Faustrecht. Hugo Bettauer
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Fels wehrte ab und sagte:
„Wir werden einander nicht überzeugen, also lassen wir das Thema und erzähle mir lieber, natürlich privat, nicht zur Veröffentlichung, was du heute alles erhoben hast. Vor allem: Wie verlief das Verhör mit Herrn Langer? Wer, was und wie ist dieser Millionär überhaupt? Ich sollte den Langer interviewen, habe es aber für taktlos und nebenbei überflüssig gehalten.“
Bär lächelte.
„Dieser Herr Langer ist für mich eine wenig erquickliche Persönlichkeit. Er befindet sich in unserem Alter, sieht aber bedeutend jünger aus, was wohl seine Schlankheit und die Zartheit seines ganzen Knochenbaues verursacht. Unbedingt ein auffallend hübscher Mensch mit eigentümlich verschleierten, traurigen Augen, aber in seinem ganzen Wesen feminin, weich, quallenhaft. Weißt du, ein Mann, den starke, maskuline Frauen gewöhnlich lieben, mädchenhafte Weiber abscheulich finden.
Das Verhör mit Langer ergab keine Überraschungen. Er war sehr gefaßt, hält ebenfalls seinen Privatsekretär für absolut unschuldig, ist auch bereit, für die Unschuld der beiden Mädchen einzustehen und hat uns ein ziemlich ungenaues Verzeichnis der geraubten Schmucksachen gegeben. Er hatte keine Ahnung, wieviel und was für Ringe seine Frau besessen, genau kennt er nur ein vierfaches Perlenhalsband mit Diamantschließe, das er seiner Frau noch vor dem Kriege für eine halbe Million Franken in Paris gekauft hat, und eine Platinnadel mit einem wundervollen Smaragd von sechs Karat Gewicht, eine Seltenheit, deren Wert auch heute, nach dem großen Juwelenkrach, unter Brüdern eine Million Franken, von Kronen gar nicht zu reden, wert ist. Nach seiner Meinung dürfte der Verbrecher es gerade auf diese beiden Stücke abgesehen haben, die er irgendwo in Amerika oder Australien losschlagen wolle.“
„Eine Meinung, die gar nicht dumm ist,“ wandte Fels ein.
„Nachdem ich mit Herrn Langer, der durchaus eine Belohnung von hunderttausend Kronen für die Ergreifung des oder der Täter aussetzen will, fertig war, begann für mich die eigentliche und interessantere Arbeit. Vielleicht ist es nur rein persönliche Neugierde bei mir, aber ich wollte durchaus Näheres über das wahre Verhältnis dieses weichlichen, hübschen Mannes zu den beiden so überaus häßlichen Frauen erfahren. Nun, das ist mir gelungen. Zunächst fand ich, als ich das Boudoir der ermordeten Frau und dann das ihrer Schwester genau durchsuchte, bei beiden in den Bücherschränken wohlverwahrt eine ganze Anzahl von masochistisch-sadistischen Büchern und ebensolche photographische Abbildungen, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen. Die Bücher waren mir als verbotene Druckerzeugnisse zum größten Teil bekannt, es sind durchwegs in Romanform gekleidete Schilderungen von dem psychopathisch sattsam behandelten Verhältnis starker Frauen zu schwachen, unterwürfigen Männern. Ich brauche dir wohl über diese Irrwege im Liebesleben des Menschen nichts weiter mitzuteilen.“
Fels nickte verständnisvoll.
