Der letzte Mensch. Mary Shelley

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Der letzte Mensch - Mary Shelley

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Bäume mit ihrer Zierde von Blättern; während Gesteinsbrocken, die sich über den Ebenen türmen, die Aussicht mit ihrer angenehmen Unregelmäßigkeit verändern.

      Auch sind es nicht die äußeren Gegenstände allein, die dieser gute Geist geprägt hat. Sieh in die Seele des Menschen, wo die Weisheit thront, wo die Phantasie, die Malerin mit ihrem Pinsel, sitzt, die mit lieblichen Farben, schöner noch als die des Sonnenuntergangs, das vertraute Leben in glühenden Tönungen malt. Welch edle Gabe, des Gebers würdig, ist die Einbildungskraft! Sie nimmt der Wirklichkeit ihren bleiernen Hauch, sie umhüllt alle Gedanken und Empfindungen mit einem strahlenden Schleier und lockt uns aus den kalten Ozeanen des Lebens in ihre Gärten, in die Lauben und Lichtungen der Glückseligkeit. Und ist nicht die Liebe ein Geschenk Gottes? Die Liebe und ihr Kind, die Hoffnung, die der Armut Reichtum verleihen kann, den Schwachen Kraft und den Leidenden Glück.

      Mein Los war nicht glücklich. Ich habe lange in Kummer geschwelgt, bin in den düsteren Irrgarten des Wahnsinns eingetreten und nurmehr halb lebendig aufgetaucht. Doch ich danke Gott, dass ich überlebt habe! Ich danke Gott, dass ich seinen Thron, den Himmel, und die Erde, seinen Fußschemel gesehen habe. Ich bin froh, dass ich die Veränderungen seines Tages gesehen habe, die Sonne, die Quelle des Lichts, und den sanften Mond; dass ich das Licht Blumen am Himmel und die blumigen Sterne auf der Erde hervorbringen sah; dass ich Zeuge der Aussaat und der Ernte werden durfte. Ich bin froh, dass ich geliebt habe und dass ich mitfühlende Freude und Leid mit meinen Mitgeschöpfen erlebt habe. Ich bin froh, jetzt den Fluss meiner Gedanken durch meinen Geist und des Blutes durch die Adern meines Körpers zu fühlen; die bloße Existenz ist Vergnügen, und ich danke Gott, dass ich lebe!

      Und all ihr fröhlichen Sprösslinge von Mutter Erde, hört ihr nicht meine Worte? Ihr seid miteinander verbunden durch die zärtlichen Bande der Natur, Gefährten, Freunde, Liebende! Väter, die freudig für ihre Nachkommenschaft arbeiten; Frauen, die, indem sie ihren Kindern beim Wachsen zusehen, die Schmerzen der Mutterschaft vergessen, Kinder, die weder arbeiten noch spinnen, sondern lieben und geliebt werden!

      Oh, dass Tod und Krankheit aus unserer irdischen Heimat verbannt würden! Dass Hass, Tyrannei und Furcht nicht länger ihre Zuflucht im menschlichen Herzen fänden! Dass jeder Mann einen Bruder in seinem Gefährten finden würde und einen Hort der Ruhe inmitten der weiten Ebenen seiner Heimat, dass die Quelle der Tränen versiegte und die Lippen nicht mehr Worte der Trauer aussprechen könnten. Wenn du so unter dem gütigen Auge des Himmels schläfst, o Erde, kann da das Böse dich besuchen oder Leid deine glücklosen Kinder in ihre Gräber wiegen? Flüstere es nicht, damit die Dämonen es nicht hören und sich freuen. Die Wahl liegt bei uns, lasst es uns wollen, und unsere Wohnstatt wird zum Paradies. Denn der Wille des Menschen ist allmächtig, stumpft die Pfeile des Todes ab, beruhigt das Krankenlager und trocknet die Tränen des Leids. Und was ist ein menschliches Wesen wert, wenn es nicht seine Kraft verwendet, um seinen Mitgeschöpfen zu helfen? Meine Seele ist ein verblassender Funke, mein Körper erschöpft wie eine verebbte Welle; doch ich widme alle Klugheit und Stärke, die mir verbleibt, diesem einen Werk und nehme die Aufgabe auf mich, meinen Mitmenschen, soweit es mir möglich ist, Segen zu bringen!«

      Seine Stimme zitterte, seine Augen waren gen Himmel gewandt, seine Hände gefaltet, und sein zerbrechlicher Körper krümmte sich in einem Übermaß an Gefühl. Der Geist des Lebens schien in seinem Körper zu verweilen, wie die sterbende Flamme einer Altarkerze auf der Glut eines dargebrachten Opfers flackert.

