Der Untertan. Heinrich Mann

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Der Untertan - Heinrich Mann

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unter dem Hut hervorquoll, noch dicker als früher, weil ihr Gesicht so klein geworden war. Dabei erinnerte er sich seiner Demütigungen von damals und wie anders die Dinge jetzt lagen. Herausfordernd sagte er:

      »Wie geht es denn Herrn Mahlmann?«

      Agnes bekam eine wegwerfende Miene.

      »Denken Sie an den noch? Wenn ich den mal wiedersähe, wärs mir gleich.«

      »So? Aber er hat ein Patentbureau und könnte ganz gut heiraten.«

      »Wenn schon.«

      »Früher interessierten Sie sich doch für ihn.«

      »Woraus schließen Sie das?«

      »Er schenkte Ihnen immer etwas.«

      »Ich hätte es lieber nicht angenommen; aber dann –« sie sah auf den Weg, auf das nasse Laub vom Vorjahr, »dann hätte ich auch Ihre Geschenke nicht annehmen dürfen.«

      Darauf schwieg sie erschrocken. Diederich fühlte, daß etwas Schweres geschehen war, und schwieg auch.

      »Das war doch nicht der Rede wert«, stieß er endlich heraus, »ein paar Blumen.« Und mit wiedergekehrter Entrüstung: »Mahlmann hat Ihnen sogar ein Armband geschenkt.«

      »Ich trage es niemals«, sagte Agnes. Er hatte auf einmal Herzklopfen, er brachte hervor: »Und wenn es von mir gewesen wäre?«

      Stille; er hielt den Atem an. Ganz leise kam es von ihr her:

      »Dann ja.«

      Darauf gingen sie plötzlich rascher und ohne mehr zu sprechen. Sie kamen vor das Brandenburger Tor, sahen die Linden bedrohlich von Polizei erfüllt, eilten vorbei und bogen in die Dorotheenstraße. Hier war es wenig belebt, Diederich verlangsamte den Schritt, er fing an zu lachen.

      »Das ist eigentlich hochkomisch. Was Mahlmann Ihnen nämlich schenkte, war mit meinem Geld bezahlt. Er nahm mir ja alles ab, ich war noch ein ganz grüner Junge.«

      Sie blieb stehen. »Oh!« – und sie sah ihn an, ihre goldbraunen Augen zitterten. »Das ist schrecklich. Können Sie mir das verzeihen?«

      Er lächelte überlegen. Das seien alte Geschichten, Jugendtorheiten.

      »Nein, nein«, sagte sie verstört.

      Die Hauptsache, meinte er, sei jetzt, wie sie nach Hause komme. Hier ging es schon wieder nicht weiter. Omnibusse waren auch nicht zu sehen. »Es tut mir leid, aber Sie werden sich meine Gesellschaft noch länger gefallen lassen müssen. Übrigens wohne ich gleich hier. Sie könnten mit hinaufkommen, da wären Sie wenigstens im Trockenen. Aber natürlich, eine junge Dame darf das nicht.«

      Sie hatte noch immer diesen flehenden Blick.

      »Sie sind so gut«, sagte sie, stärker atmend. »Sie sind so edel.« Und da sie schon das Haus betraten: »Zu Ihnen kann ich doch Vertrauen haben?«

      »Ich weiß, was ich der Ehre meiner Korporation schulde«, erklärte Diederich.

      Sie mußten an der Küche vorbei, aber es war niemand darin. »Legen Sie doch solange ab«, sagte Diederich gnädig. Er stand da, ohne Agnes anzusehen, und trat, während sie den Hut abnahm, von einem Fuß auf den andern.

      »Ich muß die Wirtin suchen, damit sie Tee macht.« Er wandte sich schon nach der Tür, zuckte aber zurück: Agnes hatte seine Hand ergriffen und küßte sie! »Aber Fräulein Agnes«, murmelte er, furchtbar erschrocken, und legte ihr, wie tröstend, den Arm um die Schulter; da sank sie gegen die seine. Er drückte seinen Mund in ihr Haar, ziemlich tief, weil er sich dazu verpflichtet fühlte. Unter seinem Druck bebte und flog ihr Körper, als würde er geschlagen. Er fühlte sich in der dünnen Bluse lau und feucht an. Diederich ward es heiß, er küßte Agnes auf den Hals. Und plötzlich kam ihr Gesicht auf ihn zu: mit offenem Mund, halb geschlossenen Augen und mit einem Ausdruck, den er nie gesehen hatte und der ihm schwindlig machte. »Agnes! Agnes, ich liebe dich«, sagte er wie aus tiefer Not. Sie antwortete nicht, aus ihrem offenen Mund kamen kleine warme Atemstöße, und er fühlte sie fallen, er trug sie, die zu zerfließen schien.

