Wieviel Erde braucht der Mensch. Leo Tolstoi
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Lew Tolstoi
Wieviel Erde braucht der Mensch
Saga
Wieviel Erde braucht der Mensch ÜbersetztA.A. Fiedler Original Mnogo li tscheloweku semli nuschno?Coverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1886, 2020 Lew Tolstoi und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726614794
1. Ebook-Auflage, 2020
Format: EPUB 3.0
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I
Aus der Stadt war die ältere Schwester zum Besuch der jüngeren ins Dorf gekommen. Die ältere Schwester war in der Stadt mit einem Kaufmann, die jüngere auf dem Lande mit einem Bauern verheiratet. Die Schwestern saßen beim Tee und unterhielten sich. Dabei brüstete sich die ältere Schwester mit ihrem städtischen Leben und pries es auf alle Tonarten: wie geräumig und sauber sie in der Stadt wohne, wie fein sie sich kleiden und ihre Kinder putzen könne, wie gut sie esse und trinke und wie sie zu allen möglichen Vergnügungen und in die Theater fahre.
Die jüngere Schwester ärgerte sich und begann das Kaufmannsleben herabzuwürdigen und das ländliche Leben zu loben.
„Nun, ich würde mein Leben nie gegen deins tauschen“, sagte sie. „Wenn wir auch einfach leben, so brauchen wir dafür auch nichts zu fürchten. Ihr führt ein feineres Leben, aber alles ist unsicher: Ihr könnt viel verdienen in eurem Geschäft, könnt aber auch ganz ruiniert werden. Auch das Sprichwort sagt: Wie gewonnen, so zerronnen. Manch einer, der heute noch reich ist, bettelt morgen an den Türen. Mit der Landwirtschaft ist es sicherer ‒ der Bauer hat ein karges, aber langes Leben; wir kommen nicht zu Reichtum, werden aber immer satt sein.“
Darauf sagte die ältere Schwester:
„Was ist das schon für ein Sattsein ‒ zusammen mit Schweinen und Kälbern! Auf dem Lande gibt es keine Bequemlichkeiten, keine Lebensart. Wieviel sich dein Mann auch abmühen mag ‒ so wie ihr zwischen dem Dünger lebt, so werdet ihr auch sterben, und mit euren Kindern wird es ebenso sein.“
„Und wenn schon, so ist es nun mal in der Landwirtschaft“, erwiderte die jüngere Schwester. „Dafür haben wir aber auch ein gesichertes Leben, wir katzbuckeln vor niemandem, haben vor niemandem Angst. Euch in der Stadt dagegen drohen immer Versuchungen; heute geht’s euch gut, aber morgen kann sich plötzlich der Teufel dahinterstecken ‒ und schon verführt er deinen Mann zur Lust am Kartenspiel oder am Trunk oder an einem hübschen Frauenzimmer. Und dann bricht alles zusammen. Kommt das nicht auch vor?“
Pachom, der Hausherr, lag auf dem Ofen und hörte dem Geschwätz der Frauen zu.
„Das ist wirklich wahr“, sagte er. „Wenn unsereins von Kindheit an das Mütterchen Erde umbuddelt, dann kommen ihm solche Dummheiten gar nicht erst in den Kopf. Nur eins ist ein Unglück ‒ es fehlt einem an Land! Wenn ich reichlich Land hätte, dann könnte mir niemand, auch der Teufel selber nicht, was anhaben!“
Die Frauen tranken ihren Tee aus, plapperten noch eine Weile über ihre neuen Kleider, räumten dann das Geschirr ab und legten sich schlafen.
Hinter dem Ofen aber hatte der Teufel gesessen und alles mit angehört. Er frohlockte darüber, daß die Bauersfrau ihren Mann zur Prahlerei verleitet und daß dieser sich gebrüstet hatte, ihm könnte, wenn er genügend Land hätte, selbst der Teufel nichts anhaben.
,Wohlan‘, dachte der Teufel, ,wir wollen unsere Kräfte messen! Ich werde dir viel Land zuschanzen, und durch das Land werde ich mir dann auch dich holen.‘
2
Neben dem Dorf hauste die Besitzerin eines Kleinen Gutes. Sie besaß hundertzwanzig Deßjatinen Land. Zwischen ihr und den Bauern war immer ein gutes Auskommen gewesen ‒ sie hatte die Bauern nie drangsaliert. Doch vor einiger Zeit hatte sie einen verabschiedeten Soldaten als Verwalter angestellt, und der machte den Bauern durch Strafen das Leben schwer. Sosehr Pachom auch aufpaßte, es kam immer mal vor, daß ein Pferd auf das Haferfeld lief, daß eine Kuh in den Garten trottete oder daß die Schafe in die Wiesen eindrangen ‒ und jedesmal mußte dann Strafe gezahlt werden.
