Die gelbe Mafia. Will Berthold
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Die Reisegruppe wohnte fast geschlossen im ›Ambassador‹, gleich hinter dem berühmten Hotel. Bereits in Singapur hatte Parker die ihm vom Zufall geschenkte Reisegefährtin überredet, sich in Hongkong wenigstens vorübergehend von den anderen abzuseilen und das fashionable Quartier ›Mandarin‹ zu beziehen. So mußten sie von Kowloon nach Hongkong Island fahren, auf die Insel, die der ganzen Region den Namen gegeben hatte und Regierungssitz geblieben war.
Ein Taxi brachte die beiden auf einer untertunnelten Autobahn zur anderen Seite. Der Wagen schoß am Ende der Grofs Road wieder an die Oberfläche und strandete prompt im Verkehrsgewühl, wie ein Schiff auf dem Trockenen. Der Linksverkehr wurde zum Stehverkehr. Geschickt zwängte sich der Taxifahrer an den emporschießenden Betonklötzen vorbei, passierte die teuersten Bauplätze der Welt und Skyscrapers, auf deren Aluminiumhaut sich eitel die Sonne spiegelte und die Passanten blendete.
Vom ersten Moment an spürten die Ankömmlinge Tempo, Rhythmus, Dynamik und Größenwahn der supervitalen Kronkolonie auf Sterbeetat.
Fast sechs Millionen Einwohner – die meisten von ihnen ehemalige Flüchtlinge aus Rotchina – leben auf 1045 Quadratkilometer mit ihren 230 meist unwirtschaftlichen Inseln. Hier offenbarte sich die Wehrlosigkeit der Habenichtse im Würgegriff der Geldhaie, und keiner störte sich daran. Die Vergewaltigung des chinesischen Drachens durch den britischen Löwen hat einen monströsen Wechselbalg gezeugt, der aus allen Nähten platzt und Hongkong zum aufregendsten Schauplatz der Welt macht. Ein Lotterpflaster in einem Supermarkt der Süperreichen, Anbeter, Bettler und Verächter in ihrem Gefolge. Bankiers und Gangster machten Hongkong zum Land, in dem Blut und Money fließen.
Auf dem ganzen Weg zur Nobelherberge stellte der Kamikaze fachmännisch und unauffällig fest, daß er keine sichtbaren Verfolger hatte. Er konnte auch keinen Schatten aus der eigenen Firma ausmachen – andernfalls hätte er sofort die nächste Maschine zum Rückflug nach Deutschland genommen.
Zwei Pullacher Gefährten als Tote waren genug. Er war eisern entschlossen, zu überleben, aber mit dem Tod hatten auch seine Vorgänger nichts im Sinn gehabt.
Taifun II war angelaufen.
2
Während der Mann aus Pullach, zeitraubend eingeschleust, sich dem Schauplatz der Operation näherte, behielt ihn die Zentrale im Isartal – Camp genannt – nicht zuletzt zu seinem eigenen Schutz ständig unter Kontrolle. Auch bei den drei gescheiterten Vorgängern des Kamikaze war diese alte Untergrundregel beachtet worden, aber offensichtlich nicht gründlich genug oder von untauglichen Bewachern. Jedenfalls war das die einzige Erklärung, die es vorerst für die verheerende Panne gab, von dem Betriebsunfall mit Latzke gar nicht zu reden.
Während der Schönwetterlage glich das Hauptquartier im Isartal in diesen Dezembertagen mehr einem idyllischen Erholungsheim als einer hektischen Spionagefabrik. Vieles hatte sich seit den Zeiten des legendären Generals Gehlen geändert. Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes fuhr nicht mehr mit Schlapphut, einer getönten Brille und falschem Bart als angeblicher Dr. Schneider nach Bonn, um durch sein Verschwörungsgehabe dem Bundeskanzler zu imponieren.
Auch seine Mitarbeiter brauchten im Dienst keine falschen Namen mehr tragen wie Narrenkappen bei einer Karnevalsveranstaltung. Sie wurden auch nicht mehr mit Zigarettenstangen, Bohnenkaffee und Carepaketen bezahlt, so daß man – wie in den ersten Zeiten der Organisation – bereits aus der Zigarettensorte, die ein Geheimagent rauchte, auf seine Auftraggeber schließen konnte. Die militärischen Ränge, die noch aus dem Zweiten Weltkrieg stammten, waren durch Beamtentitel ersetzt worden: die Skala reichte vom Regierungsrat bis zum Präsidenten im Rang eines Staatssekretärs. Besoldung, Beförderungschance, Streikverbot und Krankheitszuschüsse waren beamtenrechtlich geregelt. Erstmals gab es Spione mit Pensionsberechtigung.
