Faustrecht. Hugo Bettauer

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Faustrecht - Hugo Bettauer

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war, und der einzige, nach dem so gewissermaßen gesucht werden mußte. Und dieser keimende Verdacht, dem jede Basis fehlte, wollte nicht ersticken, als nun Holzinger das Zimmer betrat, obwohl er alles eher in seinem Äußeren repräsentierte als einen Mörder. Mittelgroß, schlank, blond, der kurze Spitzbart wohlgepflegt, sehr einfach, aber gut gekleidet, machte er den Eindruck eines Lehrers, eines Beamten, sicher aber nicht den einer diabolischen Persönlichkeit. Allerdings war er blaß und verstört, aber das war kein Wunder, da er ja unten vom Polizisten erfahren hatte, was vorgefallen war. Er blieb jetzt auch mit allen Zeichen des Entsetzens stehen und blickte mit weit aufgerissenen Augen sprachlos auf die Männer vor ihm, bis sich die Worte: „Das ist ja furchtbar, meine Herren,“ von seinen Lippen lösten.

      „Ja, allerdings, das ist furchtbar,“ ergriff Kriminalkommissär Bär das Wort, „und wir müssen Sie, Herr Doktor, bitten, das Ihrige zu tun, um uns unsere schwere Aufgabe zu erleichtern.“

      Und nun begann das Verhör. Auf Befragen gab der Privatsekretär mit leiser Stimme an:

      „Ich bin zweiunddreißig Jahre alt, in Wien geboren, mein Vater ist längst gestorben, ich wohne mit meiner alten Mutter Florianigasse Nr. 55. Ich wollte Staatsbeamter werden, aber gerade als ich meine juristischen Studien beendet und den Doktorgrad erreicht hatte, brach der Krieg aus und ich mußte als Fähnrich einrücken. Ich war fast ununterbrochen an der Front und brachte es bis zum Oberleutnant der Reserve. Nach dem Zusammenbruch stand ich vor vollständig veränderten Lebensbedingungen, von einer Beamtenkarriere konnte keine Rede mehr sein; um Advokat zu werden, war ich zu alt, auch fehlten mir die Mittel, abgesehen davon, daß ich mich während des Krieges verlobt hatte und so rasch als möglich einen Broterwerb brauchte, um heiraten zu können.“

      Fast alle der Anwesenden nickten bei diesen Worten verständnisvoll und Dr. Bärs Blick kreuzte sich mit dem des Journalisten Fels. Wieder einer der Zehntausende von Fällen, in denen dieser unglückselige Krieg Hoffnungen vernichtet, Pläne zerstört, Existenzen geknickt hatte! Dr. Holzinger fuhr fort:

      „Nach vielen Wochen vergeblichen Suchens fand ich durch ein Inserat schließlich die Stellung, die ich seit zwei Jahren bekleide. Ich wurde Privatsekretär des Herrn Langer.“

      „Welchen Gehalt beziehen Sie?“

      „Ich trat mit fünfhundert Kronen ein, erhielt zweimal Aufbesserungen und habe jetzt sechshundert Kronen monatlich. Diese Stellung füllt meine Zeit nicht ganz aus, da ich für Herrn Langer im allgemeinen nur von elf Uhr bis zum Mittagstisch, also gegen zwei Uhr, tätig bin. Ich versuchte, da ich nicht wagte, mit einem solchen Einkommen bei der anhaltenden Teuerung einen Hausstand zu gründen, dies um so weniger, als ich meine Mutter unterstützen muß, irgend eine weitere Beschäftigung zu finden, aber dies ist mir bisher nicht gelungen.“

      „Welcher Art war eigentlich Ihre Tätigkeit bei Herrn Langer?“

      „Herr Langer, dessen Bureau sich in der Hegelgasse befindet, ließ mich hier bei ihm zu Hause seine private Vermögensverwaltung besorgen, die recht komplizierter Natur ist, denn einerseits handelt es sich um einen nach vielen Millionen zählenden Besitz, andererseits sind die Gattin und die Schwägerin des Herrn Langer die Teilhaberinnen dieses Vermögens, ohne die keinerlei Transaktion oder Neuanlage vorgenommen werden darf. Es müssen bei jedem Schritt ihre Unterschriften eingeholt werden. Außerdem führe ich die Privatkorrespondenz, soweit sie nicht rein persönlicher Art ist.“

      Dr. Bär stützte jetzt die Hände auf den Schreibtisch, beugte sich vor und stellte eine Frage, die rings im Kreise ersichtliches Interesse fand. Auch Fels horchte hoch auf:

