Aristoteles: Metaphysik, Nikomachische Ethik, Das Organon, Die Physik & Die Dichtkunst. Aristoteles

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Aristoteles: Metaphysik, Nikomachische Ethik, Das Organon, Die Physik & Die Dichtkunst - Aristoteles

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Affekte zuteil. Man lobt nicht einen der sich fürchtet, und nicht einen der zornig ist, und man tadelt auch nicht ohne weiteres einen der zornig ist, sondern nur den, der es in gewisser Weise ist. Dagegen lobt oder tadelt man uns auf Grund unserer sittlichen und unsittlichen Haltung. Ferner, in Zorn und Furcht geraten wir unvorsätzlich; sittliche Beschaffenheiten aber tragen den Charakter der Vorsätzlichkeit oder sind doch nicht ohne dieselbe. Außerdem, in bezug auf die Affekte spricht man von Erregung; dagegen wo es sich um sittliche oder unsittliche Beschaffenheiten handelt, da spricht man nicht von Erregung, sondern von dauernder Gesinnung. Eben deswegen sind sie aber auch keine bloßen Neigungen. Denn man nennt uns brav oder schlecht, man lobt oder tadelt uns nicht ohne weiteres, weil wir für gewisse Affekte empfänglich sind. Und endlich, die Neigung haben wir durch Naturanlage, aber gut oder schlecht sind wir nicht von Natur. Darüber haben wir schon oben gehandelt. Sind nun die sittlichen Beschaffenheiten weder Affekte noch Neigungen, so bleibt nur übrig, daß sie befestigte Willensrichtungen sind.

      Damit wäre denn bezeichnet, was die sittliche Willensbeschaffenheit ihrer Gattung nach ist. Es gilt aber nicht bloß zu sagen, daß sie eine befestigte Willensrichtung ist, sondern auch was für eine sie ist. Da ist nun zu sagen, daß jegliche wertvolle Beschaffenheit das Wesen selbst dessen Beschaffenheit sie ist als in rechter Verfassung befindlich darstellt und auch seine Betätigung als die rechte bezeichnet. So besteht die Tüchtigkeit des Auges darin, das Auge selbst wertvoll zu machen und ebenso seine Leistung; denn wenn wir gut sehen, so geschieht es durch die Tüchtigkeit des Auges. Ebenso macht die Tüchtigkeit des Pferdes das Pferd zu einem brauchbaren, so daß es wacker läuft, den Reiter trägt und den Feinden standhält. Verhält sich das nun so bei allen Dingen, so wird insbesondere die Tüchtigkeit eines Menschen diejenige befestigte Willensrichtung sein, vermittels deren er ein guter Mensch wird und seine Betätigung in rechter Weise vollzieht. Worin nun dies besteht, haben wir bereits dargelegt; es läßt sich aber auch so zeigen, daß wir näher ins Auge fassen, was die eigentliche Natur dieser Willensrichtung ausmacht.

      Bei jedem ausgedehnten und teilbaren Dinge kann man ein Zuviel oder Zuwenig und ein rechtes Maß unterscheiden, und dies entweder in Hinsicht der Sache selbst oder in der Beziehung auf uns. Das rechte Maß liegt in der Mitte zwischen dem Zuviel und Zuwenig. Unter der Mitte eines Gegenstandes verstehe ich das, was von jedem der beiden Enden gleichen Abstand hat, und das gilt für alle Gegenstände als eines und dasselbe. In bezug auf uns aber bedeutet die rechte Mitte das, was weder zuviel noch zuwenig ist: das aber ist keineswegs bei allen eines und auch nicht dasselbe. So, wenn zehn viel, zwei aber wenig ist, so nimmt man in Hinsicht auf die Sache als die Mitte sechs an, weil es um ebensoviel das eine übertrifft, wie es vom anderen übertroffen wird; das aber bedeutet die Mitte im Sinne der arithmetischen Proportion. Dagegen darf man es nicht so fassen, wo es sich um die Beziehung auf uns handelt. Wenn für jemand zehn Pfund zu essen zuviel, zwei aber zuwenig sind, so wird ihm der Leiter in der Ringschule nicht gerade sechs Pfund vorschreiben; denn möglicherweise ist auch dies noch für denjenigen, der es bekommen soll, zuviel oder zuwenig. Für einen Milo wäre es zuwenig, für einen, der mit den Übungen erst beginnt, aber zuviel. Ebenso ist es mit Lauf und Ringkampf. Und so meidet denn jeder vernünftige Mensch das Zuviel und das Zuwenig und sucht dagegen die Mitte herauszufinden, und für diese entscheidet er sich; die Mitte aber, das heißt hier nicht die der Sache, sondern das Mittlere in bezug auf uns.

      Bedenkt man also, daß alle vernünftige Einsicht in dieser Weise ihre Aufgabe zur Befriedigung vollzieht, indem sie sich nach der Mitte umtut und ihre Tätigkeiten auf sie einrichtet, / weshalb man auch wohlvollzogenen Leistungen das Prädikat erteilt, man dürfe weder etwas davon wegnehmen, noch etwas hinzufügen, weil sowohl das Zuviel als das Zuwenig das rechte Maß verletzt, die glückliche Mitte aber es innehält; / bedenkt man ferner, daß tüchtige Werkleute, wie wir behaupten, ihre Arbeit so verrichten, daß sie eben darauf ihr Augenmerk haben; bedenkt man endlich, daß sittliche Tüchtigkeit, ebenso wie auch die Natur, noch peinlicher und sorgfältiger zuwege geht als jede Art von technischer Leistung: so wird es die rechte Mitte sein, worauf die sittliche Tüchtigkeit als auf ihr Ziel gerichtet ist.

