Faustrecht. Hugo Bettauer
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Wieder trat eine kurze, nach Sekunden zählende Pause ein und Holzinger mochte wohl fühlen, daß er Feindseligkeiten, Widerständen, Unglauben, Mißtrauen gegenüberstand. Und um seine Lippen trat ein bitterer Zug, er richtete sich höher auf und begann seinerseits die Männer um sich her als Feinde zu betrachten.
Bär aber stellte nur noch eine Frage:
„Haben Sie die Schlüssel, die das Haustor und das Gartenportal aufsperren?“
Rasch, ärgerlich und trotzig erwiderte Holzinger:
„Nein, woher hätte ich sie haben sollen?“
Dr. Bär antwortete nicht, er sah sich nach seinen Vorgesetzten um und fragte: „Haben die Herren noch irgend eine Frage zu stellen?“ und als die Herren verneinten: „Herr Doktor Holzinger, wir erwarten Herrn Langer in etwa zwei Stunden hier und werden dann auch Sie vielleicht noch brauchen. Bitte, sich also in nächster Nähe zu unserer Verfügung zu halten und dem Beamten unten zu sagen, wo Sie jeden Augenblick zu finden sind.“
Damit war Holzinger entlassen und als er in der Gersthoferstraße in einem Restaurant saß, um sein bescheidenes Mittagmahl einzunehmen, wußte er ganz genau, daß der Herr, der am Nebentisch Platz nahm, ein Detektiv sei. Er wußte aber nicht, daß zwei andere Detektivs sich inzwischen per Auto nach seiner Wohnung in der Florianigasse begeben hatten, um dort das vorzunehmen, was im polizeitechnischen Sinne eine Hausdurchsuchung genannt wird.
Fünftes kapitel
Die Herren von der Polizei begaben sich ebenfalls zu Tisch, nur Dr. Bär blieb noch eine geschlagene Stunde in der „Villa Mabel“, während Fels und die anderen Journalisten in ihre Redaktionsbureaus stürmten, um die ersten Sensationsartikel über den „Mord im Cottage“ in Druck zu geben.
Schon um halb zwei waren die Herren von der Polizei, mit Ausnahme des Polizeipräsidenten, der sich von jetzt ab nur mehr in seinem Bureau Bericht erstatten ließ, in der „Villa Mabel“ versammelt, aber Dr. Bär erklärte die weitere Voruntersuchung für geheim, so daß die Journalisten nicht mehr anwesend sein durften. Die offizielle Polizeikorrespondenz schickte den Redaktionen mehrmals täglich Berichte über alle weiteren Ergebnisse, selbstverständlich blieb es aber den einzelnen Reportern unbenommen, auf eigene Faust Recherchen anzustellen und sich bei der Polizei nähere Informationen zu holen.
Kurz vor zwei Uhr ließ der Kriminalkommissär abermals Dr. Holzinger in das Bibliothekzimmer bitten. Gleich hinter ihm traten ein junger Bursch und ein älterer Mann ein. Dr. Bär erklärte die Situation:
„Ich habe die beiden Kellner aus dem ‚Grabencafé‘ holen lassen, die gestern nachts dort Dienst hatten.“ Und zu den beiden Kellnern gewandt: „Bitte, diesen Herrn genau anzusehen und auszusagen, ob Sie sich entsinnen können, ihn gestern nachts zwischen ein und halb zwei Uhr bedient zu haben.“
Die Kellner musterten Holzinger lange und genau, dann erklärten beide achselzuckend, ihn nicht wieder zu erkennen. Allerdings fügte der Zahlkellner hinzu, daß der Besuch im Café sehr lebhaft gewesen sei und er die Gäste, falls nicht ein besonderer Grund hiezu vorliege, nicht näher anzuschauen pflege. Damit waren die Kellner entlassen und Bär wendet sich nun direkt an Holzinger, dem es immer schärfer zum Bewußtsein kam, halb und halb schon die Rolle eines Angeklagten zu spielen:
