Die Nacht der Schakale. Will Berthold
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Meinen Widerwillen gegen die Untergrundtätigkeit bewertete Gregory sogar als Pluspunkt, da Skeptiker vorsichtig und intelligenter seien als Fanatiker. Ich war dem Mann, dem ich jetzt gegenübersaß, bald aufgefallen und von ihm gefördert worden. Seine Patronage reicht sogar so weit, daß er mir als Geheimnisträger das Ausscheiden aus dem CIA erlaubte und die Übersiedelung in die Dienste des US-Außenministeriums befürwortete. Hätte er mich jetzt nicht aus dem Urlaub zurückgeholt, wäre der Stellungswechsel problemlos und ohne Zeitverlust über die Bühne gegangen.
Er war mit dem Aktenstudium fertig.
»Sorry, Lefty«, sagte er. »Ich hab schließlich mehr Dinge im Kopf und mußte den Fall noch einmal rekapitulieren.« Es hörte sich seltsam an; zwei Eigenschaften des Vice waren in Langley hinreichend bekannt: sein phänomenales Gedächtnis und seine intuitive Art, die Gedanken seiner Gesprächspartner zu erraten.
Seine Hände lagen auf dem Dossier, so als müßten sie es noch zusätzlich hüten, bevor er es mir endgültig übergäbe, nicht ohne seinen Bleistift-Marginalien noch ergänzende Empfehlungen hinzugefügt zu haben. »Wie gesagt, eine Chance wie vielleicht noch nie zuvor. Die Sache ist schon seit einiger Zeit am Dampfen«, erklärte er. »Sie hat eigentlich ganz undramatisch begonnen: Sindelfingen kann ich bei Ihnen als bekannt voraussetzen?« fragte er.
Bei der deutschen Tochtergesellschaft eines US-Riesen der elektronischen Branche waren drei Mitarbeiter als Ostagenten entlarvt worden. So etwas geschieht immer wieder, und häufig genug kommen Wirtschaftsspione aus dem Westen und wirken für die Konkurrenz. Deshalb haben sich Firmen, die Wert auf ihre Produktionsgeheimnisse legen, einen wachsamen Werkschutz zugelegt.
»Aber Sindelfingen war doch wohl eine reine Routinesache?« vergewisserte ich mich.
»Es sah so aus – und das sollte es auch«, erwiderte der große Gregory. »Aber der Tip, der zur Entlarvung der Ostagenten geführt hat, stammte aus dem Osten.«
»Und zwar von dem großen Unbekannten persönlich«, spottete ich, »für wie sicher halten Sie eigentlich Ihr Material, Sir?«
»Für so unsicher wie nur möglich«, antwortete der Vice. »Ich habe Sie ja hergebeten, um den Fall zu analysieren. Sagen Sie mir mit einer gewissen Sicherheit, wieviel an der Sache stimmt, und der Fall ist für Sie erledigt. Wir scheiden mit Händedruck, und ich wünsche Ihnen alles Gute.«
Es klang vernünftig und bieder und war vielleicht doch nur schierer Hohn.
»Das Dossier wurde von unseren Leuten erarbeitet?« fragte ich.
»Zusammengestellt«, erwiderte der Vice. »Erarbeitet wurde es vorwiegend in Pullach.«
»Der Bundesnachrichtendienst hat uns die Informationen überlassen?«
»Kommen Sie endlich herunter von Ihrer Trauminsel, Lefty«, erwiderte Gregory ungehalten und lächelte hämisch. »Ein Verbindungsmann zur BND-Zentrale hat Wind von der Sache bekommen und uns einen Wink gegeben. Daraufhin sind wir über den offiziellen CIA-Kontaktmann in Pullach vorstellig geworden und haben von den BND-Leuten eine – sagen wir mal – zurückhaltende Bestätigung erhalten.« An seinen ausgedörrten Lippen hing der Spott wie winzige Speicheltröpfchen. »Wir sind übereingekommen, daß wir, wenn es spruchreif sein wird, mit Pullach eng zusammenarbeiten. Das ist sozusagen die offizielle Seite.«
»Und spruchreif wird es nie sein oder vielleicht zu spät«, warf ich ein.
Das Telefon unterbrach unser Gespräch; wenn es durchgestellt wurde, mußte es ein wichtiger Vorgang sein. Ich erhob mich, um den Raum zu verlassen, aber Gregory gab mir einen Wink zu bleiben. Er war Profi genug, um nur mit ja oder nein zu antworten, so daß ich zuhören konnte, ohne zu erfassen, worum sich der Anruf drehte.
