Wissensvernetzung und Metropolregion. Stefan Krätke
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Der Anteil der Beschäftigten in Deutschland, die über einen Fachhochschul- oder Hochschulabschluss verfügen, ist zwischen 2009 und 2016 von 12,6% auf 16,8% angewachsen. Positiv verlief auch die Entwicklung beim FuE-Personal. Gegenüber 2008 ist in Deutschland die Zahl der Forscher und Entwickler bis 2016 um knapp 22 Prozent auf fast 405.000 gewachsen. Während die Anzahl der Beschäftigten im Verarbeitenden Gewerbe in Deutschland insgesamt zwischen 2009 und 2015 um 4,7 Prozent gestiegen ist, erhöhte sich die Anzahl des in Forschung und Entwicklung im Verarbeitenden Gewerbe beschäftigten Personals im gleichen Zeitraum um 17,9 Prozent. Auch das Feld der wissensintensiven Wirtschaftszweige verzeichnete in den vergangenen Jahren ein messbares Wachstum. Von 2009 bis 2016 ist die Beschäftigung der Wissensintensiven Dienstleistungen und des wissensintensiven Verarbeitenden Gewerbes um 14,5% gewachsen und damit in etwa so stark wie die Beschäftigungsentwicklung insgesamt. Darunter haben sich die Wissensintensiven Dienstleistungen (+18,1 %) deutlich positiver entwickelt als das Wissensintensive Verarbeitende Gewerbe (+8,1%). Der Anteil dieser Wirtschaftszweige an der Beschäftigung insgesamt beträgt 2016 knapp ein Drittel (31,1%).
Quelle: IAB, Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte
Der Wissensaustausch wird nicht zuletzt durch die fortschreitende Digitalisierung erleichtert. Digitale Netze können nur kodifiziertes Wissen (explizites Wissen) übertragen, d.h. Wissen, das in verbaler oder schriftlicher Form (auch Grafiken, Blaupausen, Algorithmen etc.) festgehalten wird und personenunabhängig transferiert werden kann. Die Digitalisierung führt aber auch zur Aufwertung der nicht kodifizierbaren und damit technisch nicht substituierbaren Wissensformen. Kodifiziertes Wissen setzt einen Fundus von kontextuellem Hintergrund- und praktischem Umsetzungswissen voraus, das auch als implizites Wissen oder „Tacit knowledge“ bezeichnet wird (Polanyi 1985).
Unter implizitem Wissen „wird das kontext- und situationsabhängige, schwer zu kommunizierende Hintergrundwissen verstanden. Es umfasst Erfahrungen, Routinen und latente Praktiken und ist in Personen und Organisationen gebunden“ (Maier, Tödtling, Trippl 2006, S. 112). Tacit knowledge ist daher definitionsgemäß nicht kodifizierbar und kann nicht schriftlich niedergelegt werden (Audretsch, Feldman 2003, S. 6; Hellbrecht 2004, S. 424; Genosko 1999, S. 38). Folglich ist das implizite Wissen schwer kommunizierbar, formalisierbar und teilbar, so dass es weitgehend nur „face to face“ weitergegeben werden kann (Brökel 2016, Brandt 2014; Strambach 2011; Franz 2002). Dies erschwert die Diffusion des impliziten Wissens über größere Distanzen hinaus (Stiglitz 1999, S. 4ff.). Räumliche Nähe ist eine wesentliche Voraussetzung für die Vermittlung von implizitem Wissen. Auch im Zeitalter moderner IuK-Technologien besteht damit eine fortdauernde Relevanz von Face-to-face- Kommunikation und räumlicher Nähe2. Dies bedeutet auch, dass den regionsspezifischen Wissensbeständen trotz einer globalisierten Informationsflut auch weiterhin eine zentrale Bedeutung für die Regionalentwicklung zukommt (vgl. Siebel 2015; Brandt 2014; Krätke 2002; Genosko 1999).
Eine Erweiterung hat das Konzept der räumlichen Nähe durch das Konzept der relationalen Nähe gefunden, wobei Nähe dabei umfassend, d.h. neben räumlicher Nähe auch als kognitive, gesellschaftliche, organisatorische und institutionelle Nähe betrachtet wird (Thierstein, Wiese 2011, Barthelt, Glückler 2012; Lüthi et al. 2013, Boschma 2005). Unter „relationaler Nähe“ werden insbesondere die Ähnlichkeiten unterschiedlicher Regionen in Hinblick auf ihre gemeinsam geteilten Verhaltensnormen, kulturellen Gepflogenheiten, ihr gegenseitiges Vertrauen, ihr Zugehörigkeitsgefühl und ihre Kooperationsressourcen verstanden (Belderbos et al. 2012). Relationale Nähe spielt für den überregionalen Transfer von Wissensspillovern eine bedeutende Rolle, steht aber nicht in einem Gegensatz zur räumlichen Nähe. Wissen wird „erst im Austausch zwischen Menschen geschaffen, welche sich sowohl räumlich als auch in Netzwerken nahe und vertraut sind und zu diesem Austausch auch bereit sowie in der Lage sind: Räumliche und relationale Nähe spielen sich je nach Technologie- und Handlungsfeld gegenseitig und komplementär in die Hände“ (Thierstein, Wiese 2011, S. 129).
