Ein Kerl wie Samt und Seide. Will Berthold
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Ein Kerl wie Samt und Seide - Will Berthold страница 9
»Was ist das, eine Amizone?«
»Ein Amiflittchen, wenn Sie es genau wissen wollen.«
Der Besucher beherrschte sich nur mühsam. Er spürte, wie ihm der Magensaft über die Speiseröhre hochschoß; mühsam drängte Maletta den Impuls zurück, Schöller anzukotzen.
Im Vorfrühling war Maletta körperlich am Ende gewesen, unfähig zu begreifen, daß er im letzten Moment dem Tod von der Schippe gesprungen war. Er hatte Untergewicht, einen nervösen Schrumpfmagen, Hungerödeme, er litt an Kreislaufstörungen, an einem gefährlichen Erschöpfungszustand. Er war im Lazarett, sorgfältig betreut und fachmännisch behandelt, genesen, und hatte dabei wieder zehn Kilo zugenommen. Alle Medikamente, die man Maletta gab, sprachen an, aber als stärkste Droge erwies sich der Haß; der Haß hatte ihn an der Hand genommen und ins Leben zurückgeleitet.
»Ich möchte wissen, wo sich Ihre Tochter Lisa zur Zeit aufhält oder aufhalten könnte, Schöller«, sagte Maletta mit harter Stimme.
Der Internierte schwieg verbissen.
»Sie sind ein Denunziant, Schöller. Ein Nutznießer. Vermutlich noch etwas viel Schlimmeres. Sie haben einen Freund Ihrer Tochter wegen eines harmlosen Witzes ins Strafbataillon 999 gebracht, wo er gefallen ist. Sie haben den eigenen Schwager nach Dachau schaffen lassen.« Maletta machte eine kurze Pause. »Lebt Ihr Schwager eigentlich noch?« fragte er dann.
Horst Schöller preßte die Lippen aufeinander, bis sie weiß wurden.
»Ich bin nicht zuständig für Sie und Ihre Vergangenheit. Das sind andere, aber«, fuhr der Besucher fort, »ich warne Sie. Machen Sie mich nicht zum Polizisten.«
»Von mir erfahren Sie kein Wort über diese Amihure«, entgegnete sein Gegenüber. »Sie ist tot, für mich gestorben.«
Maletta wußte, daß er von Schöller nur dann mehr erführe, wenn er die Methoden anwendete, mit denen er drangsaliert worden war. Soweit war er nicht. Noch nicht.
Aber der Zorn überflutete ihn.
Blindlings schlug er in den feuerroten Glutball vor seinen Augen.
Er traf Schöller am Kinn. Der Schlag klemmte dessen Zunge zwischen die Schneidezähne.
Der Mann knallte jaulend nach hinten, gegen die Wand aus Trockenei.
Der linke Stapel geriet ins Wanken, fiel zusammen, begrub Schöller unter einem Berg von Pappe, Eipulver und Wachspapier. Ein weiterer Stapel krachte auf ihn. Der kleine Bormann war von Kartons zugedeckt, die sich groteskerweise bewegten. Erst kam seine linke Hand zum Vorschein, dann das gepuderte Gesicht mit den verdrehten Augen.
Der Lärm rief die anderen Internierten und ihre Bewacher herbei.
Auch der Militär-Polizist hatte sein Sonnenbad unterbrochen und stand in der Tür.
Er betrachtete genüßlich das Eipulver-Desaster.
»Let’s go, fellow«, sagte der GI aus Manhattan-South grinsend und klopfte Maletta anerkennend auf die Schulter. »You have got your fun.«
Während Maletta in den Jeep einstieg, pirschte sich einer der Internierten an ihn heran: »Schöller ist ein ganz mieses Stück Scheiße«, sagte er hastig, der Mann mußte das Gespräch im Schuppen belauscht haben. »Seine Tochter wohnt bei der Schwester ihrer Mutter in München-Haidhausen«, raunte er. »Sie heißt Herbst, Anna Herbst. Straße weiß ich nicht, aber –«
»Besten Dank«, rief Maletta, als der Jeep schon angefahren war.
Die Polen nahmen ihm das angebrochene Päckchen mit sieben chesterfields ab, die er in der Tasche hatte. Es war ein geringer Preis für die erste Fährte, die er aufgenommen hatte und verfolgen würde.
Seit der Ankunft des Generals war die von der CIC requirierte Villa in München-Solln hermetisch abgeriegelt. Vor dem Haus stand ein Doppelposten, je zwei Soldaten gingen permanent in entgegengesetzten Richtungen um die hohe Gartenmauer herum. In der weiteren Umgebung des Grundstücks patrouillierten Jeeps der Militär-Polizei.