„Ihre Angabe, daß Sie gegen zwei Uhr nach Hause gekommen seien, läßt sich von mir nicht überprüfen, da Sie ja einen eigenen Hausschlüssel haben. Ihre Frau Mutter aber kann nur aussagen, daß Sie spät gekommen sind, ohne zu wissen, wie spät es war. Sie haben vormittags auf meine Frage mit aller Entschiedenheit erklärt, die Eingangsschlüssel zur ‚Villa Mabel‘ nicht zu besitzen. Eine eben bei Ihnen vorgenommene Hausdurchsuchung widerlegt diese Behauptung. Der Beamte hat in der obersten Schublade Ihres Wäscheschrankes diese beiden durch einen Ring zusammengehaltenen Schlüssel gefunden, die nichts anderes sind, als die Schlüssel zum Gartenportal und zum Haustor der ‚Villa Mabel‘.“
Dr. Holzinger fühlte den Boden unter sich schwanken und Leichenblässe zog über sein verstörtes Gesicht. Er atmete tief auf, stierte wie geistesabwesend vor sich hin, fuhr sich mit der Rechten über die feuchte Stirne und erwiderte dann tonlos:
„Jetzt, wo es zu spät ist, erinnere ich mich natürlich. Vor anderthalb Jahren, als an den Börsen enorme, den ganzen Anlagemarkt erschütternde Kursschwankungen auftraten, hatte ich mehrmals hintereinander hier im Hause bis in die frühen Morgenstunden gearbeitet, depeschiert und telephoniert. Herr Langer, der die Dienerschaft nicht so lange wachen ließ, hatte mich, wenn ich endlich gehen konnte, bis auf die Straße begleitet, als es aber einmal heftig regnete, gab er mir die Schlüssel mit der Bemerkung, ich möchte sie für künftige Fälle behalten. Nach einigen Tagen, als meine Arbeitszeit wieder normal war, legte ich den Schlüsselbund in den Wäscheschrank, wo ich ihn vollständig vergessen habe.“
Ernst und fast feierlich sagte nun der Kriminalbeamte:
„Herr Doktor Holzinger, Ihre Erklärung ist plausibel, aber nicht überzeugend. Sie werden als juristisch gebildeter Mensch selbst zugeben müssen, daß viele, sehr viele Momente gegen Sie sprechen und mir nichts anderes übrig bleibt, als Ihre Verhaftung vorzunehmen. Erleichtern Sie sich, wenn Sie die Tat begangen haben oder mit ihr in Verbindung stehen, durch ein Geständnis.“
Holzinger hatte sich wieder gefaßt. Hoch und fast stolz aufgerichtet gab er die Antwort:
„Ich schwöre bei dem Leben meiner alter Mutter und meiner armen Braut, daß ich unschuldig bin.“
Bär schaute ihm bei diesen Worten tief in die Augen, wechselte dann einen Blick des Einverständnisses mit dem Chef der Sicherheitspolizei und sagte mit milder, gütiger Stimme:
„Ich wünsche von ganzem Herzen, daß Ihre Unschuld bald voll und ganz erwiesen ist und bitte Sie, überzeugt davon zu sein, daß ich jede, auch die geringste Spur, die zu Ihren Gunsten sprechen kann, aufgreifen werde, um Ihnen die Freiheit wieder zu geben. Vorläufig müssen Sie sich in das Unvermeidliche schicken.“
Ein Wink und ein bereit gestandener Beamter ging mit Holzinger ab, um ihn der Haft zuzuführen. Kaum eine Minute später aber sauste ein mächtiges Tourenautomobil durch die Kastanienallee und hielt vor der „Villa Mabel“. Über und über mit Kot bespritzt, blaß und ermüdet, entstieg ihm Herr August Langer, der Multimillionär, dessen Gattin und Schwägerin vor kaum zwölf Stunden durch Mörderhand vom Leben zum Tode befördert worden waren.
Sechstes kapitel
Trotzdem es Mitternacht war, herrschte im „Café Central“ lebhaftes, lustiges Leben, alle Tische waren besetzt und im sogenannten „Arkadenhof“ saß wieder die ganze Wiener Bohème beisammen, die eigentlich keine ist, weil sie sich zum größten Teile aus saturierten, dem Kampf und Drang entwachsenen Künstlern, Schriftstellern und ästhetisierenden Lebejünglingen zusammensetzt. An einem Tisch saß in großer Gesellschaft, mit einem schönen, schlanken, brünetten Mädchen zur Seite, Oskar Fels, der heute mehr noch als sonst im Mittelpunkt des Interesses stand, weil das Gespräch von dem sensationellen Mord im Cottage ganz beherrscht wurde. Fels, der abgespannt und erregt erschien, hatte aber keine