Anleitung zum Konservativsein. Alexander Gauland

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Anleitung zum Konservativsein - Alexander Gauland

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wäre. Denn das ist die Schwäche der neuen, wie es die der alten Bundesrepublik war, sozusagen ihr Gründungsfehler, dass ihr im Gegensatz zu den großen Demokratien Westeuropas und auch im Unterschied zu Amerika eine unangefochtene, tradierte, in der Geschichte wurzelnde konservative Position fehlt. Nach der Katastrophe Hitlers blieben alle konservativen Gedanken stigmatisiert und tabuverdächtig, eben NS-krank. Das Bündnis, das ein Teil der alten Eliten mit dem braunen Trommler einging, konnte auf ihre Gedankenwelt nicht ohne Auswirkung bleiben, und so hat Joachim Fest Recht, wenn er in seinem Buch Das Gesicht des Dritten Reiches feststellt: »Längst aller humanistischen und religiösen Wertnormen entkleidet, aber auch ohne jenes kritische Traditionsbewusstsein, das die eigentliche Rechtfertigung der echten konservativen Position ist, besaß sie keine Lebendigkeit und keine zukunftstragenden Ideen mehr, sondern nur noch das starre, an die Erinnerung einstiger Vorrechte geklammerte Verlangen, sich gegenüber der Zeit einzuschanzen und die Stunde abzuwarten. Der Konservativismus jener Richtung und Phase hat keine gedankliche oder tatsächliche Wirkung vorzuweisen, die nicht in die von ihm beschworene Katastrophe eingegangen und davon aufgezehrt worden wäre. Unbeweglich stand er immer an den gleichen Fronten, defensiv lief alles auf die Verneinung der Revolution von 1789 mit ihren politischen, gesellschaftlichen und sozialen Folgeerscheinungen hinaus, während offensiv nie mehr als das Konzept des nationalistischen Machtstaates sichtbar wurde, und was immer sich als konservative Ideologie ausgab, war ganz überwiegend die ewig gleiche, mit nur wenigen wechselnden Vorzeichen versehene Variation dieser beiden einfallslosen Leitmotive.« »Papen hat im Rundfunk geredet«, notierte Goebbels im August 1932 in sein Tagebuch. »Eine Rede, die von A bis Z aus unserem Gedankengut stammt.« Statt – wie es der deutsche Konservative Friedrich von Gentz einst gefordert hatte, dem Rad in die Speichen zu greifen und sich seinem rasenden Lauf entgegenzustemmen, hatten die Namenskonservativen aus Deutsch-Nationaler Volkspartei und Stahlhelm die falsche Modernisierung noch vorangetrieben und dabei der nihilistischen Revolution zum Durchbruch verholfen. Doch ganz unverhofft kam dieser Seitenwechsel nicht. Dem politischen Bankrott ging die geistige Krise voraus. Lange vor dem verlorenen Weltkrieg hatte sich ein Teil der bürgerlichen Intelligenz auf einen deutschen Sonderweg begeben und den Ideen von 1688, 1776 und 1789 den Kampf angesagt. Man war antibürgerlich, antiindividualistisch, antiwestlich und antizivilisatorisch. Die Überhöhung des Nationalstaates und die Betonung einer deutschen kulturellen Mission finden sich exemplarisch in den Betrachtungen eines Unpolitischen von Thomas Mann. In der Vorrede zu diesem Buch lesen wir, dass der Unterschied von Geist und Politik den von Kultur und Zivilisation, von Seele und Gesellschaft, von Freiheit und Stimmrecht, von Kunst und Literatur enthält. Und Deutschtum – so fährt Thomas Mann fort -, das ist Kultur, Seele, Freiheit, Kunst und nicht Zivilisation, Gesellschaft, Stimmrecht, Literatur.

       Gegner des Nationalstaates

      Dabei ist die Bindung des Konservativismus an die Nation und ihre kulturelle Mission eine unzulässige Verkürzung seiner Ideenwelt, die geistesgeschichtlich die längste Zeit ein Gegner des Nationalstaates in Deutschland war. Metternich, Gentz und die Brüder Gerlach vertraten den Status quo gegen die revolutionären Ansprüche der nationalen Bewegungen. Sie verteidigten den Universalismus einer europäischen Rechts- und Friedensordnung gegen die Sprengkraft des heraufziehenden Nationalismus. Und da diese Sprengkraft auch die deutsche Staatenwelt zu zerstören drohte, waren die Konservativen zugleich die Verteidiger des Regionalismus wie des Föderalismus. Heimatgefühl und Weltgefühl bedingten einander. Beides konnte nur in den lockeren Formen des alten Reiches und des Deutschen Bundes gedeihen. In diesem Sinne war auch Goethe ein Konservativer, als er die berühmte Warnung vor dem französischen Vorbild niederschrieb:

      Weh jedem, der nach falschem Rat

      und überfrechem Mut

      Das, was der Corse Franke tat,

      Nun als ein Deutscher tut.

