Die Vollendung des Königs Henri Quatre. Heinrich Mann
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Читать онлайн книгу Die Vollendung des Königs Henri Quatre - Heinrich Mann страница 3
„Mornay!“ rief Henri und schüttelte seinen Berater. „Ein Wort! Kann ich denn siegen? Mein Beruf ist, dies Königreich zu retten; aber zufriedener war mein Geist, als noch niemand herbeireiste, um mir vor der Zeit zu huldigen.“
„Venedig will, daß Sie gesiegt haben, Sire. Es würde seine Gesandten nicht zurückrufen und wenn Ihr Heer in voller Auflösung wäre.“
Henri sagte: „So erfahre ich denn, daß der Ruhm ein Mißverständnis ist. Ich verdiene ihn und bekomme ihn dennoch ohne mein Verdienst.“
Hierauf veränderte sein Gesicht sich, er wippte auf den Absätzen herum, höchst aufgeräumt empfing er die Personen, die soeben bei ihm eintraten. Zahlreiche seiner besten Herren, auch hübsch und neu gekleidet waren sie. „Brav, de la Noue!“ rief Henri. „Ein eiserner Arm, und sind über den Fluß geschwommen! Brav, Rosny! Ihre Juwelen sind aus guten Häusern, obwohl nicht aus Ihrem eigenen, und wieviel Geld erst werden Sie in den Pariser Vorstädten gefunden und mitgenommen haben! Wenn ich Sie zu meinem Finanzminister machte anstatt des dicken d’O?“
Er sah sich um, da sie ihm nicht genug lachten. „Ich fürchte nichts so sehr wie traurige Leute und mißtraue ihnen.“
Sie schwiegen. Er betrachtete sie abwechselnd, bis er alles erraten hatte. Da nickte sein alter d’Aubigné ihm zu, einst sein Mitgefangener, nachher sein Kampfgefährte, und immer kühn und immer fromm, in Versen wie in Taten. Dies befreundete Gesicht nickte und sagte: „Sire! So ist es. Ein ganz durchnäßter Bote traf ein, als wir uns gerade schön gemacht hatten für den Empfang.“
Der Schrecken durchlief Henri. Er ließ es vorbeigehen. Als die Stimme ihm wieder völlig gehorchte, antwortete er munter dem alten Freund. „Agrippa, was willst du, das Kriegsglück. Die Gesandten sind umgekehrt. Sie werden sich aber nochmals anders besinnen, denn bald schlag ich wieder eine Schlacht.“
Hinter der Tür geschah ein großes Gepolter. Sie wurde aufgestoßen; zwischen Wachen erschien ein ganz durchnäßter Bote, der außer Atem und unfähig zu sprechen war. Man ließ ihn hinsitzen und gab ihm zu trinken. „Es ist ein anderer“, bemerkte Agrippa d’Aubigné.
Endlich sprach der Mann. „In einer halben Stunde sind die Gesandten hier.“
Henri dies hören, und er griff sich an das Herz. „Jetzt laß ich sie bis morgen warten.“ Damit ging er schnell ab.
Nun geschah über Nacht ein Wunder, und von November wurde es Mai. Eine weiche Luft wehte aus Süden, vertrieb alle Wolken, der Himmel spannte sich hell und weit über den Park des Schlosses von Tours, über den Fluß, der breit und langsam vorbeizog an den Feldern in der Mitte des Königreiches. Die Birken standen hoch und sehr entlaubt; vom Schloß her folgte man dem Landen der Schiffe, mit denen die Gesandten übersetzten. Ihre Wohnungen waren in Landhäusern drüben. Unter Fenstern, die bis zum Boden reichten, wartete zu ebener Erde der Hof, Herren und Damen so reich gekleidet als sie vermochten oder für anständig hielten. Roquelaure war der geschmackvollste. Agrippa hatte die größten Federn, Frontenac stand im Wettbewerb mit Rosny. Dieser trug am Hut und Kragen mehr Schmuck, als auf die Kleider der Frauen genäht war. Indessen zeigte sein noch junges, glattes Gesicht den verständigen Ernst wie sonst. Die Schwester des Königs erschien bei ihrem Eintritt sogleich als die schönste Frau. Gegen den hohen Kragen aus Spitzen und Diamanten lehnte ihr feiner blonder Kopf; das Damengesicht von höflicher Strenge verriet dennoch eine innere Kindlichkeit, die unvergänglich ist. Sie war noch in der Tür, als ihr golddurchwirkter Schleier hängenblieb. Oder machte ihr ungleicher Fuß ihr Verlegenheit? Der ganze Hof hatte sich an ihrem Weg aufgestellt. In diesem Augenblick sieht sie durch die entgegengesetzte Tür ihren Bruder, den König, kommen. Ein kleiner Jubellaut — sie achtet nicht mehr auf sich, einige Schritte läuft sie, es macht plötzlich gar keine Schwierigkeit. „Henri!“
Inmitten trafen sie einander. Catherine von Bourbon beugte das Knie vor ihrem Bruder — sie hatten zusammen gespielt am Anfang des Lebens, sie waren in schweren alten Kutschen durch das Land gereist mit ihrer Mutter Jeanne. ,Unsere liebe Mutter war wohl krank und ruhelos, aber wie stark durch den Glauben, den sie uns lehrte! Hat endlich recht behalten, obwohl sie zuerst sterben mußte an dem Gift der bösen alten Königin, und auch uns waren Schrecken und viel Mühe beschieden. Dennoch stehen wir jetzt wirklich in einem Saal in der Mitte des Königreiches, sind selbst der König mit seiner Schwester und werden die Gesandten Venedigs empfangen.‘ — „Kathrin!“ brachte der Bruder unter Tränen hervor, hob die Schwester aus ihrem Kniefall auf und küßte sie. Der Hof gab fröhlichen Beifall.
