesen wie ich’; so beteuerte er und fühlte hier wirklich: er war gerettet., Menschliche Wesen — aber einige von ihnen, über der Mauer, die ich mit Augen sehe, vergehen sich gegen die Natur! Dorthin kommt es mit ihnen, sobald nicht mehr der König sie bei ihrer Menschenpflicht erhalten kann. Das will ich tun, das allein soll mich retten bei Gott und Menschen.‘
„Wollen wir denn die beiden Gottlosen empfangen“, sagte er, meinte aber eine Zusammenkunft mit dem Kardinal von Paris und dem Erzbischof von Lyon. Er nannte sie gottlos, um seinen Glauben an das Königreich zu bekräftigen, während solche Wesen davon nichts halten. Mit mehr als tausend Edelleuten begab er sich an einem Augusttag um zwölf Uhr nach dem Kloster außerhalb der belagerten Hauptstadt, wo ihre Abgesandten ihn aufsuchten. Es waren Herren von Würde und Gewicht, hatten bis jetzt keinen Mangel gelitten, wie auch ihre gesamte Begleitung nicht. Sie verneigten sich vor dem König, aber nicht gerade zu tief: das hatte die belagerte Hauptstadt noch nicht nötig, wenn man ihre Gesandten sah. So gemessen wie diese konnte der König sich nicht benehmen, das Gedränge um ihn war zu dicht. Er sagte ihnen: „Wundern Sie sich nicht, wie ich gedrückt werde. In der Schlacht ist es ärger.“
Nun mochte er sich denken, daß sie hier nichts weiter wollten, als Zeit gewinnen, bis Mayenne die Hilfstruppen aus Flandern bekam und Paris entsetzte. Ihre Verhandlung mit dem König sollte das hungernde Volk von Paris hinhalten, weil es sonst versuchte, sich zu empören. Die beiden Bischöfe waren ihrerseits überzeugt, daß ihm der Hungertod einiger tausend Gemeiner so gleichgültig wäre wie ihnen selbst. Fragte sich nur, ob er dies zugeben durfte um seiner Volkstümlichkeit willen. Das Klügste schien beiderseits, alle Förmlichkeiten genau zu befolgen, weshalb der König von den Abgeordneten ihre schriftliche Vollmacht verlangte, und sie überreichten sie ihm. Darin stand verzeichnet, daß die Herren Kardinal und Erzbischof zu dem „König von Navarra“ gehen sollten, um ihn flehentlich zu ersuchen, er möge in eine allgemeine Befriedung des Königreiches willigen; dann aber zum Herzog von Mayenne, damit auch dieser darauf bedacht wäre. Eitle Worte, und eine Mißachtung des königlichen Ranges.
Henri wies sie darauf hin, daß ein „König von Navarra“ natürlich nicht berufen