Die Vollendung des Königs Henri Quatre. Heinrich Mann
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Читать онлайн книгу Die Vollendung des Königs Henri Quatre - Heinrich Mann страница 29
„Ich habe mich nicht, Sie haben mich verheiratet“, erwiderte leise der Bedrängte. Er gab sich allerdings schüchtern, gleichzeitig aber war er einer Art von wolkiger Entrücktheit fähig. Man wußte nicht mehr, mit wem man zu tun hatte: ein Ungeheuer an Hinterhältigkeit, ein Geistesschwacher, ein Gespenst. Herrn d’Estrées entsank auf einmal der Mut, und er floh dieses Schloß.
Gleich darauf traf in Noyon der König ein, infolge erhaltener Nachrichten. Nicht allein den jähen Verlust der geliebten Gabriele, auch den schrecklichen Tod ihrer Mutter vernahm er um dieselbe Zeit. Issoire ist eine Stadt, weit fort in der Auvergne; ohnedies pflichtvergessen, hatte Madame d’Estrées sich nicht entschließen können, den Marquis d’Alègre allein zu lassen, lieber fehlte sie sogar bei der Hochzeit ihrer Tochter. Wäre sie doch gereist! Die Alternde wollte von der Liebe zuletzt noch den ganzen Rest, erließ ihrem Gefährten aber auch in Geldsachen nichts. Der Gouverneur von Issoire mußte die Bevölkerung unerbittlich auspressen, um den Ansprüchen seiner Geliebten zu genügen. Beide wurden den Leuten endlich bis zum Mord verhaßt — und der geschah. Er wurde verübt in einer Juninacht von zwölf Männern, darunter zwei Schlächter. Sie überrannten die Wachen, erbrachen das Schlafzimmer und schlachteten das Paar. Der Edelmann hatte sich tapfer verteidigt, dennoch wurden beide nackt zum Aas geworfen.
Der König sagte zu dem Gouverneur von Noyon: der von Issoire wäre fürchterlich umgekommen. „Und vergessen Sie seine Konkubine nicht“, bemerkte Herr d’Estrées, wobei er nickte wie jemand, dessen berechtigte Erwartungen erfüllt sind. Der König hätte bemerken müssen, wie die Gebete seiner Freunde ihn umwehten: die angebotene Rettung, er hätte sie heraushören können. Die Mutter seiner Geliebten war den Weg vorausgegangen und an sein Ende gelangt. Nach menschlichem Ermessen wäre die Tochter davon nicht abzuhalten; der König aber unternahm gerade dies. Gabriele stand jetzt unter dem Schutz eines Gatten: Henri freute sich nur, daß es nicht Feuillemorte war, der hätte ihm mehr Arbeit gemacht. Unverweilt suchte er seine schöne Liebe heim und schwur ihr, was sie nur wollte, aber fortkommen sollte sie, mit ihm leben sollte sie, er ertrage es nicht anders. Sie auch nicht — gestand Gabriele endlich und schluchzte an seiner Brust, vielleicht flossen Tränen, Henri sah sie nicht. Jedenfalls seufzte sie den Namen des Herrn de Liancourt und noch ein Wort, von dem das Herz ihm stockte. „Das sollte wahr sein?“ fragte er.
Gabriele nickte. Dennoch seufzte sie, daß sie bei diesem Gatten aushalten wolle trotz seinem Versagen. „Ich bin schrecklich gewarnt durch meine arme Mutter. Ich fürchte Herrn de Liancourt, denn ich verstehe ihn nicht. Was er spricht, ist leer, was er tut, ist rätselhaft. Er schließt sich in sein Zimmer ein. Ich habe versucht, durch das Schlüsselloch zu sehen: er hatte es verhängt.“
„Das werden wir herausbekommen“, beschloß Henri und begab sich kampfeslustig zu dem Schloßherrn — fand nur keinen Gegner. Die Tür stand offen, ein Mensch ohne rechtes Gesicht verneigte sich, ihm schienen alle Dinge fern zu liegen, außer etwa seinem feinen Kleid, das silbern bestickt war, und seiner schimmernden Halskrause. Die Strumpfhosen wie auch das Wams saßen glatt wie nur selten, besonders in Anbetracht eines so kümmerlichen Wuchses. An irgendeine Wirklichkeit muß man sich halten, Henri fragte den Wohlgekleideten nach der Herkunft und den Kosten seiner Stoffe. In die Antwort hinein rief er:
„Ist es denn wahr, Sie sind kein Mann!“
„Ich war es“, sagte Herr de Liancourt und sah aus, wie gewesen. Er sagte in aller Förmlichkeit, mit Pausen und Verbeugungen: „Ich bin es zu Zeiten. Sire! Ich befinde selbst darüber, wann ich es zu sein habe.“
Das konnte der bare Hochmut sein. Oder Ergebenheit für den königlichen Liebhaber seiner Gemahlin lag darin: es schien unmöglich, diesem Menschen einen Sinn nachzuweisen und ihm eine Sicherheit abzugewinnen. Henri brachte vor, beinahe wie eine Bitte:
„Und der Huftritt?“
„Ein Huftritt hat stattgefunden. Das Urteil der Fakultät über ihn und seine Folgen läßt mehrere Deutungen zu.“ Dem König blieb von der Auskunft der Mund offen.
