Florentiner Novellen. Isolde Kurz
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Als er sich des Jammers gesättigt hatte, kehrte ihm noch einmal die Hoffnung zurück, denn für so tückisch wollte er die Götter nicht halten.
»Das Haus steht noch, nur die Veranda ist zertrümmert. Das Buch muß noch zu retten sein. Kommt alle her, Simone, Gasparino, Giacomo und du, braver Pasquale! Wer mich liebt, der hole das Buch aus den Flammen, ich mache ihn zum reichen Mann. Aber eilt, rettet!«
Niemand rührte sich; als einzige Antwort streckte eine Flamme ihre breite rote Zunge zu dem seitlichen Fenster heraus, vermutlich, weil die als Vorhang dienende Strohmatte sich jetzt auch entzündet hatte.
Der Junker war zusammengezuckt und reckte sich aus, als wollte er sich erheben, aber er sank mit jammervollem Stöhnen wieder zurück, und Lucrezia hielt ihn ängstlich fest, ihn mit mütterlichen Liebesworten wie ein krankes Kind beschwichtigend. Die Umstehenden, obwohl sie nur Bauersleute waren, blickten mit inniger Rührung auf das schöne junge Paar, nur Bernardo hatte keine Regung des Mitleids übrig. Er erkannte jetzt die unerbittlich-unversöhnlichen Mächte, die dem Sterblichen den Kelch von der lechzenden Lippe reißen, aber er hatte seine Fassung wiedergefunden. Mit dem Saum seiner Toga verhüllte er den Kopf, denn die Knechte sollten seine Tränen nicht sehen. Nun erschien eine schlotternde, gebrochene Gestalt auf dem Brandplatz: der gute Lucius, dem die Augen weit aus den Höhlen standen und trotz der leckenden Hitze die Zähne klapperten.
»Ist es wahr, daß er verbrannt ist?« fragte er mit heiserem Ton, der sich kaum hervorgetraute.
»Verbrannt!« bestätigte Bernardo mit dumpfer Trauer und streckte, ohne sich zu enthüllen, die Rechte nach seinem Diener aus, um eine mitfühlende Hand zu drücken. Aber nichts Lebendiges kam ihm entgegen. Lucius hatte jetzt die Gruppe am Boden erspäht und staunte einen Augenblick mit aufgerissenen Augen. Doch im nächsten Moment lag er auf den Knien und küßte dem Junker die Hände und die sporenbeschwerten Reiterstiefel.
»Er ist gerettet!« jauchzte er. »O Herr, blickt doch her, hier liegt er ja, er ist in Sicherheit.«
Bernardo enthüllte einen Augenblick sein Gesicht und sagte dann mit einem Ton, der für den deutschen Junker nichts Schmeichelhaftes hatte: »Der da?« – Und in Gedanken setzte er hinzu: »Möchten doch zehn solcher Barbaren brennen, wenn nur der Kodex gerettet wäre!«
Aber Lucius verstand seinen Herrn auch ohne Worte. Er schnellte in die Höhe und sagte: »O Herr, ich habe, was Euch trösten wird.« Damit rannte er eilig fort und stand schon nach zwei Minuten wieder da.
»Hier ist der Kodex«, stammelte er schluchzend, »ich, ich habe ihn für Euch gerettet.«
Bernardo war überwältigt und stumm. Wie ein Kindlein wiegte er die Schriftrolle am Busen. Jetzt im Glück erwachte auch die Menschlichkeit, er trat zu dem Junker, drückte ihm die Hand und beglückwünschte ihn herzlich zu seiner Rückkehr und Rettung aus der Gefahr.
»Wir müssen nun vor allen Dingen an Eure Verletzung denken. Und was ich versprochen habe, das halte ich.«
Er ließ ein heiteres Auge über die Stätte der Zerstörung schweifen, sandte noch einen Dankesblick zum Himmel und entfernte sich, den geretteten Kodex ans Herz drückend. Die Diener hoben unter Lucrezias Anleitung den verletzten Fremdling auf die Bahre und trugen ihn vorsichtig ins Haus. Unterwegs teilten sie sich murmelnd ihre Verwunderung darüber mit, daß Herr Marcantonio von dem fürchterlichen Donnerschlag und dem darauffolgenden Feuerlärm nicht erwacht sei; das mußte ein gesunder Schlaf sein.
»Man hört es doch immer am Schlag, wenn der Blitz gezündet hat«, sagte ein alter Bauer. »Es war grausig, und wenn der Wind sich dreht und die Funken ins Röhricht wirft, so ist auch das Wohnhaus in Gefahr. Ein Glück, daß es endlich zu regnen beginnt.«
Noch hatten sie das Wohnhaus nicht erreicht, so goß der Regen schon in Strömen nieder mit so jäher, unwiderstehlicher Gewalt, als ob aus den geöffneten Himmelsfenstern eine Riesenbadewanne ausgeschüttet würde.