      Kapitel 5

      Als wir in Windsor ankamen, erfuhr ich, dass Raymond und Perdita nach dem Kontinent aufgebrochen waren. Ich bezog das Haus meiner Schwester und freute mich darüber, in Sichtweite von Schloss Windsor zu wohnen. Es war eine merkwürdige Tatsache, dass ich zu dieser Zeit, als ich seit der Hochzeit Perditas mit einem der reichsten Männer Englands verwandt und durch innige Freundschaft mit dem vornehmsten Adligen des Landes verbunden war, ein größeres Ausmaß an Armut erfuhr, als ich bis dahin je gekannt hatte. Mein Wissen um die weltlichen Grundsätze Lord Raymonds hätte mich stets davon abgehalten, mich an ihn zu wenden, so tief meine Not auch sein sollte. Umsonst wiederholte ich mir in Bezug auf Adrian, dessen Börse mir stets offenstand, dass, da wir eins in der Seele waren, wir auch unser Vermögen teilen sollten. Ich konnte niemals an seine Großzügigkeit als Heilmittel für meine Armut denken, wenn wir beisammen waren; ja ich wehrte sogar seine Angebote zur Unterstützung ab und behauptete, dass ich ihrer nicht bedürfe. Wie könnte ich zu diesem großzügigen Wesen sagen: »Lass mich nur weiter im Müßiggang leben. Wie solltest du, der du deine Geisteskräfte und dein Vermögen zum Nutzen deiner Mitmenschen eingesetzt hast, deine Bemühungen fehlleiten, indem du die Nutzlosigkeit des Starken, Gesunden und Fähigen unterstützt?«

      Und doch wagte ich nicht, ihn zu bitten, seinen Einfluss geltend zu machen, damit ich eine ehrenwerte Möglichkeit erhalten könnte, mich selbst zu versorgen – denn dann wäre ich gezwungen gewesen, Windsor zu verlassen. Ich wandelte unaufhörlich unterhalb seiner schattigen Dickichte um die Mauern des Schlosses; meine einzigen Begleiter waren meine Bücher und meine zärtlichen Gedanken. Ich studierte die Weisheit der Alten und blickte auf die glücklichen Mauern, die die Geliebte meiner Seele beschirmten. Mein Verstand war dennoch müßig. Ich brütete über der Poesie alter Zeiten; ich studierte die Metaphysik von Platon und Berkeley. Ich las die Geschichten von Griechenland und Rom und Englands früheren Epochen und beobachtete die Bewegungen meiner Herzensdame. Des Nachts konnte ich ihren Schatten an den Wänden ihres Zimmers sehen; bei Tag erblickte ich sie in ihrem Blumengarten oder wie sie mit ihren Gefährtinnen im Park ausritt. Mich dünkte, der Zauber sei gebrochen, wenn ich gesehen würde, dann aber hörte ich die Melodie ihrer Stimme und war glücklich. Ich verlieh jeder Heldin, von der ich las, ihre Schönheit und unvergleichliche Vorzüglichkeit – sie war Antigone, wie sie den blinden Ödipus zum Hain der Eumeniden führte und die Bestattungszeremonien Polyneikes’ leitete; sie war Miranda in der einsamen Höhle Prosperos; sie war Haidée am Strand der Ionischen Insel. Ich war beinahe von Sinnen in meinem Übermaß an leidenschaftlicher Hingabe; doch der Stolz, unbezähmbar wie das Feuer, zügelte meine Natur und bewahrte mich davor, mich durch Wort oder Blick zu verraten.

      In der Zwischenzeit, während ich mich so mit reichhaltiger geistiger Nahrung verwöhnte, hätte ein Bauer meine dürftige Kost verschmäht, die ich zuweilen den Eichhörnchen des Waldes raubte. Ich war, wie ich gestehen muss, oft versucht, zu den gesetzlosen Heldentaten meiner Jugend zurückzukehren und die beinahe zahmen Fasane, die auf den Bäumen saßen und ihre hellen Augen auf mich richteten, zu erlegen. Doch sie waren das Eigentum Adrians, die Zöglinge Idris’; und obgleich meine durch die Entbehrungen reizbar gemachte Phantasie mich denken ließ, dass sie sich besser in meiner Küche ausnehmen würden als zwischen den grünen Blättern des Waldes, gebot ich

       Nichtsdestotrotz

      Meinem Willen Einhalt, und aß sie nicht;

      ich aß sie jedoch in meinen Gedanken und träumte vergeblich von solchen Leckerbissen, in deren Genuss ich im wachen Zustande vielleicht nicht gelangen würde.

      Zu dieser Zeit jedoch stand mein Leben vor einer entscheidenden Änderung. Der verwaiste und vernachlässigte Sohn Verneys sollte bald durch eine goldene Kette mit dem Mechanismus der Gesellschaft verbunden werden und in alle Pflichten und Gewohnheiten des Lebens eintreten. Wunder sollten zu meinen Gunsten bewirkt werden, die Maschine des gesellschaftlichen Lebens drängte mit großer Anstrengung zurück. Lausche, o Leser, während ich diese Wundergeschichte erzähle!

      Eines Tages, als Adrian und Idris mit ihrer Mutter und ihren gewohnten Gefährten durch den Wald ritten, zog Idris plötzlich ihren Bruder beiseite und fragte ihn: »Was ist aus deinem Freund Lionel Verney geworden?«

      »Sogar von dieser Stelle«, antwortete Adrian, auf die Hütte meiner Schwester zeigend, »kannst du seine Behausung sehen.«

      »Tatsächlich!«, sagte Idris, »und warum, wenn er so nahe ist, kommt er uns nicht besuchen und leistet uns Gesellschaft?«

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