»Gentlemen, zur Stunde stauen sich 4000 Fahrzeuge unserer 2. Panzerdivision auf der Autobahn von Helmstedt nach Berlin«, hatte General Patton seine Befehlsausgabe eingeleitet. »Die Russen haben unseren von General Clay vorgelegten Durchfahrtsplan über zwei Straßen und drei Bahnlinien abgelehnt. Sie haben bei Helmstedt eine Sperre gegen unseren Konvoi errichtet und die Kolonne in brütender Hitze über zwei Stunden warten lassen.« Er redete sich in Rage: »Das ganze Affentheater erscheint mir typisch für unsere schwachsinnige Politik. Wir räumen freiwillig Sachsen und Thüringen und lassen uns nicht einmal den freien Zugang nach Berlin garantieren. Und gleich hinterher machen wir den nächsten Fehler und übergeben den Sowjets, um überhaupt nach Berlin zu kommen, eine Aufstellung unserer Soldaten und Waffen. Wir setzen unsere Boys einem heillosen Durcheinander aus, kuschen knieweich vor Stalin und liefern diesen ›Red Bastards‹ für künftige Gemeinheiten auch noch einen Präzedenzfall.«
Den meisten Offizieren war anzusehen, daß sie den Zorn ihres Befehlshabers teilten. Bis auf Colonel Rigby und die Majore Zielinsky und Tajana waren sie alle während des Krieges Angehörige der ›Psychological Warfare Division‹ (PWD) gewesen. Den Krieg hatten sie längst gewonnen. Nunmehr dämmerte ihnen, daß sie dabei waren, den Frieden zu verlieren – so sie ihre Haltung zu den unnatürlichen Waffenbrüdern im Osten nicht schleunigst ändern würden. Praktisch war mit dem Sieg über Hitler die amerikanisch-britisch-sowjetische Allianz auseinandergefallen.
Die früheren PWD-Officers waren heute auf mehr als ein halbes Dutzend Geheimdienste verteilt, die zwar für das gleiche Land arbeiteten, doch nicht immer am selben Strang zogen, und über ihre Tätigkeiten oft nichts voneinander wußten. Heer, Marine und Air Force waren eifersüchtig darauf bedacht, sich ihre eigenen Nachrichtendienste zu erhalten. Die OSS-Spezialisten, die Erfahrensten, gehörten eigentlich einer zivilen Organisation an, die allerdings dem Generalstab unterstellt war, der wiederum mit G 2 seine eigene Intelligence-Zentrale unterhielt. Daneben tummelten sich noch CIC und die Beauftragten der ›Special Branch‹, die sich speziell mit der Entnazifizierung befaßten, sowie Dutzende von ›Research Services‹, Horchstationen, die über das ganze Besatzungsgebiet verteilt waren.
Es war ein gezieltes Durcheinander nach dem Motto: Konkurrenz belebt das Geschäft.
Der Dschungel bot auch noch die Möglichkeit, in der einen oder anderen Sache vorzupreschen, ohne daß dadurch die offizielle US-Politik bloßgestellt würde. Ein Mann mit der Autorität Pattons konnte Ehrgeiz und Eigenleben der Geheimdienste zügeln, aber Amerika verfügte nur über einen Patton.
»Wir haben Berlin verschenkt«, wetterte der General. »Weder die Deutschen noch die Russen hätten unsere Panzer aufgehalten. Nur ein blödsinniger Anhalte-Befehl hat uns den Weg versperrt, wir haben uns die Hände selbst gebunden und brauchen uns nicht zu wundern, wenn demnächst Europa kommunistisch wird.«
Es waren 15 Offiziere anwesend, und der General sah an ihren Gesichtern, daß fast alle seinen Ingrimm teilten, am lautesten die First-Lieutenants King und Sears, wegen ihrer ständigen Querelen die ›Trouble-Brothers‹ genannt. Rigby und Peaboddy waren, wie immer, einer Meinung. Captain Spoonwood, dessen großer Kopf auf einem zu langen Hals saß, schnitt ein Pokergesicht. Major Silversmith und Captain Wallner, die als ›Chaos-Boys‹ galten, als Anhänger des Morgenthau-Plans, warteten noch ab; und Captain Freetown, der Theater-Offizier, schien eher mit künftigen Spielplänen beschäftigt zu sein als mit der drohenden amerikanisch-russischen Konfrontation.
»Sie