      Er spüre spät, er spüre früh

      Es sei ein ewig Recht:

      Ihm geh’ es, trotz Gewalt und Müh,

      Ihm und den Seinen schlecht.

      Wie Goethe, so verfocht auch Humboldt die Übernationalität des Deutschtums, das die naturhaften Schranken anderer Nationalcharaktere nicht kenne, sondern reiner und freier zum allgemein Menschlichen sich erhebe.

      Die Einigung der Nation war eine Angelegenheit der Linken und der bürgerlichen Mitte, die sich in der Paulskirchenbewegung zusammenfanden. Die Konservativen fürchteten den Nationalstaat französisch-revolutionärer Prägung.

      Konservative Stimmungen hatten sich in Deutschland gerade in Abwehr des universalen Nationalismus der Französischen Revolution herausgebildet. Sie beriefen sich auf einen Mann, der wie kein zweiter konservatives Denken in England und später in Amerika geprägt hat, und der noch immer die zentrale Erscheinung eines zeitgenössischen wie zeitgemäßen Konservativismus ist, ganz gleich, ob es um die zunehmende Ökonomisierung, den Multikulturalismus oder die Globalisierung von Markt und Menschenrechten geht – Edmund Burke.

       Edmund Burke

      Über Edmund Burke ist so viel Falsches gesagt und geschrieben worden, dass es schwierig ist, unter den vielfältigen ideologischen Ansprüchen im Politiker des 18. Jahrhunderts den zeitlosen Theoretiker zu erkennen, zumal er kein Philosoph war, der ein systematisches, in sich geschlossenes Werk hinterlassen hat. Seine theoretischen Arbeiten galten praktischen Zwecken und sind von den politischen Umständen, unter denen sie entstanden sind, nur mit Vorsicht zu trennen, ohne dass ihnen Gewalt angetan wird. Edmund Burke hat keine Theorie erfunden und keine »Schule« begründet. Dennoch enthält sein Denken Elemente, die für eine heutige politische Orientierung brauchbar sind. Burkes Denken wurzelt in einem spezifischen Menschen- und Gesellschaftsbild: in einer skeptischen Anthropologie, in der Gegnerschaft gegen den liberalen Individualismus wie einem autoritären Kollektivismus und in einer grundsätzlichen Skepsis gegenüber der Fortschrittsdynamik der Moderne, egal, ob sie sich in der sozialen Revolution oder im liberalen Imperialismus manifestiert. Burkes Partei – die Rockingham Whigs –, der er mit seinen »Gedanken über die Ursache der gegenwärtigen Unzufriedenheit« ein brillantes Parteimanifest schrieb, hatte sich drei große Themen auf ihre Fahnen geschrieben: die Versöhnung mit Amerika, die Parlamentsreform und die Reform der indischen Verwaltung. Gegenüber den amerikanischen Kolonisten ging es zu Beginn um Versöhnung durch die Abschaffung der unseligen Stempelsteuer, am Ende um ihre Unabhängigkeit von England. Sein Kampf gegen den Generalgouverneur der Ostindien-Kompanie, Warren Hastings, den er vor dem Parlament anklagte, war ein Kampf für die Unterdrückten in Indien wie für die Reinheit der aristokratischen Institutionen in England, die durch indisches Gold korrumpiert wurden. Schließlich verschafften ihm die Ereignisse von 1789 in Frankreich jenen welthistorischen Anschauungsunterricht, der es ihm erlaubte, seine Prinzipien in den Betrachtungen über die Französische Revolution zusammenzufassen. In ihr fand er einen neuen und mächtigeren Feind all dessen, was er bewahrt sehen wollte. Burke ist auch in diesem Kampf seinen Überzeugungen treu geblieben und hat nicht jene, das Reaktionäre streifende, konservative Verwandlung durchgemacht, die Freunde und Gegner – je nach ihrem politischen Standort – bejubelt oder verdammt haben. Er war auch in dieser Phase seines Lebens nicht der vorbehaltlose Apologet des Bestehenden, der dem Staat kosmologische Bedeutung beimisst und ihn auf diese Weise allem Wandel entzieht.

      Burke gehorchte zuallererst einem romantischen Impuls. Er liebte das Altehrwürdige, das durch die Traditionen Geheiligte, das seit Generationen stetig Gewachsene: die großen aristokratischen Familien, die alten Landhäuser, die britische Verfassung mit ihren Ungereimtheiten, die alten Freiheiten der amerikanischen Kolonisten, die indischen Religionen und Bräuche. Alles Erhabene und Schöne flößte ihm Ehrfurcht und den Wunsch nach Bewahrung ein. Die Politik des Königs bedrohte die amerikanischen Freiheiten und die gewachsene Macht

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