Pachom zahlte die Strafen, schimpfte auf seine Angehörigen und schlug sie. Eine Menge Sünden lud sich Pachom im Laufe des Sommers wegen dieses Verwalters auf. So war er sogar froh, als das Vieh wieder zu Hause blieb: War es auch schade um das Futter, so fiel doch die ewige Angst fort.
Im Winter verbreitete sich das Gerücht, daß die Gutsherrin ihr Land zu verkaufen beabsichtige und daß der Wirt des an der Landstraße liegenden Gasthofs es kaufen wollte. Als die Bauern hiervon hörten, gerieten sie in große Sorge. ,Na‘, dachten sie, ,wenn der Gastwirt das Land kauft, wird er uns noch ärger mit Strafen plagen als die Gutsherrin. Wir aber können ohne dieses Land nicht wirtschaften, denn wir sind ringsum von ihm eingeschlossen . . .‘ Eine Abordnung der Bauern begab sich zur Gutsherrin und bat sie im Namen der Gemeinde, das Land nicht an den Gastwirt, sondern ihnen zu verkaufen. Sie erklärten sich auch bereit, einen höheren Preis zu zahlen. Die Gutsherrin willigte ein. Nach den Plänen der Bauern sollte das Land im ganzen von der Gemeinde gekauft werden. Es wurden einmal und noch einmal Versammlungen einberufen, aber eine Einigung kam nicht zustande. Der Teufel machte die Bauern starrsinnig und vereitelte jede Übereinkunft. Da beschlossen sie, daß jeder einzeln für sich so viel Land kaufen möge, wie er bezahlen konnte. Die Gutsherrin ging auch hierauf ein. Pachom kam zu Ohren, daß sein Nachbar bei ihr schon zwanzig Deßjatinen gekauft habe und daß ihm die Hälfte der Kaufsumme von der Gutsherrin für mehrere Jahre gestundet sei. Da empfand Pachom Neid. ,Das ganzeLand wird im Nu verkauft sein‘, dachte er, ,und ich hab’ dann das Nachsehen.‘ Er beriet sich mit seiner Frau.
„Alle Leute kaufen schon“, sagte er, „da müssen auch wir beizeiten so an die zehn Deßjatinen erstehen. Denn so ist es kein Leben: Der Verwalter hat uns mit seinen Strafen rein auf den Hund gebracht.“
Beide überlegten nun, wie sie das Geld für den Kauf aufbringen sollten. Sie hatten hundert Rubel auf die hohe Kante gelegt, verkauften dazu ein Fohlen und die Hälfte der Bienenstöcke, verdingten den Sohn als Arbeiter und liehen sich noch etwas Geld vom Schwager, so daß die Hälfte der Kaufsumme zusammenkam.
Nachdem Pachom das Geld beisammen hatte, suchte er sich ein gutes, fünfzehn Deßjatinen großes Stück Land aus, zu dem auch etwas Wald gehörte, und ging zur Gutsherrin, den Handel abzuschließen. Der Kauf kam zustande, er bekräftigte ihn durch Handschlag und hinterließ eine Anzahlung. Dann fuhr man in die Stadt, um den Kaufvertrag amtlich registrieren zu lassen, und Pachom zahlte die Hälfte der Kaufsumme in bar und verpflichtete sich, den Rest innerhalb von zwei Jahren zu begleichen.
So war Pachom nun zu Land gekommen. Er kaufte auf Kredit Saatgut und säte es auf dem erstandenen Land aus; alles gedieh gut. Schon nach einem Jahr tilgte er seine Schuld bei der Gutsherrin und bei seinem Schwager. Pachom war jetzt richtiger Gutsbesitzer: Er pflügte und bestellte sein eigenes Land, mähte auf eigener Erde Heu, fällte in eigenem Wald Holz und ließ sein Vieh auf eigenen Wiesen weiden. Wenn Pachom auf seinen Besitz fuhr, um das Feld zu pflügen, oder wenn er hinkam, um sich das schon sprießende Korn und die Wiesen anzusehen, konnte er sich gar nicht genug freuen. Es schien ihm, daß das Gras jetzt viel besser wachse und daß auf den Wiesen ganz andere Blumen blühten als zuvor. Früher, wenn er da an diesem Abschnitt vorbeigekommen