Die Technik mit ihren elektronischen Möglichkeiten hatte Spionage, Gegenspionage und Desinformation von Grund auf verändert. Geblieben freilich waren die Versuche fast aller politischen Parteien, ihre Aufpasser in die Pullacher Zentrale zu setzen, wie Läuse in den Pelz. Natürlich geschah das hintenherum. Das Ansehen der Politiker rangierte nach Spendenaffären, Schmiergeldzuweisungen, Spielbankskandalen, Wahlkampfmanipulationen, Meineidsgeschichten, Selbstversorgung durch Diätenerhöhung tief im Keller. Aber der Proporz setzte sich schließlich durch, und je mächtiger eine Partei war, desto höher wurde auch ihr Horchposten im Rang angesiedelt, denn seine Information war nicht selten auch Munition.
Salewsky galt nicht als der einzige Politaufpasser in Pullach, wohl aber als der Mann, den man in die höchstrangige Stellung gehievt hatte. Der schlaue Berufspolitiker, der seine Karriere im Staatsministerium für Entwicklungshilfe begonnen hatte, galt als ein spezieller Günstling des Bayatollahs in München. Der ›schöne Maximilian‹, der Name mußte noch aus früheren Zeiten stammen, denn inzwischen hatte Salewsky Hängebacken, ein Doppelkinn, schütteren Haarwuchs und eine von einem erstklassigen Maßschneider nur noch mit großem Geschick verbergbare Körperfülle. Er war der geborene Gruftspion.
Man munkelte im Camp, daß der Haussegen mit seiner attraktiven, erheblich jüngeren Frau Lydia schief hing, aber das konnte auch nur ein hämisches Gerücht sein. Salewsky war häufiger Gast seiner Politfreunde in München, und man konnte annehmen, daß bei diesen Begegnungen nicht nur über die Qualität von Weißwürsten, Bier oder über das Wundertier Wolpertinger gesprochen wurde. Ein Mann seines Einflusses hatte seine Freunde und seine Feinde im Camp, letztere in der Überzahl, doch meistens aus durchaus unpolitischen Gründen. Man versuchte, den Azubi zu übergehen, wann immer es nur möglich war, aber wenn er dahinterkam, gab es jeweils beträchtlichen Wirbel.
Überraschend hatte der BND-Präsident ausgerechnet Salewsky als Stellvertreter des HOKO-Chefs Kudemann – neben Blaurock als ständigem Mitglied – delegiert. Man rätselte auf dem riesigen Areal hinter der langen Mauer, ob der schöne Maximilian nur von der Zentrale ferngehalten oder in eine Falle gelockt werden sollte, denn der dynamische HOKO-Leiter würde keine Dilettanten in seiner Nähe dulden. Außerdem war Kudemann bekannt dafür, daß ihn politische Querelen kalt ließen. Wenn einer der mächtigsten Politpaten hinter den Kulissen zugunsten seines Darlings intervenierte, konterte Kudemann notfalls mit beträchtlicher Zivilcourage in aller Öffentlichkeit mit Presse- und Fernsehinterviews. Protektion war für ihn gleichbedeutend mit Korruption.
Die Maschine des Bundesgrenzschutzes, die Blaurock und Salewsky zur Besprechung nach Wiesbaden brachte, startete schon am frühen Morgen bei prächtigem Flugwetter. Trotzdem war der Leiter des Fernost-Dezernats schlechter Laune, denn er konnte jetzt eine gute Stunde lang Salewsky nicht ausweichen. Er und andere Experten hatten sich angewöhnt, Meldungen an ihm vorbeizureichen und ihm wie einem Frühstücksdirektor die repräsentativen Aufgaben zuzuschieben, was häufig mißlang.
»Was Neues bei der ›Operation Taifun‹?« fragte Salewsky prompt.
»Der Einsatz läuft nach Plan«, erwiderte Blaurock abweisend. »Wir haben Parker ständig im Auge.«
»Das wird auch vonnöten sein«, antwortete der Azubi geschwätzig. Er merkte, daß sein Begleiter weiteren Erörterungen aus dem Weg ging, und suchte nach einem neuen Gesprächsansatz. Der Dezernent griff nach seiner Aktentasche mit der gewünschten Zusammenstellung aller Pullach bekannten Triaden-Aktivitäten: Mord, Folter, Erpressung von Schutzgeldern, internationaler Mädchenhandel, Geldwäscherei, Markenfälschungen, Schiffsversenkungen und Waffenhandel.