Die Vollendung des Königs Henri Quatre. Heinrich Mann

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Die Vollendung des Königs Henri Quatre - Heinrich Mann

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will leben“, erklärte er und warf Konfekt unter das Bett. Beide warteten — und wahrhaftig hörten sie unter dem Bett ein Zähneknirschen: es klang mehr nach Wut als nach Genuß.

      „Fliehen wir!“ bat Gabriele schlotternd und umklammerte ihn.

      „Wie kann ich, du läßt mich nicht aufstehen.“

      „Nimm mich mit, ich fürchte mich. Öffne die Tür schon, ich werf dir die Kleider zu.“

      Sie stieg über ihn weg, zog ihn am Arm und flehte entsetzt: „Nicht unters Bett sehen! Es wäre unser Unglück!“

      „Geister sind meine schlimmsten Feinde nicht“, sagte er undeutlich vor Qual und großem Angstgefühl um die Mitte des Körpers. „An Geister glaub ich gern. Was ich weder glauben mag noch wissen will, ist das Gewesene, das für dich Fleisch und Blut war, aber lebt vielleicht noch jetzt in deinen Gedanken.“

      „Um Gottes willen, so laß uns fliehen!“

      „Sie haben mir alles berichtet über dich: Feuillemorte, Longueville und was ihnen vorausging. Als der selige König deiner satt war, verkaufte er dich dem Levantiner Zamet, der mit Geld handelt.“

      Er hätte noch mehrere aufgezählt, obwohl er an keinen glaubte, nur sein Schmerz brach aus. Sie aber fiel ihm zu Füßen, drückte seine Knie, bis er das Bett verließ, und auch dann blieb sie davor am Boden sitzen, damit die Dichtigkeit ihrer Glieder ihn hindern sollte, darunter zu sehen. Er kleidete sich an, er warf keinen Blick hin. Endlich legte er ihr den weiten Mantel über, hob sie auf, trug sie die gewundene Stiege hinab, zurück über den Hof, durch den Garten und bis auf das Feld, wo sein Pferd stand. Er setzte sie vor sich hin. Stille Nacht, umwickelte Hufe, weiche Ackerkrume — Gabriele verstand genau das Flüstern in ihrem Nacken.

      „Es ist gut. Ich weiß. Versuchung, Prüfung, schwere Stunde. Und will dich doch gewinnen, meine schöne Liebe.“

      Kathrin, wie immer

      Der Garten von Coeuvres war unter den Sommer versunken, Henri gewissermaßen unter die Liebe, und hierbei sieht niemand weiter als er den Fuß setzt. Auch dieses Dickicht der Gefühle lichtete sich bald zufolge der Jahreszeit, und der König betrieb wieder all seine Sachen, kräftiger als vorher, vielerlei auf einmal, aber mit dem klarsten Überblick, obwohl auch Überraschungen eintraten, man hätte leicht darüber den Kopf verloren. Ein Schlag aus heiterem Himmel war der Einfall seiner lieben Schwester, ihn zu verlassen und zu verraten, ihren geliebten Soissons zum König machen zu lassen, und anstatt ihres Bruders Henri hätte sie selbst mit ihrem braven Gatten den Thron bestiegen. Henri davon hören, und er führte Hiebe nach allen. Seiten. Er bedrohte mit dem Tode jeden, der in diesem Geschäft die Finger hatte. Seiner lieben Schwester befahl er, an sein reisendes Hoflager zu kommen, und wenn nicht, ließe er sie holen.

      Er ließe sie gewaltsam fortführen aus ihrer alten Heimat Béarn, wo sie bedrohliche Heimlichkeiten gegen ihn betrieb, nicht nur, daß sie Vetter Soissons zu heiraten gedachte. Nachher hätte man versucht, ihren lieben Bruder zu töten, wie sie sich wohl sagen mußte. Man wird erfahren genug in diesem Leben, da man als Bruder und Schwester aufgewachsen ist, und zwar zusammengekettet bei Übergängen, wo nirgends Halt war. Ganz im Grunde, wen haben die Kinder der Königin Jeanne, als nur einander. Erstaunlich, Henri vergaß hier Gabriele d’Estrées, eine Fremde, Gelegenheit mancher Irrungen und Verwirrungen, aber was bedeutet das gegen eine Verschwörung meiner kleinen Kathrin.

      Er nannte sie wie als Kind, und er griff sich an die Stirn. Er verließ das Zimmer nicht mehr, während ihre Kutsche noch tagelang herbeirollte, zuletzt aber litt es ihn nicht, er jagte ihr entgegen. Dort hinten die kleine Staubwolke, darin wird es sein — alles, was von seinem ersten Stück Leben übrig ist, und verschwände es, würde er sich selbst fremd. Die Staubwolke öffnet sich, die Kutsche hält. Niemand rührt sich, die begleitenden Edelleute zügeln ihre Pferde und sehen zu, wie der König zum Wagenschlag tritt.