      „Herr Doktor Holzinger, wie war es um die Beziehungen des Herrn Langer mit den zwei ermordeten Frauen bestellt, war diese Ehe harmonisch, gab es Zank und Streit? Die Fragen, die ich stelle, sind höchst delikater und sicher indiskreter Natur, aber ihre wahrheitsgetreue Beantwortung kann von großer Wichtigkeit sein.“

      Holzinger zögerte einige Augenblicke, bevor er antwortete:

      „Daß die Ehe harmonisch und überaus glücklich war, möchte ich nicht behaupten, obwohl ich niemals Zeuge ernster Streitigkeiten gewesen bin. Herr Langer scheint der schwächere Teil gewesen und vollständig unter der Herrschaft seiner Frau und auch deren Schwester gestanden zu haben. Ich hatte mitunter sogar den Eindruck seiner absoluten Willenlosigkeit. Mehrfach blieb ich, wenn viel Arbeit vorlag, bei Tisch als Gast und da sah ich immer wieder, daß Herr Langer sich am Gespräch der beiden Damen fast gar nicht beteiligte, besser gesagt, sie ihn nicht in ihr Gespräch zogen. Die beiden Damen bildeten gewissermaßen einen Kreis für sich, außerhalb dessen Peripherie Herr Langer stand. Morgens, wenn ich kam, war Herr Langer oft sehr schlecht aufgelegt und manchmal machte er direkt den Eindruck eines vergrämten, verkümmerten Menschen. Gerade an solchen Tagen glaubte ich den Mienen der Frau Langer und der Miß Mac Lean eine gewisse gehobene Stimmung, eine seltsame Art von Fröhlichkeit anzumerken.“

      Eine Pause trat ein, es blieb totenstill im Raum, jeder dachte über die Äußerungen des jungen Mannes nach, die Journalisten kritzelten eilig in ihre Notizbücher. Ungeklärte Schicksalsfragen, Verhängnis, düstere Rätsel lagen in der Luft.

      Der Kriminalkommissär fuhr dann in seinem Verhör fort, nachdem er im Flüsterton mit seinem Vorgesetzten gesprochen hatte.

      „Nun kommen wir zu den aktuellen Ereignissen. Gestern morgens ist Herr Langer nach Prag gefahren. Wissen Sie, aus welchem Anlaß?“

      „Herr Langer hatte erhebliche Zolldifferenzen mit dem tschechoslowakischen Staat, bei denen es sich um große Beträge handelte. Da der Prager Rechtsanwalt die Sache nicht energisch genug betrieb, meldete sich vor einigen Tagen Herr Langer beim Handelsminister Doktor Przibram zur Audienz, die ihm bewilligt wurde.“

      „Waren Sie gestern, trotzdem Herr Langer nicht hier weilt, in der Villa Mabel?“

      „Jawohl, ich war wie gewöhnlich um elf Uhr hier und blieb sogar länger als sonst, da einiges aufzuarbeiten war.“

      „Ist Ihnen irgend etwas im Hause oder an dessen Insassen aufgefallen?“

      „Nicht das geringste. Die Damen bekam ich überhaupt nicht zu Gesicht.“

      Mit erhobener Stimme stellte nun Dr. Bär folgende Frage:

      „Herr Doktor, Sie sagten, daß Sie gestern wie gewöhnlich um elf Uhr gekommen seien. Warum eigentlich sind Sie heute erst nahezu um zwölf Uhr hier erschienen?“

      „Ich habe länger als sonst geschlafen, fühlte etwas Kopfschmerzen und ging den weiten Weg hierhier zu Fuß, um frischer zu werden.“

      „Sie haben heute länger als sonst geschlafen? Wahrscheinlich sind Sie spät zu Bett gegangen?“

      Und während eine beklemmende Schwüle auf allen lag, erwiderte Dr. Holzinger ganz ruhig:

      „Jawohl, ich bin gestern nachts erst nach zwei Uhr morgens nach Hause gekommen.“

      Totenstille, körperlich wahrnehmbare Erregung. Lauter und schärfer als vorher erklang die Stimme des Kriminalbeamten:

      „Darf ich Sie um die Gründe dieses langen Ausbleibens in der Mordnacht fragen?“

      Bei dem Wort „Mordnacht“ zuckte Holzinger zusammen, es schien ihm plötzlich zum Bewußtsein zu kommen, daß er in diesem Augenblick im Mittelpunkt des Interesses stand, daß seinen Worten eine verhängnisvolle Bedeutung beigelegt wird, und unsicher, zögernd erwiderte er:

      „Ich war abends bei den Eltern meiner Braut, wir sprachen über die Zukunft, Elsbeths Mutter war voll

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