Die Vollendung des Königs Henri Quatre. Heinrich Mann

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Die Vollendung des Königs Henri Quatre - Heinrich Mann

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      Der Schloßherr hatte einen Kahlkopf, der sich bei jeder Gemütsbewegung mit Röte überzog. Er war ein Jäger und Biedermann. Der Gatte de Sourdis war klein, breithüftig und gänzlich unverlegen, trotz verschlagener Leisheit. Um so länger wirkte de Cheverny, der abgedankte Kanzler. Er überragte alle und bedeutete hierselbst den schönen Mann, anderswo hätte man ihn fahl und aktenhaft genannt. Sein Anzug war indessen der sorgfältigste, er kam auf Rechnung seiner Beziehungen zu der Hausfrau.

      Henri übersieht die drei Edelleute mit einem Blick. Seine Erfahrung bei Männern ist reich und verläßlich. Die Frauen? Es wird sich zeigen. Sie täuschen immer wieder; was nicht an ihnen liegt, Schuld daran hat unsere Einbildung. Gabriele steht mit ihrer Schwester Diana Hand in Hand. Häuslicher Kreis, beide bescheiden und lieblich. Henri hätte beinahe vergessen, daß hier eine begehrte Frau ist, unvergleichlich an Großartigkeit und Pracht, das Ziel des Lebens, und die ganze Liebe. Es scheint, wir haben das immer noch in der Hand bis zum letzten Augenblick und könnten uns auch zurücknehmen.

      Dies weiß eine Frau wie Madame de Sourdis. Sie erteilte daher einen entschiedenen Wink seitwärts über die weit abstehenden Rippen ihres farbenreichen Kostüms hinweg. Infolgedessen ließ Gabriele die Hand Dianas los und traf inmitten auf Henri. Zuerst schwieg er nur, da er seine Liebe neu entdeckte, und so wird sie ihm aufgehen mit jedem Tag, unausbleiblich wie die Sonne. Nein, er kann sich nicht zurücknehmen, wie er einmal gemacht ist.

      Inzwischen füllte sich der Saal. Seine Tür stand offen, das Haustor auch; und über die Vorhalle hinweg war zu sehen, wie draußen Kutschen anrollten ohne Unterlaß. Herren und Damen im Festkleid hatten sich vom ganzen Umkreis aus ihren Schlössern aufgemacht. Sie kamen wie zu einer Verlobung, sie drängten sich wispernd und gespannt gegen die Wände: da erblickten sie wahrhaftig, was der König tat. Er erhob die Hand der schönen d’Estrées bis nahe unter seinen Mund, und hier schob er über ihren Finger einen Ring — nun, es war kein Ring, der die Damen aufregen konnte. Einige Rosen unterbrachen den schmalen Reifen, ein jüngerer Sohn hätte dergleichen einer armen Stieftochter an die Hand gesteckt. Dies geschehen, gab die Hausfrau mit einem Stab das Zeichen für die Diener, Erfrischungen zu reichen. Alsbald hielten Fruchtwässer, Mandelmilch, Marmeladen und türkischer Honig ihren feierlichen Einzug, auch Tische mit Pasteten und Wein wurden fertig gedeckt an ihren Platz gestellt unter Aufsicht eines stattlichen Koches; er folgte nur den Weisungen des Stabes. Madame de Sourdis rückte diesen mit hartem, trockenem Griff ein klein wenig durch die Luft, beinahe eine Fee. Auf ihrer roten Perücke schwankten eine grüne und eine gelbe Feder. Wendete sie aber den Hals, dann tat sie es unverkennbar wie Gabriele — in höchst verwandter Art, ungeachtet, daß die Anmut sich zur Fratze verwandelte, und aus der Lust wurde ein Greuel. So nah ist alles.

      Angezogen durch die Nahrung, vergaßen die Gäste ihre Scheu, drängten in die Mitte und stritten geräuschvoll um die Plätze. Die Vornehmsten ließen sich durch die Herren des Königs vor ihn hinführen, um ihn ihrer Treue zu versichern, was nötig genug war, denn erst kürzlich hatten sie gegen ihn im Feld gestanden. Obwohl dies lauter Gewinn für ihn war, behauptete er einfach, daß jeder gute Franzose ihn anerkennte und ihm diente — ließ übrigens alle stehen, und nur mit dem Herzog von Longueville sprach der König. Er ist der andere Bewerber Gabrieles: sie hat gezögert, vielleicht weiß sie noch jetzt nicht, ob der oder Feuillemorte. So sehen die aus. Dieser hat die Haare künstlich gebleicht und ein Mädchengesicht, wie sie am vorigen Hofe üblich gewesen sind. Ist dennoch tapfer, hat bei einer Dame, obwohl selbst nur im Hemd, den eindringenden Gatten niedergemacht. „Erzähl davon, Longueville!“ Der König bringt ihn zum Reden, Gabriele d’Estrées zieht sich beleidigt zurück. Sie könnte wohl sagen, daß sie fortbewegt worden ist vom Gedränge, wie es durch den Saal kreist: Leute, die den Anblick des Königs oder etwas Eßbares erstreben. Das kreist, dünstet schwül, duftet scharf, über der Masse wippen Federn, und Hälse, die länger als andere herausstehen, trägen auf starren Krausen einen Kopf, er scheint körperlos durch den Raum zu schweben.

