Der arme Jack. Фредерик Марриет
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Читать онлайн книгу Der arme Jack - Фредерик Марриет страница 6
Ben schüttelte den Kopf.
„Dann will ich’s Euch sagen — weil sie einmal Kammerjungfer bei einer gnädigen Frau gewesen ist.“
„Nun“, erwiderte Ben, „ich verstehe nicht viel von Titeln, gnädigen Frauen und dergleichen Dingen, aber es thut mir leid, dass sie so in der Welt heruntergekommen ist. Denn abgesehen von ihren gentilen Grillen ist sie ein guter Weiberschlag in ihrer Weise, hält auf ihren Ruf und verdient sich ein ehrliches Auskommen.“
„Um so besser für sie“, sagte mein Vater, der seine Pfeife wieder füllte und jetzt schweigend zu rauchen fortfuhr.
Da meine Mutter nicht gerufen wurde, blieb sie die ganze Zeit abwesend, weil sie in der Hinterküche ihre Wäsche zu besorgen hatte.
Virginia war nun ganz zutraulich geworden und spielte mit dem grossen Backenbarte meines Vaters, während er hin und wieder seine Pfeife beiseite legte, um sie zu küssen. Ich hatte eben den Porterkrug auf meinen Knieen, weil er mir gesagt hatte, ich solle auch einen Zug thun, als die Mutter in das Zimmer trat.
„Ei, Mr. Benjamin, es nähme mich nicht wunder — aber — oh, Himmel, er ist’s!“ rief meine Mutter. „Oh! Geschwinde — sal wolatily!“
„Was will die von einer Sall? zum Teufel, was fällt Dir ein!“ sagte mein Vater, sich erhebend und meine Schwester auf den Boden setzend.
„Es giebt, glaube ich, keine Sall in der Nachbarschaft,“ versetzte Ben, gleichfalls aufstehend; „aber Mrs. Sounders scheint durch irgend etwas ganz gegen den Mast geworfen zu sein. Jack, lauf und hole einen Eimer Wasser.“
„Jack, Du bleibst, wo Du bist,“ rief meine Mutter, von dem Stuhle aufspringend, auf welchen sie sich geworfen hatte. „Oh, du mein Himmel! Die Erschütterung war so plötzlich — ich bin so verwirrt — wer hätte auch gedacht, dass ich Dich wieder sehen würde!“
„Seid Ihr ihr Bruder?“ fragte Ben.
„Nein, ich bin nur ihr Mann,“ versetzte mein Vater.
„Der Tausend, höre ich da zum erstenmal, dass sie einen hat — aber ich will linksum machen, denn Mrs. Sounders ist, wie ich sehe, viel zu gentil, um vor Leuten zu küssen.“
Ben nahm sodann seinen Stock auf und verliess das Haus. Ich muss hier bemerken, dass mein Vater während seiner Abwesenheit mit einem von seinen Pressern zusammengetroffen war und von ihm in Erfahrung brachte, dass eine Weibsperson die Mitteilung gemacht habe, infolge deren er aufgegriffen wurde. Er liess sich von dem Manne, welcher zugegen gewesen, als meine Mutter den Offizier besuchte, ihre Person beschreiben, und die Schilderung traf in allen Punkten so genau zu, dass mein Vater nicht zweifeln konnte, er sei von seiner eigenen Gattin verraten worden. Dieses Bewusstsein hatte sich seit Jahren tief in seine Brust eingefressen; er war nach Hause gekommen, nicht nur um zu sehen, wie es daselbst zuginge, sondern auch um meiner Mutter ihren tückischen Verrat vorzuhalten.
Ob meine Mutter Gewissensbisse empfand, oder ob sie aus den Blicken meines Vaters bemerkte, dass ein Sturm im Anzuge sei, weiss ich nicht; sobald sich aber Ben entfernt hatte, schloss sie die Hausthür, dass die Nachbarn nichts hören möchten. Nachdem dies geschehen war, kehrte sie zu meinem Vater zurück, der seinen Sitz wieder eingenommen hatte und weiterrauchte.
„Nun,“ sagte sie, die Schürze vor ihre Augen haltend, „Du bist gute sechs Jahre weggewesen und hast es mir überlassen, mich, so gut es gehen mochte, mit diesen zwei armen, verwaisten Kindern durchzuschlagen.“
„Du weisst am besten, warum ich ging,“ versetzte mein Vater, „und durch wessen Vermittelung ich so eilig abmarschierte.“
„Ich?“ entgegnete meine Mutter.
„Ja, Du,“ antwortete mein Vater.
„Nun, und was weiter?“ rief sie.