Die herbstliche Mittagssonne blickte auf ein völlig verwandeltes Bild. Das zierliche Rosenhäuschen stand schwarz und nackt in seinen Grundmauern da, und der schattige Hain war in einen häßlichen, dunklen Schutthaufen voll nasser Asche verwandelt, aus dem nur einzelne verkohlte Olivenstämme in grotesken Stellungen herausragten. Weithin lag alles Land versengt, das Wiesengrün war völlig ausgedörrt in dem Gluthauch, und die hohen Rohre niedergebrochen von der Gewalt des Regens. In dem steinigen Bette des Wildbachs schoß ein trüber reißender Strom herunter, der entwurzelte Bäumchen und zertrümmertes Lattenwerk mitführte und sich tief unten im Tale mit den geschwollenen Wassern der Ema vereinigte. Die Bauern und Tagelöhner des Herrn Marcantonio standen teils müßig auf der Brandstätte, teils wühlten sie in dem Trümmerhaufen des Waldhäuschens, aus dem sie den Leuchter und die geschmolzenen Becher und Kannen zum Vorschein brachten.
Kopfschüttelnd betrachteten sie die mächtige alte Zypresse, die gar nicht so nah bei dem Häuschen stand, wie es dem Junker gestern geschienen hatte, und die von oben bis unten zerspalten war. Also hatte der Blitz doch nicht in das Waldhaus geschlagen, und wie der Funke dorthin überspringen konnte, das war und blieb den guten Landleuten ein Rätsel.
Um diese Stunde trat Herr Bernardo bleich und übernächtig, aber ernst wie ein Totenrichter in das Gemach, wo Marcantonio noch zu Bette lag, von Frost geschüttelt, mit einem nassen Tuch um die Stirn und mit klappernden Zähnen, denn von der wilden Energie der vergangenen Stunden war nichts übriggeblieben als eine jämmerliche Angst. Der Schuldige hatte, als er den Lärm vernahm, nicht mehr gewagt, an die Stätte seiner Tat zurückzukehren, und wußte, obwohl er schlaflos auf jedes Geräusch hörte, wenig von den Vorgängen der Nacht. Er hatte nicht einmal den Mut, seine Leute auszufragen, und entschuldigte sich der Umgebung gegenüber mit einem Fieberanfall infolge der Aufregung.
Dies nahm die Dienerschaft nicht wunder, denn man war gewohnt, den Herrn bei allen außerordentlichen Anlässen sehr schonungsbedürftig zu sehen. Aber Bernardo blickte tiefer, er hatte bereits den Kodex gelesen.
»Ich will nicht fragen, Marcantonio, wie heute nacht der Brand auskam«, begann er, und nur an einem leisen Zittern der Stimme war seine tiefe Erregung zu erkennen. »Es ist ein Glück, daß der Blitz dich vor Verdacht sicherstellt; ich aber habe das Feuer schon gesehen, ehe das Gewitter begann.«
Marcantonio richtete sich im Bette auf und sah ihn höhnisch an.
»Dein junger Barbar war betrunken wie ein echter Deutscher und ließ sein Licht brennen.«
»Gut«, entgegnete Barnardo ruhig. »Was heute nacht geschah, ist Nebensache. Aber ein Mord ist begangen worden, der schwerer in die Schale fällt als ein geopfertes Menschenleben.«
»Ich verstehe dich nicht«, sagte Marcantonio mit finsterem Trotz.
»Du verstehst mich wohl. Wer einen Blick in diese Schrift wirft« – er zog den Kodex aus dem Busen – »der muß mich verstehen. Dies ist ein Cicero.«
Marcantonio sagte kein Wort und vermied den Blick seines Richters. Erst nach langer Pause murmelte er: »Bedenke, ich bin auch ein Rucellai.«
»Ich habe es bedacht«, antwortete Bernardo. »Stundenlang bin ich mit mir zu Rate gegangen und habe mich gefragt, was ein Römer an meiner Stelle getan hätte. Brutus ließ seine Söhne schlachten, aber er hätte sie nicht entehrt. Geh, ich hasse dich mehr als den Judas Ischariot. Meine Augen sollen dich nie wiedersehen. Marcantonio, Mörder des großen Cicero, lebe, und wenn du kannst, so trage noch fernerhin deinen ehrlosen Ruhm. Ich aber bringe mit blutendem Herzen der Ehre meines Hauses und