Implizites Wissen und explizites Wissen schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern bedingen einander; sie verhalten sich nicht substitutiv sondern komplementär zueinander (Tsoukas 2003; Gust-Bardon 2012). Welches Gewicht den beiden Wissensarten jeweils zukommt, ist a priori nicht eindeutig zu beantworten und hängt z.T. von technologie- und branchen- sowie lebenszyklusspezifischen Konstellationen ab. Aus innovationsökonomischer Sicht lässt sich die These begründen, dass mit dem zunehmenden Austausch von explizitem Wissen die Bedeutung von Hintergrund- und Erfahrungswissen (Tacit knowledge) eher zunimmt: die Einführung neuen Wissens setzt ein breites praktisches Erfahrungswissen und damit Know how (im Unterschied zu Know what) voraus. Das explizite Wissen repräsentiert dabei, wie es Joseph Stiglitz formuliert, „nur die Spitze des Eisbergs“ (Stiglitz 1999).
An die besondere Bedeutung von Tacit knowledge knüpft César Hidalgo in seiner Netzwerktheorie an (Hidalgo 2016). Im Rahmen seines theoretischen Ansatzes liefert Hidalgo eine systematische Begründung für den wirtschaftlichen Erfolg von Volks- und Regionalwirtschaften im Kontext von Wissensnetzwerken: Da die Produktion komplexer Produkte immer eine Kombination von explizitem Wissen und Know-how verkörpert, setzt diese den Zugang zu implizitem Wissen voraus (Ebenda, S. 116). Erfolgreiches Wirtschaften basiert damit auf der Fähigkeit, Wissen und insbesondere Know-how zu akkumulieren. Die Menge von Wissen und Know-how, die auf individueller Ebene angehäuft werden kann, ist aber begrenzt, was eine Akkumulation auf kollektiver Ebene erforderlich macht und zur Bildung einer Unternehmung führt. Dieser Akkumulationsprozess erreicht unweigerlich einen kritischen Punkt, ab dem auch die Grenzen einer Unternehmung überschritten werden und weiteres Wissen und Know-how nur noch in Unternehmensnetzwerken angehäuft werden können: „Das krasse Missverhältnis zwischen den riesigen Mengen an Wissen und Know-how, die zur Erschaffung der Hightech-Wunder dieser Welt benötigt werden, und der begrenzten Know-how-Speicherkapazität von Unternehmen erklärt warum wir (…) Firmennetze benötigen, um komplexe Produkte herzustellen.“ (Hidalgo 2016, S. 134)
Die Ausweitung von Wissensnetzwerken bzw. von innovationsorientierten Kooperationen stellt eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung für die Entwicklung einer dynamischen Wirtschaft dar. Dafür ist es von zentraler Bedeutung, wie die Gesamtstruktur des Beziehungsgeflechts beschaffen ist und an welcher strukturellen Position die jeweiligen Organisationen im Beziehungsgeflecht zu verorten sind (Brökel 2016). Netzwerke können z.B. sehr unterschiedliche Dichten und Stabilitäten aufweisen, mehr oder minder geschlossen oder offen sein und auch in räumlicher Hinsicht (regional, überregional, international) unterschiedlich verortet und strukturiert sein. Vertiefende Einblicke in diese strukturellen Eigenschaften von Wissensnetzwerken erlaubt die Netzwerkanalyse, die in diesem Buch als zentrale Analysemethode eingesetzt wird (siehe Kapitel 3–5). Die konkreten Eigenschaften von Netzwerken können, ausgehend von den analytischen Erkenntnissen, Ausgangspunkt für regionalwirtschaftliche Gestaltungsansätze sein. Wissens-, Netzwerk- und Clustermanagement, Wissensvernetzung und Strategieansätze, die auf die Förderung von lernenden Regionen abstellen, gewinnen in diesem Zusammenhang an Relevanz (siehe Kapitel 6).
Aus innovationsökonomischer Perspektive handelt es sich bei den Wissensnetzwerken um eine Form der Übertragung von Wissensspillover3 (Fritsch 2012, Brökel 2016). „Wissensspillover werden in diesem Kontext als nicht-marktlich abgegoltene Wissenstransfers zwischen Organisationen aufgefasst, die einen positiven Effekt auf die Wissensgenerierung der wissensempfangenen Organisationen haben“ (Brökel 2016, S. 44). Sie sind ein typisches Beispiel für die Existenz positiver externer Effekte, die bei der Erklärung von Wachstumsimpulsen in dynamischen Regionen eine wesentliche Rolle spielen. Dabei wird in der Regionalökonomie zwischen Lokalisationsvorteilen und Urbanisierungsvorteilen unterschieden. Erstere stellen auf intraindustrielle Externalitäten ab, die aus der räumlichen Konzentration von spezifischen Branchen bzw. Wertschöpfungsketten erwachsen (Cluster). Die Vorteile resultieren aus der Verfügbarkeit eines Arbeitskräftepools, spezialisierten Zulieferverflechtungen und Dienstleistern sowie Wissensspillover. Urbanisierungsvorteile beziehen sich auf die Größe des Marktes und die damit verbundene Diversität