„Ich will Dir sagen, was weiter,“ erwiderte mein Vater, indem er aufstand und ein anderthalb Fuss langes Tau von anderthalb Zoll Dicke aus seiner Tasche nahm. „Sieh her, Weibsbild! Als ich in Erfahrung brachte, dass ich durch Deine Hinterlist an Bord des ‚Tender‘ geschickt wurde, drehte ich mir diesen Strick, und ich habe ein teures Gelübde abgelegt, ihn stets in meiner Tasche zu tragen, bis ich Dich damit bedienen könne. Jetzt ist die Zeit gekommen.“
Und mit diesen Worten schwang mein Vater das Tau. Meine Mutter wollte nach der Thür fliehen, aber er gewann ihr den Vorsprung ab, drehte den Schlüssel um, ergriff zu meinem und Virginias grossen Erstaunen die Mutter, hielt sie auf Armslänge vor sich hin und erteilte ihr mehrere Hiebe — freilich keine schweren, wie ich zugeben muss, die ihr also nicht besonders wehthun konnten.
„So,“ sagte mein Vater, „es ist ein Glück für Dich, Du saubere Kammerjungfer von einer gnädigen Frau, dass ich nicht mit Dir zusammentraf, als ich mir diesen Strick drehte. Auch kommt es Dir zu gute, dass der alte Knaster da, welcher eben erst das Haus verliess, Dir ein gutes Zeugnis beilegt, sonst hättest Du die Tücke, die Du mir gespielt hast, bitterer empfinden sollen. Ich habe übrigens meinen Eid gehalten und Du darfst Deine Sterne segnen, dass es nicht schlimmer ausgefallen ist.“
Meine Mutter, die während ihrer Züchtigung sich mäuschenstille verhalten und nur ein sehr zorniges Gesicht gemacht hatte, warf sich jetzt, nachdem mein Vater seine Rede beendigt, sein Tau aufgerollt und es in die Tasche gesteckt hatte, plötzlich auf den Boden und schrie aus Leibeskräften Mordio. Der Lärm rief die Nachbarn herbei, ganz Fishers Alley geriet in Aufruhr und unser Haus wurde von Leuten belagert, die die Thür einzubrechen versuchten — denn meine Mutter fuhr fort zu schreien, und die arme kleine Virginia war so erschrocken, dass sie fast ebenso laut kreischte.
„Ich hätte gute Lust, Dir noch einmal übers Fell zu kommen,“ sagte mein Vater, indem er das Tau abermals aus seiner Tasche zog. „Aber nein, weil Du es einmal willst, so soll es alle Welt erfahren.“
Damit steckte er seinen Strick wieder ein und ging hinaus, um die Thür aufzuschliessen. Als meine Mutter bemerkte, was jetzt vorgehen sollte, erhob sie sich augenblicklich und eilte nach ihrem Gemach die Treppe hinauf. Mein Vater erzählte hierauf den Nachbarn, was sich zugetragen und warum seine Frau eine Züchtigung erhalten habe, worauf das gemeinschaftliche Verdikt sämtlicher Bewohner von Fishers Alley dahin lautete, es sei ihr recht geschehen. Ben, der Walfischjäger, der mit den andern draussen stand, nahm sich der Sache meines Vaters an, und sobald sich die Leute zerstreut hatten, lud ihn Mr. Sounders abermals zu seiner Pfeife und seinem Kruge ein.
Die kleine Virginia, die noch immer sehr erschrocken war, hatte sich zu der Mutter hinaufgeschlichen; ich aber fühlte im Gegenteil die höchste Achtung gegen einen Mann, der es wagen konnte, eine Person zu züchtigen, die mich so oft abgestraft hatte; dazu erfüllte mich das Bewusstsein, dass er mein Vater sei, mit einer Zärtlichkeit gegen ihn, die ich nicht unterdrücken konnte.
Ich war alt genug, um zu begreifen, warum meine Mutter eine derartige Behandlung erfahren hatte, und konnte nicht umhin, den Zorn des alten Herrn zu teilen. Ich blieb daher unten und holte den verlangten Porter.
Ich glaube, dass mein Vater anfangs willens war, eine viel schwerere Züchtigung über meine Mutter zu verhängen, dann aber das Haus zu verlassen und mich mitzunehmen, denn von Virginias Geburt hatte er keine Kunde. Was aber auch seine Absicht am Morgen gewesen sein mochte, soviel ist gewiss, dass er bis zu einer späten Stunde mit Alt Ben, dem Walfischjäger, plauderte und rauchte, während ich daneben sass und zuhorchte.
Sechstes Kapitel.