Lange Schatten. Louise Penny
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Lange Schatten - Louise Penny страница 17
Es würde schrecklich werden. Dennoch hatte er zu ihrer Überraschung zum Telefon gegriffen, seine Mutter angerufen und die entsetzliche Einladung angenommen.
Das war einige Wochen her, und jetzt war es plötzlich so weit.
Clara saß allein auf der Brüstung und betrachtete die anderen, wie sie in der grellen Sonne standen und Gin Tonic tranken. Keiner von ihnen trug einen Sonnenhut, lieber bekamen sie einen Hitzschlag oder Hautkrebs. Peter unterhielt sich mit seiner Mutter und beschirmte zum Schutz vor der Sonne die Augen mit der Hand, als wäre er mitten in einem militärischen Gruß erstarrt.
Während Thomas vornehm und elegant aussah, wirkte Sandra so, als sei sie in ständiger Alarmbereitschaft. Ihr Blick schoss hierhin und dorthin, beurteilte Essensportionen, beobachtete die hin und her eilenden Kellner, registrierte, wer wann was bekam, und verglich es mit dem, was ihr gebracht wurde.
Auf der anderen Seite der Terrasse, ebenfalls im Schatten, entdeckte Clara Bert Finney. Er schien seine Frau zu beobachten, was sich allerdings nicht mit Sicherheit sagen ließ. Sie sah in dem Moment weg, als sein umherirrender Blick sie erfasste.
Clara trank einen Schluck von ihrem kalten Bier und packte dabei den dicken Haarschopf, der ihr schweißnass im Nacken klebte, hob ihn an und wedelte damit ein paarmal hin und her, um sich Kühlung zu verschaffen. Da bemerkte sie, dass Peters Mutter zu ihr hersah, das hübsche zartrosa überhauchte Gesicht von unzähligen Falten durchzogen, die hellblauen Augen nachdenklich und freundlich. Eine reizende englische Rose, die dazu verlockte, näher zu kommen, sich über sie zu beugen. Zu spät merkte man, dass sich tief zwischen den Blütenblättern eine Wespe versteckte und darauf wartete, das zu tun, was Wespen nun mal taten.
Nur noch vierundzwanzig Stunden, sagte sich Clara. Morgen nach dem Frühstück können wir wieder fahren.
Eine Bremse flog um ihren verschwitzten Kopf, und Clara wedelte so wild mit den Armen, dass sie den Rest ihres Sandwiches von der Brüstung in das darunter liegende Blumenbeet fegte. Die Gebete einer Ameise waren erhört worden, auch wenn die, auf der es landete, das anders sehen mochte.
»Claire hat sich überhaupt nicht verändert«, sagte Peters Mutter.
»Du auch nicht, Mutter.«
Peter bemühte sich um den gleichen höflichen Ton wie sie, und er fand, dass ihm die optimale Mischung aus Verbindlichkeit und Verachtung geglückt war. So subtil, dass sich niemand richtig auf den Schlips getreten fühlen konnte, so offensichtlich, dass es niemandem entging.
Auf der anderen Seite der Terrasse spürte Julia, wie ihre Füße in den dünnsohligen Sandalen auf den glühend heißen Steinfliesen zu schmoren anfingen.
»Hallo, Peter.« Sie verdrängte den Gedanken an ihre bedauernswerten Füße, ging zu ihrem jüngeren Bruder und begrüßte ihn mit zwei gehauchten Wangenküssen. »Gut siehst du aus.«
»Du aber auch.«
Schweigen.
»Angenehmes Wetter«, sagte er.
Julia zermarterte sich das Hirn nach einer klugen Bemerkung, irgendetwas, das geistreich und intelligent war. Etwas, das bewies, dass sie glücklich war. Dass ihr Leben nicht der Scherbenhaufen war, für den er es hielt. Im Stillen sagte sie sich ein paarmal Peters praller pinker Pickel platzt vor. Das half.
»Wie geht es David?«, fragte Peter.
»Ach, du kennst ihn ja«, antwortete Julia leichthin. »Er kommt mit jeder Situation zurecht.«
»Sogar damit, im Gefängnis zu sitzen? Aber du bist ja da.«
Sie musterte sein ausdrucksloses, hübsches Gesicht. War das eine Beleidigung? Sie war schon so lange nicht mehr mit ihrer Familie zusammen gewesen, dass sie ganz aus der Übung war. Sie kam sich vor wie eine pensionierte Fallschirmspringerin, die ohne Vorwarnung aus einem Flugzeug geschubst wurde.
Vor vier Tagen war sie am Ende ihrer Kräfte hier angekommen. Das vergangene Jahr war eine einzige Katastrophe gewesen, und Davids Prozess hatte das letzte Lächeln, die letzte nichtssagende Nettigkeit, die letzte Höflichkeitsfloskel aus ihr herausgequetscht. Mit dem Gefühl, betrogen, gedemütigt und bloßgestellt worden zu sein, war sie hierhergekommen, um ihre Wunden zu lecken. Zu der fürsorglichen Mutter und den großen, stattlichen Brüdern einer verklärten Erinnerung. Ganz bestimmt würden sie sich um sie kümmern.
Irgendwie hatte in ihrem Gedächtnis eine Lücke geklafft, warum sie diese Familie damals verlassen hatte. Jetzt war sie wieder mit ihr vereint, und die Erinnerung kehrte zurück.
»Das muss man sich mal vorstellen«, sagte Thomas, »da stiehlt dein Mann so viel Geld, und du hast keine Ahnung. Es muss entsetzlich gewesen sein.«
»Thomas«, sagte seine Mutter und schüttelte den Kopf. Der Tadel galt jedoch keineswegs der Beleidigung selbst, sondern dem Umstand, dass er sie vor dem Personal ausgesprochen hatte. Julia meinte, die glühenden Steine unter ihren Füßen zischen zu hören. Aber sie lächelte und ließ sich nichts anmerken.
»Dein Vater«, begann Mrs. Finney, hielt dann jedoch inne.
»Sprich doch weiter, Mutter«, sagte Julia und spürte, wie sich tief in ihrem Inneren eine altvertraute Kreatur zu regen begann. Wie sie aus jahrzehntelangem Schlaf erwachte. »Mein Vater?«
»Nun ja, du weißt, wie er dazu stand.«
»Nein, wie stand er denn dazu und wozu eigentlich?«
»Wirklich, Julia, das ist jetzt nicht das geeignete Gesprächsthema.« Ihre Mutter wandte ihr das rosige Gesicht zu. Ein sanftes Lächeln begleitete ihre Worte, eine zierliche Geste der Hände. Wie lange war es her, dass sie die Hände ihrer Mutter gespürt hatte?
»Tut mir leid«, sagte Julia.
»Spring, Bean, spring!«
Clara drehte sich um und sah Peters jüngste Schwester so leichtfüßig über den sorgfältig gestutzten Rasen hüpfen, dass ihre Füße kaum den Boden berührten. Bean rannte hinter ihr her. Das Kind hatte sich ein Badetuch um den Hals geknotet und lachte. Aber es sprang nicht. Typisch Bean, dachte Clara.
»Uff«, stieß Mariana aus, als sie wenig später die Terrasse betrat. Das Wasser lief an ihr herunter, als wäre sie durch eine Sprinkleranlage gelaufen. Sie nahm ein Ende ihres Schals und wischte sich damit über die Augen. »Ist Bean gesprungen?«, fragte sie ihre Familie. Niemand reagierte außer Thomas,