Die Vollendung des Königs Henri Quatre. Heinrich Mann

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Vollendung des Königs Henri Quatre - Heinrich Mann страница 4

Die Vollendung des Königs Henri Quatre - Heinrich Mann

Скачать книгу

unrecht kann unsere Kirche uns tun“, beeilte die Prinzessin sich festzustellen. „Sie hatten doch für unsere Religion die Verbannung und die Armut auf sich genommen, nachdem Sie der Bartholomäusnacht entronnen waren. Wir alle, die hier die Gesandten erwarten, waren einst Gefangene oder Verbannte um des Glaubens willen: Sie selbst wie Herr de Mornay, der König, mein Bruder, und auch ich.“

      „Und auch Sie“, wiederholte Charlotte; ihr heller, flüssiger Blick fiel genau in die Augen Kathrins, die vor Unruhe zitterte. Reden hilft nichts, begriff sie. Die Frau durchschaut mich.

      „Sie haben trotz den Pastoren Ihre rötlichen Locken noch lange behalten.“ Darauf verharrte die arme Catherine. „Mit Recht, sage ich. Wie denn? Zuerst Verfolgung, das Exil, und endlich zurück in der Heimat, wird Ihr Opfer nicht angenommen, bloß wegen Ihrer Haare.“

      „Ich hatte unrecht“, gestand die Frau des Protestanten. „Es war Unbescheidenheit.“ Womit sie allerdings ihr eigenes Gebrechen preisgab, aber eigentlich erinnerte sie die Prinzessin an sich selbst und ihr noch schwereres Vergehen. Sie machte dies ganz deutlich. „Meine Unbescheidenheit war nicht bloß läßlich: sie war vorsätzlich und widerstand allen Warnungen. Indessen empfing ich die Erleuchtung im Gebet, legte endlich ab, was Unrecht war, trage seitdem auch bescheiden die Haube.“

      „Und habe Herzklopfen“, sagte Kathrin. Zornig überflog sie das Gesicht der anderen, bleich, fromm und länglich wie es nun geworden war. ,Früher, als sie hübsch war, gingen wir beide auf den Ball‘, dachte sie. Davon legte sich ihr Zorn. Ihr kam Mitgefühl, bald sollte es Reue sein. ,Ich seh noch aus wie damals — und meine Sünde auch. Ich kenne mich, ich bin belehrt, aber unverbesserlich; vergeben wird mir nicht‘, dachte sie mit Reue. „Herr, hilf mir, daß auch ich heute abend die Haube anlege für immer!“ betete sie leise und dringend, wenn auch ohne rechte Hoffnung auf Erhörung.

      Der Graf von Soissons stand vor ihnen, er sagte: „Meine Damen, es wird nach Ihnen verlangt von seiner Majestät.“ Beide neigten gehorsam die Gesichter, das eine war so still wie das andere. Er nahm ihre Fingerspitzen und führte die Damen an den erhobenen Händen. Die Hand seiner Cousine versuchte er leise zu drücken. Sie erwiderte nicht, und das Gesicht hielt sie abgewendet. Höflich übergab er sie ihrem königlichen Bruder.

      Zwischen den Pappeln erglänzte Metall: zuerst dachten alle an Waffen oder Kriegsgerät. „Nein“, sagten die Frauen, „wir wissen wohl, wie Edelsteine aufleuchten. Zum wenigsten sind es Stickereien.“ Es war aber dies alles und noch mehr: staunend erblickte man ein Schiff aus Silber, es schwamm herbei durch die Luft — so schien es, und war dem übrigen Zuge voran, als er kaum erst in Sicht kam. Das silberne Schiff war so groß, daß Menschen es hätten besteigen können — und wirklich, Hände setzen ein Segel, aber es sind Kinderhände. Das Schiff ist mit Knaben bemannt, die sich anstellen wie Seeleute und derart auch singen. Ein wenig Kling und Klang begleitet sie, wer weiß woher, und übrigens, wovon bewegt sich dies Zauberschiff?

      Zwanzig Schritte vor der Front des Schlosses hielt es an — wurde vielmehr niedergesetzt, und unter den prächtigen Geweben, die von seinem Bug hingen, sprangen Zwerge hervor: die hatten es getragen. Bucklige Zwerge, ganz in Rot, und nahmen Reißaus wie der Teufel, da lachte der Hof. Indessen nahte eine Sänfte. Wie? Das ist ein Thron. Noch soeben knapp über den Boden hingeführt, steigt das Gebäude an, nur die besten Maschinen können es so geräuschlos in die Lüfte erheben, und wird ein Thron. Die Lüfte aber sind blau und kreisen frei um das blonde Haupt der Frau auf dem Thron. Das blonde Haupt steht hoch in Locken und großen Perlen. Der Thron ist Purpur, die Frau: ein stolzes Weib mit goldenen Gewändern, so wie es Paolo Veronese malte. Wer ist das? Um die Augen liegt ihr eine Maske aus schwarzem Samt; wer ist das? Der Hof wurde ganz still. Der König entblößte den Kopf und alle mit ihm.