      Der König wurde selbst umhergedreht, auf seiner Fahrt erreichte er das Ende des Saales; eine Kette kräftiger bäurischer Bedienter hielt es frei. Die Hausfrau erwartete ihn dort, den Stab erhoben, als hätte dieser den König herbeigezaubert. Er wurde an eine Tafel für sich allein gesetzt, die Herren d’Estrées, de Sourdis und de Cheverny bedienten ihn stehend: der erste mit Wein und Melone, der zweite mit einem fetten Karpfen, der dritte mit Wildpastete, die durch und durch getrüffelt war. Der König wurde plötzlich von großem Hunger befallen, dennoch befahl er zuerst noch, daß Gabriele d’Estrées sich neben ihn setzen sollte. Sie war nicht zu entdecken. Statt ihrer neigte Vater d’Estrées sich über den König, dem er einschenkte, und sprach mit ehrlichem Zorn, sein Kahlkopf lief rötlich an. „Sire! Mein Haus ist eine Hurenklappe. Wollte ich des Nachts durch die Schlafzimmer dieses Schlosses gehen, um die Ehre der Familie zu rächen, von dieser bliebe nichts übrig. Mit ihrem Aussterben ist mir nicht gedient. Mein Trost bleibt nur das ehebrecherische Paar in Issoire.“

      Er meinte seine Frau und den Marquis d’Alègre. Der König fragte den Biedermann, warum gerade diese sein Trost wären. Herr d’Estrées antwortete, daß der Marquis d’Alègre in der Stadt, die ihm unterstellt war, den allgemeinen Haß genieße, da er sie ausplündern müsse für Madame d’Estrées und ihre unersättlichen Bedürfnisse. Sicher werde es ein großes Unglück geben. Hierauf kam der fette Karpfen. Herr de Sourdis, an dem es war, den König zu bedienen, sprach von keinem häuslichen Unglück, trotz dem endenreichen Geweih, das an seiner Stirne deutlich sichtbar war. Nein, er sorgte sich einzig um Stadt und Landkreis Chartres. Jene hatte einstmals er selbst verwaltet, in dieser war sein Freund de Cheverny der Herr gewesen, bevor sie alle beide waren vertrieben worden infolge der überhandnehmenden Gesetzlosigkeit und des Schwindens der königlichen Macht. Nach der Meinung des Karpfens, denn Herr de Sourdis ähnelte ihm, war nicht die Einnahme von Rouen geboten, sondern unbedingt nur die von Chartres. Ganz unbedingt, bestätigte der frühere Kanzler, der den Karpfen ablöste und dem König die Rebhuhnpastete, durch und durch getrüffelt, vorlegte. Dieser bleiche Beamte erwies sich geschickt wie keiner, erstens im Servieren, aber auch durch seine besondere Kenntnis der königlichen Gesinnung und Vorliebe.

      „Sire!“ sagte er ernst und eindringlich. „Sie könnten Ihre Stadt Rouen zur Übergabe zwingen, wodurch Ihre Provinz Normandie auf einmal gesichert würde. Indessen wäre dies eine überaus blutige Sache. Eure Majestät hat selbst geäußert, daß Sie nur mit betrübter Seele Ihre Untertanen auf den Schlachtfeldern liegen sehen, und wo Sie gewännen, da verlören Sie. Indessen wäre ein hoher Beamter, der im Landkreis alle kennt, durchaus geeignet, Chartres auf dem Verhandlungswege in Ihre Gewalt zu bringen.“ So gut wußte er, was der König vorzog, und dazu die würdige Stimme.

      Die Reihe war an Madame de Sourdis; ihr Stab winkte eine große verdeckte Schüssel herbei, und als die silberne Glocke abgehoben wurde, erschien als lebendes Figürchen Amor, das verschmitzte Kind, einen Finger am Mundwinkel, Rosen in den Locken und den Köcher mit Pfeilen wohlgefüllt. Während alle den lieblichen Bogenschützen bewunderten und ein Ah und Oh durch den Saal ging, erhob Madame de Sourdis, rothaarig, gelb und grüne Federn, vor dem König ihren Stab und fragte: „Soll ich ihn senken? Chartres für Herrn de Sourdis und für Herrn de Cheverny die königlichen Siegel.“

      Die Lider des Königs bewegten sich kaum merklich, aber Madame de Sourdis hatte aufgepaßt. Sie senkte den Stab, da saß neben dem König, nah an ihm, die reizende Gabriele.

      Tal Josaphat

      Östlich der Stadt Jerusalem, dem offenen Mittelmeer entgegengesetzt, aber dem Toten Meer nicht fern, liegt Tal Josaphat. Es ist die Einsenkung zwischen der Stadtmauer, die kreisrund ist, und dem Ölberg. Wir kennen das Land, wir kennen das Tal, und wissen nur allzuviel vom Garten Gethsemane. Die Frömmsten wollen nur im Tal Josaphat begraben sein, denn die Posaune der Auferstehung und des Gerichts, dort wird sie zuerst gehört werden, wenn sie einst erschallt. Zwischen den Bäumen des Gartens aber, hier am Grunde war es, daß unser Herr versucht wurde. Judas will ihn verraten, was ihm keineswegs entgangen ist,

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