Die Vollendung des Königs Henri Quatre. Heinrich Mann
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Читать онлайн книгу Die Vollendung des Königs Henri Quatre - Heinrich Mann страница 2
,In der Stadt steht Schloß Louvre, dort brachte ich mich durch als Gefangener in mehreren lehrreichen Jahren, ich trag ihre Spur. Soll ich als freier Mann und König die Stadt nie wiedersehn? Einst in der Bartholomäusnacht fielen am Hofe fast alle meine Freunde und in der Stadt die meisten meines Glaubens. Nach achtzehn Jahren seid ihr gerächt worden! An einem einzigen Kreuzweg haben heute meine Soldaten achthundert Feinde niedergemacht und dabei gerufen: Sankt Bartholomäus! Schrecklich ist, daß alles wiederkehrt und nichts, nichts kann je aus der Welt kommen. Ich wäre für Vergessen und Vergeben, ich wäre für Menschlichkeit. Was ist von unseren Streitfragen denn wahr? Was weiß ich? Gewiß bleibt, daß wir töten, draußen wie drinnen. Wäre ich doch durch das Tor gelangt, bevor sie es schlossen! Ich hätte ihnen den milden Sieger und wahren König gezeigt. Das Königreich hätte seine Hauptstadt, die Menschen das Ziel, worauf sie in Güte würden hinblicken können. Aber nein! Nur etwas gesättigte Rache, und das gewohnte Töten, und das Kriegsglück.‘
Henri, ein Sechsunddreißigjähriger, der hinter sich viele Schrecken und geduldige Mühen hat, aber auch Freuden ohne Zahl hat er genossen vermöge seiner inneren Heiterkeit, hier liegt er auf frischem Stroh, am Fuße eines großen Eßtisches. Noch einmal fährt er hoch: der König befiehlt, daß die Kirchen verschont werden sollen — „und auch die Menschen!“ ruft er dem Hauptmann nach. Dann schläft er wirklich ein, da er sich beherrschen gelernt hat, bei Fehlschlägen und Betrübnis nicht weniger als in Fällen erstaunlicher Schicksalsgunst. Der Schlaf ist sein guter Freund, erscheint pünktlich und bringt meistens mit, wessen Henri bedarf, keine Ängste, eher Gesichte von guter Vorbedeutung. In seinem Traum dieser Nacht sah Henri Schiffe herbeifahren. Sie schwebten zuerst in den Schleiern des Horizontes, wurden groß und nahmen das besonnte Meer ein, Gebäude voll Macht und Glanz: sie näherten sich, ihn suchten sie. Sein Herz schlug, dem Bewußtlosen fiel wieder ein, was der Besuch bedeutete. Man hatte wirklich dergleichen besprochen bald nach seiner gewonnenen Schlacht. Er hatte nicht hingehört wegen gegenwärtiger, höchst dringlicher Arbeit und Mühe. Da hört man nicht auf Märchen. Beim Erwachen aus seinem dreistündigen Schlaf blieb von den erblickten Schiffen in seinem Gedächtnis abermals keine Spur.
Der Tag Allerheiligen war angebrochen; die königliche Armee, alles, was in ihr katholisch war, ging in die Kirchen der Vorstädte. Hinter den Mauern hatten sie nicht den Mut, das Fest zu feiern, sondern jammerten um ihre Toten und fürchteten für sich selbst. Gegen Abend aber waren sie gerettet, denn die Truppen der Liga rückten an, und der König konnte sie jetzt nicht mehr hindern, von drüben her die Stadt zu besetzen; das war versäumt. Er ließ zu, daß noch einmal eine Abtei von den Seinen erobert und dreihundert Pariser niedergemacht wurden. Das war der Abschied, und kein schöner, wie er am besten wußte. Er bezahlte ihn auch, — bestieg, um die Stadt zu sehen, einen Kirchturm und nahm als Führer einen Mönch. Droben in der Enge, allein mit dem Mönch, überfiel ihn ein großes Elend, da Henri des vorigen Königs gedachte. Den hatte ein Mönch ermordet. Ihn selbst hatte schon mehrmals aus den Ärmeln einer Kutte ein Messer angeblickt. Schnell trat er hinter seinen Begleiter und hielt ihn an beiden Armen fest. Der Ordensbruder, obwohl groß und stark, rührte sich nicht. Henri blickte nicht lange auf seine Hauptstadt hinunter; beim Abstieg ließ er den Verdächtigen vorangehen, er selbst blieb um einige Stufen zurück. Drunten traf er seinen Marschall Biron. „Sire“, sagte Biron. „Ihr Mönch kam herausgestürzt und ist entsprungen.“
In diesem Augenblick erscholl das Freudengeschrei der Pariser, ihr Feldherr Mayenne war persönlich eingetroffen, sie bewirteten seine Truppe auf den Straßen. Der König stellte des nächsten Tages sein Heer in Schlachtordnung auf und ließ dem Feinde drei Stunden Zeit, um hervorzukommen. Vergebens, Mayenne hütete sich; da zog der König ab. Unterwegs nahm er befestigte Plätze ein, aber da ihr Sold ausblieb, lösten einige seiner Regimenter sich auf. Mit den übrigen ritt der König nach seiner Stadt Tours, um dort die Gesandten Venedigs zu empfangen. Die alte Republik hatte aus weiter Ferne ihre Schiffe geschickt, das Gerücht beglaubigte sich nun. Die Gesandtschaft war an Land gestiegen und langsam, indes der König kleine Städte unterwarf, reiste sie das Königreich hinauf, um ihm zu huldigen.