Der König in weißer Seide, blauer Schärpe, rotem Mäntelchen, führte die Prinzessin an schwebender Hand, der Hof wich auseinander, aber hinter den Herrschaften schloß er sich wieder. Sie hielten unter dem höchsten der Fenster, um sie her drängte man sich — und wer nach vorn gelangte, war nicht immer von den Besten. Die Schwester sagte dem Bruder ins Ohr: „Ich mag deinen Kanzler Villeroy nicht. Ich mag noch weniger deinen Schatzmeister d’O. Und du hast noch Schlechtere. Henri, lieber Bruder, könnten doch alle, die dir dienen, von unserem Glauben sein!“
„Ich wollte es auch“, sagte er seiner Schwester ins Ohr; hierauf aber winkte er gerade den beiden Höflingen, die sie genannt hatte. Sie wendete sich unwillig nach hinten: je weiter fort, um so befreundeter die Gesichter. An der Wand stieß Kathrin zu einem ganzen Haufen alter Freunde: Waffengefährten ihres Bruders, die Kavaliere des einstigen Hofes von Navarra, damals trugen sie meistens rauhe Lederkoller. „Ihr habt euch fein gemacht, meine Herren! Baron de Rosny, als ich Sie tanzen lehrte, hatten Sie noch keine Diamanten. Herr de la Noue, Ihre Hand!“ Sie nahm die eiserne Hand des Hugenotten — nicht seine lebende, die eiserne nahm sie und sagte, allein für ihn, Agrippa d’Aubigné und den langen Du Bartas:
„Gott hätte auf unserem Wege nur ein einziges Sandkorn anders rinnen lassen müssen als es wirklich vom Hügel rann: wir wären nicht hier. Wißt ihr’s wohl?“
Sie nickten. In dem verdüsterten Gesicht des langen Du Bartas standen schon die geistlichen Verse, die er sprechen wollte: da setzten draußen die Trompeten ein. Sie kommen! Geben wir uns Haltung und stellen einen mächtigen Hof vor! Die meisten Gesichter wurden alsbald von einer glänzenden Feierlichkeit, gemildert durch Neugier; die Gestalten strafften sich, auch die Prinzessin von Bourbon. Sie suchte unter den Damen, es waren wenige zu finden an diesem unsteten Hof und Feldlager. Schnell entschlossen nahm sie eine Hand und ging nach vorn mit Charlotte Arbaleste, der Frau des Protestanten Mornay. Plötzlich entstand eine Pause.
Die Gesandten dort hinten fanden wohl nicht die rechte Ordnung ihres Zuges. Verfrüht, der Trompetenstoß. Der Weg nach dem Ufer fiel ab; waren die Herren aus Venedig zu alt, ihn zu ersteigen? Es schien, daß der König sich belustigte, wenigstens lachte seine Umgebung. Die Prinzessin, seine Schwester, führte ihre Begleiterin an ein anderes Fenster: sie war erschrocken, neben ihrem königlichen Bruder stand Vetter Soissons, den sie liebte. ,Hätte ich nicht gerade diese sittenstrenge Protestantin am Arm!‘ dachte Catherine, als wäre sie selbst keine. Ja, sie vergaß sich — vergaß sich ihr ganzes kurzes Leben lang, beim unerwarteten Anblick ihres Geliebten. Ihr Herz klopfte, ihr Atem wurde kurz, zu ihrem Schutz machte sie ihr hochmütigstes Gesicht, wußte aber kaum, was sie ihrer Nachbarin noch sagte. „Herzklopfen“, sagte sie. „Madame de Mornay, litten Sie daran nicht? Schon in Navarra, als Sie es mit dem Konsistorium zu tun bekamen wegen Ihrer schönen Haare?“
Charlotte Arbaleste hatte den Kopf in eine Haube geschlossen; diese reichte bis nahe an die Augen, die flüssig glänzten und Menschenscheu nicht kannten. Ruhig bestätigte die tugendhafte Frau des Protestanten Mornay: „Man warf mir Unbescheidenheit vor, weil ich falsche Locken trug, und der Pastor schloß mich vom Abendmahl aus. Sogar Herrn de Mornay