„Und nun nahm ich mir den Kammerdiener Josef, der aus Prag mitgekommen ist, und die beiden Mädchen vor, und dann hatte ich eine längere Unterredung mit einer Dame, die in einer Villa anstoßend an die ‚Villa Mabel‘ wohnt und mittels Opernglases allerlei indiskrete Schlafzimmerbeobachtungen gemacht hat. Das Resultat dessen, was ich auf diese Weise erfuhr, gibt mir folgendes Bild: Herr Langer ist ein idealer Pantoffelheld, stand vollständig unter dem Bann von Frau und Schwägerin und wurde von diesen beiden Weibern seelisch und körperlich mißhandelt, ja, auch körperlich, so seltsam es klingt! Das Schönste aber ist, daß der arme Kerl buchstäblich nur durch den Tod von den angenehmen Damen befreit werden konnte. Es bestehen nämlich ungeheuer komplizierte Vermögensverhältnisse zwischen den Eheleuten. Aus den Verträgen und Akten, die ich studiert habe — die Kopien lagen im Schreibtisch der Frau Langer — sowie aus den Mitteilungen, die mir Doktor Holzinger eben vor einer Stunde machte, erfuhr ich, daß Herr Langer keinerlei selbständige Vermögensverfügung hat. Für jede Ausstellung eines Schecks von mehr als zehntausend Kronen, für jede Vermögenstransaktion, jeden Umtausch von Werten benötigte er die Unterschrift seiner Frau, während diese seine Unterschrift durchaus nicht brauchte, sondern nach Belieben das ganze Vermögen hätte verschenken können. Es kommt aber noch besser: Laut Testament, dessen Kopie ich ebenfalls gelesen habe, wäre nach dem Tode der Frau Langer Herr August Langer in dasselbe Abhängigkeitsverhältnis zu Miß Mac Lean geraten! Dann wäre dieser abscheuliche Krüppel die absolute Herrin über das Vermögen geworden. Nur für den Fall, daß beide starben, gleichgültig, ob gleichzeitig oder zuerst Frau Langer und dann deren Schwester, konnte Herr Langer in den ungeschmälerten und unkontrollierten Besitz aller Vermögenswerte treten. Dies ist jetzt geschehen und eigentlich müßte man dem glücklichen Leidtragenden von ganzem Herzen gratulieren.“
Vom Stammtisch der beiden Herren her wurden stürmische Unwillenskundgebungen über die lange Abwesenheit des Journalisten und des Polizeibeamten laut, die kleine Frau Direktor erklärte ein solches Benehmen für unerhört, während Alma Mia schon beinahe weinte. Fels und Bär beschlossen daher, ihre private Unterhaltung zu beendigen, nicht aber bevor Fels eine naheliegende Frage erörtert hatte:
„Lieber Bär,“ sagte er, „das alles, was du da erfahren hast, ist sehr wundersam und muß doch dein kriminalistisches Gehirn intensiv beschäftigen!“
„Sprich nur ganz ruhig deutsch,“ erwiderte Dr. Bär. „Natürlich könnte die Tatsache, daß Herr Langer den Tod der beiden Frauen als Erlösung empfunden haben muß, eine neue Fährte bilden. Aber nach meiner festen Überzeugung eine falsche Fährte. Denn wohl würden wir beide normal empfindende Menschen den Tod solcher Frauen als Glücksfall empfinden; ist dies aber auch bei August Langer der Fall? Ich glaube nicht! Dieser Mann braucht wahrscheinlich, um leben zu können, die Unterjochung unter weiblichen Willen, und was uns Qual bedeuten würde, ist ihm Wollust. Ganz abgesehen davon, wäre dieser Schwächling nie und nimmer imstande, die Initiative zu einem solchen Verbrechen zu ergreifen, die Mörder zu dingen, einen großzügigen Plan zu entwerfen. Dieser Mann stirbt lieber selbst, bevor er einen heroischen Entschluß faßt. Nicht einmal einen Selbstmord würde ich dem Schwächling zutrauen, geschweige einen Mord.“
Während Oskar Fels nickte, wie ein Mensch, der mit dem, was ihm gesagt wurde, vollständig einverstanden ist, begaben sich die beiden Freunde nun zu ihrem Tisch, an dem sie durch „Schmeißen“ einiger Runden Kognak Buße leisten mußten.
Achtes kapitel
Oskar Fels saß am nächsten Vormittag reichlich unausgeschlafen in der Redaktion an seinem Schreibtisch, um noch für das Abendblatt einen weiteren großen Artikel über den Mord im Cottage zu schreiben. Der Herausgeber hatte kategorisch erklärt, daß er mindestens zwei Spalten im Abendblatt und vier im Morgenblatt haben wolle, und Fels konnte ihm dabei nicht ganz unrecht geben. Tatsächlich interessierte sich „ganz Wien“ nur mehr für den Mord und die Frage, ob die Polizei in der Person Holzingers einen Unschuldigen oder den Mörder festgenommen hatte. Der Artikel im Morgenblatt der „Weltpresse“ ließ die ganze öffentliche Meinung auf die Seite des Verhafteten treten und schon hagelte es von Zuschriften, Anregungen und Meinungsäußerungen. Auch mit der Person der ermordeten Frauen und des Herrn August Langer beschäftigten sich die Wiener intensiv und es schien Fels, daß die eigenartigen Familienverhältnisse in der „Villa Mabel“ schon Gegenstand der öffentlichen Diskussion waren. Eben hatte der Herausgeber dem Journalisten einen Brief überwiesen, den er von einem ebenfalls im Cottage wohnenden Bankdirektor bekommen hatte. Der Brief trug den Vermerk „Höchst vertraulich“ und enthielt eine Schilderung eines Soupers, das der Bankdirektor mit seiner Frau in der „Villa Mabel“ mitgemacht hatte. Es hieß in dem Schreiben:
„Ich kannte Herrn Langer schon seit Jahren durch rege