Ein Märchen
Er hörte von ihrem Herannahen täglich und war davon beunruhigt, darum machte er sich lustig. „Es regnet! Den Weisen aus dem Morgenlande wird ihr Weihrauch naß werden.“ Er fürchtete eher, daß die Liga sie gefangennehmen und ihm wegschnappen könnte, bevor sie zur Stelle waren mit aller großen Ehre und sichtbarem Ruhm, die sie ihm darbringen wollten. Als sie von der Loire noch mehrere Tagereisen entfernt waren, schickte er ihnen zahlreiche Truppen entgegen, scheinbar als Ehrengeleit, aber er meinte es ernster. Hierauf erwartete er sie in seinem Schlosse zu Tours, und das dauerte. Unterwegs war einer der bejahrten venezianischen Herren von Unpäßlichkeit befallen. „Es ist eine recht alte Republik“, sagte Henri zu seinem Diplomaten, Philipp Du Plessis-Mornay.
„Sire, die älteste in Europa. Sie war unter den mächtigsten, jetzt aber ist sie die erfahrenste. Wer Erfahrung sagt, weiß gewöhnlich nicht, daß er Verfall meint. Denen, die jetzt kommen, ist auch das bekannt. Nun ermessen Sie dies Ereignis! Die klügste Regierung, sie ist nur darauf noch bedacht, die Gebrechen des Alters mit Würde zu tragen und den Tod hinauszuschieben, sie hat an allen Höfen die besten Beobachter und liest Berichte, Berichte: plötzlich rafft sie sich auf, sie handelt. Venedig fordert die Weltmacht heraus, es huldigt Ihnen nach Ihrem Sieg über die Weltmacht. Wie groß muß Ihr Sieg sein!“
„Ich habe angefangen, über meinen Sieg nachzudenken. Der Sieg, Herr de Mornay“, begann Henri, stockte und lief erst einmal hin und her durch den steinernen Saal des Schlosses von Tours. Sein Jugendgefährte sah ihm nach; wie schon oftmals fand er, daß er seinen Fürsten richtig gewählt habe. Der gibt für seinen Sieg nur Gott die Ehre! Der strenge Protestant nahm bei dieser Wahrnehmung den Hut ab. Da stand er, ein Vierzigjähriger in dunkler Kleidung, der weiße Kragen einfach umgelegt nach Art seiner Glaubensgenossen, ein sokratisches Untergesicht, die Stirne hoch, besonders glatt und empfänglich für allerlei Licht.
„Mornay!“ Henri hielt vor ihm an. „Der Sieg ist nicht mehr, was er war. Wir beide kannten ihn sonst anders.“
„Sire!“ erwiderte der Gesandte klar und ohne Unruhe. „Sie haben in Ihrem früheren Amt als König von Navarra einige böse Städte, die Ihnen widerstanden, zur Vernunft gebracht. Zehn Jahre der Mühe und Arbeit und eine namhafte Schlacht; dann hatte Fama Sie berühmt genug gemacht, daß Sie Erbe der Krone wurden. Der König von Frankreich, der Sie jetzt sind, wird weniger mühselig kämpfen, wird größer siegen, und Fama soll, um seinetwegen, stärker die Flügel rühren.“
„Wenn das der ganze Unterschied wäre! Mornay, seit meinem Sieg, wegen dessen die Venezianer herbeireisen, habe ich Paris belagert und bin unverrichteterdinge abgezogen. Wissen das die Venezianer nicht?“
„Es ist weit bis Venedig, und sie waren schon auf der Reise.“
„Sie könnten umkehren. Sind es nicht kluge Leute? Solche begreifen, was es heißt, wenn ein König seine eigene Hauptstadt belagern muß, und noch dazu vergeblich. Metzeln, plündern — und abziehen, nachdem ich von einem Turm in die Stadt geblickt und mich vor einem Mönch gefürchtet hatte.“
„Sire, das Kriegsglück.“
„So nennen wir’s. Aber was ist es? Während ich das eine der Tore bewache, zieht Mayenne durch das andere ein. Ist über eine Brücke herbeigekommen: nach meinem Befehl hätte sie abgebrochen sein sollen, war es aber nicht. So sieht das Kriegsglück aus. Ich habe den Verdacht: nicht anders