Ihm war nachgerade angst und bange. Das abwesende Gesicht, eine Bescheidenheit ungreifbar, eine Selbstgewißheit wie ein Schlafwandler oder Geist. Das Wesen gesteht nichts, will nichts; es erscheint nur, es bekundet sich, wenn auch schwach. Henri ertrug es nicht länger. Er schlug auf den Tisch und rief: „Die Wahrheit!“ Seine Wut betraf beide, dieses Gespenst, aber noch mehr Gabriele, die ihn wahrscheinlich belogen hatte, und jede Nacht lag sie bei diesem. Er durchmaß mit langen Schritten das Zimmer, fiel auf einen Sessel und biß sich in die Knöchel der Hand.
„Bei Ihrem Leben! Die Wahrheit!“
„Sire! Ihr Diener erwartet Ihre Befehle.“
Hier begriff der Eifersüchtige, daß die Wirklichkeit soviel wie ein Machtspruch ist. Er hätte früher daran denken sollen, beruhigte sich augenblicklich und diktierte.
„Sie übergeben mir Madame de Liancourt. Sie werden dafür mein Kammerherr. Gabriele bekommt von mir, als Beitrag zu ihrer ehelichen Gemeinschaft, Assy, das Schloß, die Wälder, Felder, Wiesen.“
„Ich verlange nichts“, sagte der Gatte. „Ich gehorche.“
„Gabriele trägt weiter Ihren Namen. Vielleicht mache ich sie später zur Herzogin von Assy. Wenn sie stirbt, erben alles Ihre Töchter. Herr!“ rief er dazwischen, weil der andere stehend einzuschlafen schien. Der König verordnete:
„Dafür bestätigen Sie ohne Widerspruch, was wir behaupten werden, sonst wehe Ihnen: Die Dame d’Estrées hat Sie nur gezwungen geheiratet, und Ihre Pflichten haben Sie in der Ehe nie erfüllt, ob Huftritt oder geheime Krankheit. Verstanden?“
Herr de Liancourt verstand, wie man ihn jetzt schon kannte, trotz seiner merkwürdigen Erstarrung. Diese nahm zu, je mehr Geschenke, Todesgefahren und Wendungen des Geschickes auf ihn eindrangen. Henri ließ ihn und warf die Tür hinter sich.
Der Zurückgebliebene verharrte eine Weile mit dem Gesicht über den Füßen. Als er sich endlich aufgerichtet hatte, riegelte er ab und verhängte das Schlüsselloch. Aus der Truhe holte er ein dickes Buch in Leder mit dem Wappen des Hauses Amerval de Liancourt und begann zu schreiben. Er verzeichnete, wie schon bislang, die Vorfälle seines Lebens, so auch diesen jüngsten. Mit großer Genauigkeit gab er den König wieder, seine Reden, innerlichen Bewegungen und Gänge durch das Zimmer. Ob er es wollte oder nicht, die Gestalt und Rolle des Königs gerieten derart, daß der Schreibende auf sie herabsehen konnte. Mit seinem schönen Ehegemahl war ihm dasselbe schon längst gelungen. Seine schriftlichen Niederlegungen beschloß er aber mit einer Mitteilung an die Nachwelt. Er setzte groß darüber: „Hochbedeutsames, wahrhaftiges Zeugnis, abgelegt von Nicolaus d’Amerval, Herrn de Liancourt, zu lesen nach seinem Ableben und wohl aufzubewahren für alle Zeiten.
Ich, Nicolaus d’Amerval, Herr von Liancourt und anderen Orten, bei vollem Verstand und meines Todes gewiß, aber ungewiß seiner Stunde —“ Er kleidete, was er zu hinterlassen gedachte, in die feierliche Form eines Testamentes; dann folgte, daß alles, was ihm zustieß, Unrecht, Lüge und Vergewaltigung wäre. Er wäre weder unfähig noch ungeschickt für das fleischliche Werk der Zeugung — dies vor