      Neben den hohen Thron traten oder stampften verwegene Gestalten, schwarze Panzer, die Trachten von düsterer Buntheit, ihre Köpfe zeigten unbedeckt das rötliche oder schwarze Gestrüpp der fremdartigen Haare. Aber sie wurden erkannt an den furchtbaren Gebissen: Sklavonen, eroberte Untertanen Venedigs. Fischer lösten diese ab, die echten Söhne der Seestadt, unverschönt, mit ihren geflickten Kleidern und abgewetzten Rudern, nicht anders als sie von der Brücke eines Kanals waren fortgeholt worden. Diese nun sangen — sehr klare Stimmen, kein Geheimnis zu vermuten, trotz der Sprache, die nicht jeder kannte. Es machte sich feierlich, obwohl so heiter. Der Hof dachte an eine Kirche, wenn er sie nicht sogar sah, die fernher funkelnde Kirche über dem Meer.

      Die Sänger brachen ab — mitten in einem so schönen Klang, da die Dame auf dem Thron die Hand ausstreckte. Das war eine außerordentliche Hand, der Rücken voll, die Finger zugespitzt und leicht aufwärts gebogen. Sie war ohne Schmuck, von der Farbe des Rosenblattes, und winkte, großartig, aber lockend, wie für einen Liebhaber, den eine so große Dame gnädig zuließe. Der Gesandte! begriff der Hof; und der König von Frankreich als einziger trat hinaus auf die Rampe, ihn zu empfangen.

      Gleichzeitig bewegten sich die Fischer von dem Thron fort und knieten hin. Bewegten sich fort und knieten hin die kriegerischen Sklavonen. Die Kinder knieten in dem silbernen Schiff, unter den hintersten Büschen die roten Zwerge. Der Weg neben dem Thron lag frei, ihn beschritt ein magerer Mann in schwarzem Talar und Barett: ein Gelehrter, vermeinte der Hof. Warum ein Gelehrter? Schickt die Republik als Höchsten einen Gelehrten? Die beiden anderen, graubärtige Heerführer, lassen ihm den Vortritt.

      Agrippa d’Aubigné und Du Bartas, zwei Humanisten, die aus alten und neuen Schlachten viele Narben an ihren Leibern trugen, berieten sich eilig, indessen der Gesandte sehr langsam dem König nahte. Herr Mocenigo, ein Verwandter des Dogen und selbst ganz alt. Hat einst bei Lepanto gekämpft, der berühmte Seesieg über die Türken. Jetzt lehrt er Latein zu Padua, davon kennt ihn erst die Christenheit. „Welch eine große Ehre!“ jubelte der Dichter Agrippa. „Herr Mocenigo huldigt unserem König, ich aber könnte aus lauter Freude die Schlacht bei Lepanto in Versen beschreiben, als wär ich dabei gewesen!“

      „Beschreibe statt dessen unsere nächste Schlacht“, verlangte in düsterem Ton der lange Du Bartas. ,Ich selbst werde verstummt sein‘, sprach er in sich hinein zu seinem ahnungsvollen Herzen.

      Der König hatte jetzt wieder seinen Federhut mit der aufgeschlagenen Krempe, darunter waren seine unbeschatteten Augen aufgerissen, um nichts zu verlieren. Er war aber bewegt, vielleicht wären Tränen in seine Augen gestiegen: eigentlich darum hielt er sie soweit offen, rührte die Lider sowenig wie Hand oder Fuß. Der Gesandte neigte zur Begrüßung den Kopf auf die Brust. Dann erhob er ihn, legte ihn in den Nacken, und da sah man erst. Da sah man, daß ein Auge geschlossen war, und eine rote Narbe lief darüber.

      Er begann zu sprechen, ein Latein von merkwürdigem Wohllaut — glatt, obwohl hart. Der Hof dachte an Marmor. Auch erkannte man jetzt, welch ein Gesicht dies war — knochiger Umriß, scharfe Nase, gesenkter Mund, alles wie an Büsten Dantes, eines alten Weisen. Der Hof verstand nicht jeden Satz, die gewohnte Sprache kam aus fremdem Mund. Dem Gesicht merkten sie an, daß ihr König hoch gefeiert wurde: gemessen wurde er am Beispiel der römischen Feldherren und ihrer würdig befunden.

      Henri, er ganz allein, begreift jedes Wort, nicht nur, was es obenhin sagen will: viel tiefer. ,Deine Sache wird verhandelt. Wer bist du? Das erfährst du aus dieser Anrede, oder glaubst es zu ahnen, solange sie noch währt. Der einäugige Weise vergleicht dich zum Schein mit dem ersten Eroberer dieses Königreiches, dem Römer Cäsar, deinem Vorgänger. In Wahrheit warnt er dich, zu bleiben wie bisher, ein Kampfhahn und kühner Reitersmann, groß im Kleinen, an hohen Taten unbewährt. Ich weiß, wen er mir vorzieht: es ist sein Landsmann, Farnese, Herzog von Parma, der berühmteste Stratege des Zeitalters. Das bin ich nicht, bin nur ein Kampfhahn ohne große Kunst.‘

      Davon wurde ihm schwül, er riß die Augen noch weiter auf. Der Hergereiste, der ihn so plötzlich mit der Wahrheit angesprochen hatte, beurteilte auf einmal ernst, jetzt erst ernst, dies Gesicht — fand es schmaler als jedes erblickte; und gerade die Abgezehrtheit

Скачать книгу