      „Madame, wollen Sie aussteigen“, bat er förmlich, da kam sie erst hervor. Ein Gehöft stand unfern in den Feldern. Sie ließen alles, was ihnen gehörte, auf der Landstraße, sie gingen allein dorthin. Henri sagte: „Liebe Schwester, was für ein verstocktes Gesicht Sie machen, und ich freue mich doch so sehr, Sie zu sehen.“

      Das war ermunternd, es war begütigend; in nichts glich es den strafenden Worten, die er sich vorgesetzt hatte. Eine Antwort folgte nicht, aber die Schwester wendete ihm das Gesicht zu, was auch genügte: er wurde betroffen. Das genaue Licht des weiten, bedeckten Himmels zeigte ihm ein verhärmtes Gesicht. In Schauern verwelkt wie eine helle Rose erschien ihm die aschblonde Kinderblüte — für seine Augen dennoch dieselbe Kinderblüte, solange sie leben sollte; Spuren der Unbilden blieben nur obenauf. Er vertröstete sein Gewissen, das bei dem Anblick schlug. ,Bleiben obenauf, und alt — wer altert wohl? Doch wir nicht.‘ Gleichwohl griff er es hier mit Händen: sie alterten.

      Plötzlich gestand er sich seine eigene Schuld, hatte aber vorher ihrer mit keinem Wort gedacht. ,Ich hätte sie längst verheiraten sollen, warum nicht mit ihrem Soissons. Wie lange behält man denn Zeit, um glücklich zu sein. Sie hat genug mit sich gekämpft, weil er katholisch ist. Jetzt werde ich es bald selbst sein. Um was quälen wir uns? Jeder macht einen Komödianten. Totus mundus —. Wozu wir berufen sind, ist größtenteils Farce.‘

      Durch das Bauernhaus konnte man hindurchsehen, die Leute waren fort. Henri wischte vor der Tür die Bank ab, damit Kathrin sich darauf setzte. Er selbst ließ die Füße vom Tisch hängen, der stand mit den ungehobelten Klötzen in der Erde.

      „Um was quälen wir uns“, wiederholte er laut. Von Verrat zu sprechen, wäre schrecklich unpassend, ja, falsch wäre es gewesen, wie man mitunter erkennt. „Schwester“, begann er, „weißt du wohl, daß ich hauptsächlich aus Furcht vor dir noch immer nicht gewagt habe, unsere Religion zu verlassen. Wär sonst alles leichter. Da hätt ich nicht gedacht, du tätest es selbst und wolltest eine katholische Königin werden.“

      Er sprach leicht, versöhnlich, beinahe heiter, sie sollte lächeln, wenn auch unter Tränen. Nichts dergleichen, sie behielt ihr armes verschlossenes Gesicht. „Bruder, Sie haben mich oft enttäuscht“, sagte sie, als sie ihn durchaus nicht länger warten lassen konnte. Er griff sogleich zu.

      „Weiß ich. Und hatte doch die besten Absichten, als ich unserem Vetter zu guter Stunde die Verbindung unserer Familie vorschlug.“

      „Das tatest du, um ihn für deine Sache zurückzugewinnen, und kaum, daß er keine Partei mehr hatte, ihm auf den Thron zu helfen, brachst du ihm dein Wort“ — schloß sie hart; hatte sich ereifert, so daß sie zugleich hart und vertraut war. Nur dieses einzige Geschöpf hienieden konnte ihm nahe genug kommen: sonst hätte er am Ende nie erfahren, daß er sein Wort gebrochen hatte. Schwerwiegend war es ihm bis jetzt nicht erschienen, eine Nebensache, wie der ganze Soissons. Die wirkliche Gefahr war Haus Lothringen gewesen, die wirkliche Gefahr war noch jetzt Haus Habsburg. ,Den guten Vetter beseitigt man mit einem leichten Wort: Du bekommst meine Schwester. Ist gesprochen, was weiter.‘Die katholischen Edelleute wurden zu jener Zeit besonders dringend, damit Henri ein Ende macht und abschwört, oder sonst drohen sie, den Vetter zum König auszurufen. ,Das Ganze war nicht sehr ernst zu nehmen gewesen‘, wiederholte Henri; ,hätte ich es sonst ganz vergessen können? Jetzt ist das Verrat geworden. So verrät man denn wirklich.‘

      Seine Schwester nickte; sie hatte in seinem Gesicht gelesen. „Immer nur dein Vorteil“, sagte sie — ernst, anstatt hart. „Das Glück der andern, du vergißt es ganz und bist doch gut, man nennt es human. Leider auch vergeßlich.“

      „Weiß man, wie das kommt“, murmelte er. „Hilf mir, liebe Schwester“, bat er, in der Gewißheit, daß „Hilf

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