      Was ich dabei im Auge habe, ist die Tüchtigkeit in sittlicher Beziehung: denn bei dieser handelt es sich um Affekte und um Handlungsweisen, und da gibt es ein Zuviel, ein Zuwenig und eine rechte Mitte. So gibt es bei der Furcht und bei der Kühnheit, beim Begehren und Fliehen, beim Zürnen und Sicherbarmen, und ganz allgemein bei allen Gefühlen der Lust und Unlust ein Zuviel und ein Zuwenig, und das beides nicht als das Rechte. Dagegen solche Gefühle zu hegen zu der Zeit, aus dem Grunde, der Person gegenüber, zu dem Zwecke und in der Weise, wie es geboten ist, das ist die rechte Mitte, das ist das Beste, und es ist eben dies als charakteristisch für die sittliche Beschaffenheit. Und ebenso gibt es ein Zuviel und Zuwenig und eine rechte Mitte auch für die Handlungen, Um Affekte und Handlungen aber dreht sich das sittliche Leben, wo das Zuviel ein Fehler, das Zuwenig ein Vorwurf ist, die rechte Mitte dagegen sich Lob erringt und das Angemessene bedeutet. Dies beides aber ist bezeichnend für sittliche Tüchtigkeit. Mithin ist sittliche Tüchtigkeit ein Innehalten der rechten Mitte, und die rechte Mitte hat sie zum Ziele. Das Verfehlen ferner ist vielgestaltig; denn das Böse hat die Natur des Grenzenlosen, wie schon die Pythagoreer meinten, das Gute dagegen die Natur des Begrenzten. Das Rechthandeln dagegen ist eingestaltig. Darum ist jenes leicht, dieses aber schwer. Leicht ist es, das Ziel zu verfehlen, schwer, es zu treffen. Darum ist das Zuviel und das Zuwenig für die unsittliche, die rechte Mitte dagegen für die sittliche Haltung bezeichnend.

      »Redliche sind einfach, Schlechte von mancherlei Art«.

      4. Fertigkeit und rechtes Maß

       Inhaltsverzeichnis

       Somit ist denn sittliche Willensbeschaffenheit die zur Fertigkeit der Selbstentscheidung gewordene Gesinnung, die jedesmal für das Subjekt angemessene Mitte innezuhalten, wie sie gedankenmäßig bestimmt ist und wie der Mann von vollkommener Einsicht sie bestimmen würde.

      Mitte ist sie als zwischen zwei Irrwegen liegend, von denen der eine ein Überschreiten, der andere ein Zurückbleiben hinter dem Maß bedeutet; sie ist es auch dadurch, daß das Verfehlen das eine Mal ein Nichterreichen, das andere Mal ein Hinausgehen über das Pflichtgemäße in Affekten wie in Handlungen bedeutet, die Sittlichkeit aber die rechte Mitte findet und innehält. Ihrem Wesen und Begriffe nach, der das bleibende gestaltende Prinzip bezeichnet, ist also Sittlichkeit das Innehalten der Mitte. Fragt man dagegen nach dem Werte und dem Guten überhaupt, so bezeichnet sie darin ein Äußerstes.

      Nicht jede Handlung freilich und nicht jeder Affekt läßt ein Mittleres zu. Bei manchen deutet schon gleich der Name auf Verwerflichkeit hin; so bei Schadenfreude, Schamlosigkeit, Neid, und von den Handlungen bei Ehebruch, Diebstahl, Mord. Alles dieses und dem Ähnliches tadelt man, weil es an sich verwerflich ist, und nicht erst das Übermaß darin oder das Mindermaß, und hier gibt es denn auch niemals ein richtiges Handeln, sondern immer nurein Verfehlen. Bei dergleichen handelt es sich auch nicht um die Frage des richtigen oder falschen Verhaltens, etwa mit wem, zu welcher Zeit und in welcher Weise man Ehebruch treiben soll, sondern irgend etwas dahin Gehöriges tun bedeutet schon ohne weiteres eine Verfehlung. Es ist ganz ebenso, wenn man nach einer rechten Mitte, nach einer Überschreitung des Maßes und einem Zurückbleiben hinter demselben sich umsehen wollte in der Gewalttat, in der Feigheit, in der Zuchtlosigkeit. Denn damit würde es eine rechte Mitte beim Übermaß und beim Zurückbleiben, ein Übermaß beim Übermaß, und ein Zurückbleiben beim Zurückbleiben geben. Aber wie die Besonnenheit und Mannhaftigkeit nicht ein Übermaß noch eine Mangelhaftigkeit zuläßt, weil die Mitte hier im Grunde ein Äußerstes ist, so gibt es auch für jene Verhaltungsweisen weder eine rechte Mitte noch ein Überschreiten oder ein Zurückbleiben hinter dem Maße; sondern wie auch gehandelt wird, es ist immer ein Verfehlen. Denn in Übermaß und Mangelhaftigkeit gibt es überhaupt keine rechte Mitte und ebensowenig in der rechten Mitte ein Übermaß und eine Mangelhaftigkeit.

      Indessen, es gilt nicht bloß diese allgemeinen

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