      Dann saß sie auf dem Divan und weinte. »Sei mir nicht bös, Agnes«, bat Diederich. Sie sah ihn an mit ihren nassen Augen.

      »Ich weine doch vor Glück«, sagte sie. »Ich hab so lange auf dich gewartet.«

      »Warum?« fragte sie, da er ihre Bluse schließen wollte.

      »Warum deckst du es schon zu? Findest du es schon nicht mehr schön?«

      Er verwahrte sich. »Ich bin mir der übernommenen Verantwortung vollkommen bewußt.«

      »Verantwortung?« sagte Agnes. »Wer hat die? Ich habe dich drei Jahre lang geliebt. Du wußtest es ja nicht. Es war wohl das Schicksal!«

      Diederich, die Hände in den Taschen, bedachte, daß dies das Schicksal der leichtsinnigen Mädchen sei. Andrerseits empfand er das Bedürfnis, sich ihre Versicherungen wiederholen zu lassen. »Also wirklich mich, nur mich hast du geliebt?«

      »Ich sah, daß du mir nicht glaubtest. Es war schrecklich, als ich merkte, du kamst nicht mehr und es war aus. Es war ganz schrecklich. Ich wollte dir schreiben, ich wollte zu dir gehen. Jedesmal verlor ich den Mut, weil du mich doch nicht mehr mochtest. Ich kam so herunter, daß Papa eine Reise mit mir machen mußte.«

      »Wohin denn?« fragte Diederich. Aber Agnes antwortete nicht, sie zog ihn wieder an sich.

      »Sei lieb mit mir! Ich hab nur dich!«

      Diederich dachte verlegen: »Dann hast du nicht viel.« Agnes schien ihm verkleinert und sehr im Wert gesunken, seit er den Beweis hatte, daß sie ihn liebte. Auch sagte er sich, einem Mädchen, das so etwas tat, dürfe man nicht alles glauben.

      »Und Mahlmann?« fragte er höhnisch. »Ein bißchen war doch wohl los mit ihm.« – »Na laß nur«, sagte er, da sie sich mit starrem Entsetzen aufrichtete. Er suchte gutzumachen. Er sei doch auch noch ganz benommen von seinem Glück.

      Sehr langsam zog sie sich an. »Dein Vater wird aber gar nicht wissen, was los ist«, meinte Diederich. Sie hob nur die Schultern. Als sie fertig war und er schon die Tür geöffnet hatte, blieb sie noch stehen und sah in das Zimmer zurück, mit einem langen, angstvollen Blick.

      »Vielleicht«, sagte sie, wie zu sich selbst, »komme ich nie wieder. Mir ist, als sollte ich heute Nacht sterben.«

      »Wieso denn«, sagte Diederich, peinlich berührt. Statt einer Antwort ließ sie sich noch einmal an ihn hinsinken, den Mund auf seinem, die Brust auf seiner und von den Hüften zu den Füßen wie mit ihm verwachsen. Diederich wartete geduldig. Dann löste sie sich, öffnete die Augen und sagte:

      »Du mußt nicht denken, daß ich etwas von dir verlange. Ich hab dich geliebt, nun ist alles gleich.«

      Er bot ihr einen Wagen an, aber sie wollte gehen. Unterwegs fragte er nach ihrer Familie und nach anderen Bekannten. Erst am Belle-Allianceplatz ward er unruhig, und etwas heiser brachte er hervor:

      »Natürlich denke ich nicht daran, mich meinen Verpflichtungen dir gegenüber zu entziehen. Nur vorläufig: du verstehst, ich verdiene noch nichts, ich muß erst fertig sein und zu Hause mich in den Betrieb einleben …«

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