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wollte mit aller Gewalt wissen, ob der „arme Holzinger“ wirklich der Mörder sei. Da auch der Direktor des Volksspielhauses, Herr Büxel, und seine sehr kleine, sehr schicke und lebenslustige Frau durchaus Näheres erfahren wollten, erklärte Fels schließlich lachend:

      „Ich halte den Holzinger für so unschuldig wie ihr es seid, und bin fest überzeugt davon, daß mein Freund Bär eine kapitale Dummheit gemacht hat, die dem Staate viel Geld kosten wird, weil ja nach unseren neuen Gesetzen der Staat einem unschuldig eines schweren Verbrechens bezichtigten Menschen für jeden Tag der Haft fünfzig Kronen zu bezahlen hat. Jetzt gebt mir aber Ruhe und haltet euch an Bär selbst, der gerade kommt.“

      Richtig kam Dr. Bär frisch und elastisch, als hätte er einen Tag voll Ruhe hinter sich, an den Tisch. Natürlich wurde er mit Fragen nur so bombardiert. Die kleine Frau Direktor versicherte ihm, daß sie kein Wort mehr mit ihm sprechen würde, wenn er einen Unschuldigen hatte verhaften lassen, und Alma Mia schwur, während sie ihre Zigarette feierlich erhob, daß sie den armen Holzinger unbedingt durch ihre Gunst, wenn auch nur für eine Nacht, entschädigen wollte. Alles lachte, der Kriminalkommissär erklärte trocken, daß er unter solchen Umständen Holzinger, ob schuldig oder unschuldig, im Kerker verschmachten lassen werde, dann aber zupfte er Fels am Ohr und bat ihn, sich auf ein Viertelstündchen mit ihm zurückzuziehen. Alles Protestieren der Herren und Damen blieb fruchtlos, die beiden setzten sich an einen kleinen Tisch, an dem sie ungestört waren, und aus der angekündigten Viertelstunde wurde eine ganze, bevor sich Fels wieder seiner höchst erbosten und schmollenden Alma widmen konnte.

      Dr. Bär und Oskar Fels waren seit vielen Jahren miteinander bekannt und durch drei gemeinsame Kriegs- und Kampfjahre zu guten, aufrichtigen Freunden geworden. Beide waren, als der Weltkrieg ausgebrochen war, als Reserveleutnants zum selben Regiment eingerückt, beide standen in derselben Kompagnie, hatten dieselben Rückzüge und Siege, dieselben Gefahren und Entbehrungen mitgemacht, beide dieselben hohen Tapferkeitsauszeichnungen erhalten, bis beide fast am selben Tage ins Hinterland zurückberufen wurden, der eine auf Reklamation der Polizeidirektion, der andere auf Eingabe der „Weltpresse“. Und ganz abgesehen von diesen großen Erlebnissen, hatte einmal Fels seinen Freund, der bereits in Gefangenschaft geraten und von italienischen Soldaten fortgeschleppt war, unter eminentester Lebensgefahr herausgehauen und befreit.

      Sonst allerdings war nicht viel Gemeinsames zwischen den beiden Männern. Bär ging in seinem Beruf ganz auf, lebte in geordneten, soliden Verhältnissen und ließ sich niemals oder nur sehr selten zu unüberlegten Handlungen hinreißen, während Fels zwar seinen Beruf an sich auch liebte, ihn aber doch nur als nervenaufpeitschendes Narkotikum betrachtete, über und über verschuldet war und einen unbezähmbaren Hang zum Wohlleben, Luxus, zu einem sybaritischen Dasein hatte. Offen und ungeniert, wie es seine Art war, pflegte er zu betonen: „Reichtum, Nichtstun, oder besser gesagt, nichts tun müssen, das Leben nach bestem Können ausschlürfen — darin besteht für mich das höchste Glück!“ Den Frauen gegenüber war Fels immer Sieger. Nicht, nur, daß auch sonst spröde und unnahbare Frauen sich von seiner berauschenden Lebensbejahung und Unbedenklichkeit hinreißen ließen, verstand es Fels auch, sie nicht Oberhand über sich gewinnen zu lassen, sondern immer der zu „sein, der sich als der erste zurückzieht.

      Siebentes kapitel

      Nachdem Bär sich seine Zigarette angezündet hatte, fragte er:

      „Nun sag’ mir einmal, lieber Freund, was du von der ganzen Sache hältst. Du weißt, ich gebe viel auf dein Urteil.“

      Statt eine Antwort zu geben, zog Fels einen noch feuchten Bürstenabzug aus der Tasche und sagte leichthin:

      „Da, das ist mein Artikel, der morgen in der ‚Weltpresse‘ erscheinen wird. Lies ihn, dann kennst du meine Meinung.“

      Mit gespanntester Aufmerksamkeit las der Polizeibeamte den umfangreichen Zeitungsbericht durch, der in wenigen Stunden von ganz Wien verschlungen werden würde.