Das Telefongespräch zog sich in die Länge, und meine Gedanken streunten umher. Auf einmal saß ich wieder auf der Kawasaki, jagte über die Insel der Götter und Dämonen, und sie blieben uns gnädig gesonnen, obwohl wir ihnen das Lächeln gestohlen hatten: Vanessa saß auf dem Sozius im Damensitz. Sonst machten wir uns beide nichts aus dem heißen Stuhl, aber jetzt lüfteten wir unsere Persönlichkeit im Fahrtwind aus; er löste ihre Frisur auf. Sobald ich mich umdrehte, berührten mich ihre Haarspitzen, und ich sah kleine Funken und spürte elektrische Schläge auf der Haut. Wir jagten auf der 5500 Quadratkilometer großen Insel von einem Ende zu anderen, vom Indischen Ozean bis zur Bali-See auf der anderen Seite, überholten zahlreiche Colts, wie man die Minibusse nennt, und freuten uns auf den Abend an Samurs Strand oder in einem Dancing im Gammelviertel von Kuta.
Vanessa war mittelgroß, eher zierlich und maßvoll kapriziös. Sie hatte einen beschwingten Gang, dunkle, kufzgeschnittene Haare und leuchtende, kobaltblaue Augen, die jedenfalls mehr Interesse für die Tempel und Kunststätten Ostasiens als für die Teilnehmer der Reisegesellschaft, inklusive der männlichen, aufbrachten, zu der sie gehörte.
Ich kannte Vanessa erst fünf Tage, aber es kam mir vor, als wären es bereits Monate, wenn nicht Jahre. Sie war mir in der Hotelhalle sofort aufgefallen, ohne daß sie es provoziert hätte. Sie stand ein wenig abseits von ihrer Gruppe, wirkte distanziert, ohne arrogant zu sein. Sie war nicht zimperlich oder prüde, legte aber ihre weiblichen Reize auch nicht für jedermann ins Schaufenster.
Ich machte mich an die Engländerin heran. Sie ließ es zu und wehrte mich doch gleichzeitig ab, ohne verletzend zu wirken. Man konnte sich ohne weiteres bei Vanessa einen Korb holen und sich dafür auch noch herzlich bedanken. Sie war intelligent, ohne blaustrümpfig zu wirken, und erzählte, daß sie nach der Reise als Juniorpartner in eine Londoner Anwaltsfirma eintreten würde.
Selbst im Urlaub galten für mich noch die Usancen eines oft verwünschten Berufs, und so mußte ich – wie bei allen Menschen, die mir näher begegnen – meine Firma anläuten und bitten, Vanessas Identität zu klären. Unser Mann in Djakarta ließ die Daten, soweit ich sie ihm geben konnte, sowie Vanessas Personenbeschreibung durch den Computer laufen. Die elektronische Clearing-Operation endete, wie ich es nicht anders erwartet hätte, und das hieß, daß mein Verein keine Einwände gegen die Engländerin vorzubringen hatte; sie war, geheimdienstlich gesehen, ein unbeschriebenes Blatt.
Der Weg zu ihr schien frei zu sein, aber ich näherte mich behutsam dem Ziel. Von vornherein stand für mich fest, daß Vanessa mehr sein würde als der übliche Ferienbonus. Ich mag Frauen, aber schon von Berufs wegen bin ich ihnen gegenüber auf der Hut, und so ist mein Umgang mit dem schönen Geschlecht ziemlich defizitär.
Es blieb mir nur wenig Gelegenheit, geschlechtsspezifische Fähigkeiten zu entfalten. Ich eroberte, was man auf der Durchreise in ein paar Stunden eben so aufreißen kann, und das war, gemessen an Vanessa, dritte oder vierte Besetzung an Frau, Talmi, Plunder, Imitat. ›Weder Fräulein, weder schön‹ – und schon gar kein Gretchen (aber ich war schließlich auch kein Faust).
Bei Frauen bin ich eher Skeptiker. Die Sicherheitsbestimmungen machen CIA-Angehörige und ihre Familienmitglieder zu einem geschlossenen Verein. Hier bedurfte es keiner elektronischen Recherche, in dieser Art Ghetto kannte man jedes Gesicht. Flirt, Verlobung, Ehebruch, Scheidung, Wiederverheiratung spielten sich im gleichen Kreis ab. In dieser Plantage der Monotonie wußte man alles voneinander, kannte sich letztlich selbst im Intimbereich wie nach einer Gruppensexparty.
Selbstverständlich sind die Menschen in Quarantäne nicht leichtfertiger oder unmoralischer als alle anderen, nur die Langeweile ist größer. Viele bleiben trotzdem resistent und führen selbst noch in der Isolation ein normales, bürgerliches Leben. Bei anderen freilich kommt es in puncto Freizeitgestaltung zu einer Art unzüchtigem Inzest, was