      In journalistisch meisterhafter Weise hatte Fels ein Bild von der Tat, dem Schauplatz der Tat, den agierenden Personen, soweit er sie hatte beobachten können, entworfen, in knapper, aber glänzender Weise das ganze Milieu charakterisiert und zum Schluß unter der Überschrift: „Ist Doktor Holzinger der Mörder?“ seine persönliche Meinung ausgesprochen, indem er für die Unschuld des Verhafteten in scharf logischer Weise eintrat. Er schrieb:

      „Gegen Holzinger sprechen gewichtige Momente. Er hat kein Alibi für die kritische Zeit, er war im Besitz der von ihm verleugneten Hausschlüssel, er ist der einzige in Betracht kommende Mann, der das Haus, die einzelnen Zimmer und die Lebensgewohnheiten der Bewohner kannte. Und vor allem: er ist arm, er will heiraten, hat aber nicht das Geld dazu, und die geraubten Juwelen sollen einen riesigen Wert besitzen.

      Ich erwidere aber darauf: Ich und mit mir noch etliche zehntausend Junggesellen Wiens haben für die gestrige Nacht kein Alibi. Ich und noch hunderttausend Menschen sind im Besitz irgendwelcher Schlüssel, die sie ableugnen würden, weil sie sich ihrer eben nicht erinnern. Ich und Tausende haben nicht so viel Geld, als sie dringend benötigen. Bleibt also noch die Tatsache, daß Holzinger die Örtlichkeiten genau gekannt haben dürfte. Die allerdings kenne ich nicht, aber es kennen sie einige Dutzend Handwerker ganz genau, denn nach Beendigung des Krieges wurde die ‚Villa Mabel‘ gründlich renoviert und wochenlang wimmelte es in ihr von Anstreichern, Tapezierern, Installateuren und Elektrikern. Irgend eine dieser Personen kann einen der sicher zahlreich vorhandenen Schlüsselbunde an sich genommen haben. Daß Herr Langer mit seinem Diener verreisen würde und Gärtner wie Chauffeur außerhalb Wiens weilen, hat schon vorgestern das gesamte Gesinde gewußt und sicher hat der Diener im Wirtshaus oder sonstwo von der bevorstehenden Reise erzählt. Auf diese Weise kann es die Person, die sich seinerzeit die Schlüssel gesichert hatte, erfahren und den Moment für gegeben erachtet haben, jetzt die furchtbare Tat zu begehen.

      Vor allem aber, und dies erscheint mir das Wichtigste: Dr. Holzinger ist ein durchaus nüchterner, vernünftiger und gebildeter Mensch, der, wenn er schon ein Verbrechen begehen, sich nicht wie ein Trottel dabei benehmen würde. Warum hat er also die Schlüssel, die ihm zum Verderben werden mußten, nicht verborgen, sondern so in eine Schublade gelegt, daß sie jedermann sofort finden mußte? Und wozu sollte dieser kluge, ruhige Mensch überhaupt den Mord begangen haben? Der Polizeibericht erzählt uns, daß sich in dem Täschchen der Frau Langer etwa zweitausend Kronen befunden haben dürften. Das ist mehr, als bei einer Dame vorauszusetzen war, aber so wenig, daß dem Manne damit in keiner Weise gedient sein konnte. Bleiben also die Juwelen und Perlen, die nach dem Polizeibericht einen Wert von etwa einer Million haben. Nun, ein dummer und ungebildeter Mensch sogar mußte sich sagen, daß durch viele Jahre hindurch diese Juwelen unverkäuflich sein würden und jeder Versuch, sie ganz oder teilweise zu veräußern, eine Gefahr bedeuten müsse.

      Nein, Holzinger ist weder verdächtig noch arg belastet, und es erscheint mir ganz und gar ungerechtfertigt, auf so unsichere Momente hin einen anständigen, unbescholtenen Menschen als Galgenkandidaten ins Gefängnis zu schleppen.“ Bär hatte den Artikel beendet, pfiff leise vor sich hin und meinte dann:

      „Für mich ist der Aufsatz ja reichlich unbequem. Der Präsident wird nervös werden und Lechner mir mit salbungsvoller Stimme wohlgemeinte Ratschläge geben, in Wirklichkeit aber sich, in der Hoffnung, daß ich mich blamiert habe, rasend freuen. Übrigens hast du sowohl vom Standpunkt des Journalisten als auch von dem des Publikums recht, mir aber als Kriminalisten blieb nichts anderes übrig, als zur Verhaftung zu schreiten. Deine Ausführungen, lieber Fels, haben den großen Fehler, daß sie von der Voraussetzung ausgehen, ein Verbrecher müsse immer logisch, überlegt und vorsichtig handeln. Die Praxis lehrt aber, daß dies durchaus nicht der Fall ist, sondern gerade bei den schwersten Verbrechen unglaubliche Denkfehler begangen werden. Die Verdachtsmomente gegen Holzinger sind sehr schwer, wenn ich auch selbst von seiner Schuld durchaus nicht überzeugt bin. Ich weiß, welchen Einwand du jetzt erheben willst: ich hätte Holzinger, statt ihn

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