Der Fluch der Welt. Robert Heymann

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Der Fluch der Welt - Robert Heymann

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mache long (lassen). D’ Bua (Bauern) hent aber nimma davor a Vat’runser beat. Der Geistli Hear hot fragt: worum se denn numma wia fruar beim Nuia Heargott beatn? Der Bua sait: Ja, wie kinnt mer denn a Andacht hong, hend mer doch den nuia Heargott no als ’n Biarnboam (Birnbaum) kennt.“

      Das Mädchen geht vorüber und grüsst mit freundlichem Nicken. „Grüss Gott“ ... nordischer Wanderer, weht dich nicht eine unmittelbare Herzlichkeit an, wenn dieser Gruss, sich immer und in allen Tonarten wiederholend, dein Ohr erreicht? Hier wünscht man sich nichts Schlimmes. Keiner dem andern. „Gott zum Gruss — —“ so sei dein Weg gesegnet im Allgäuerland. Schöne Mädchen im Allgäu! Wie das buntfarbene Kopftuch das schmale Profil belebend rahmt! So ist die lebendige Jugend: Kraftstrotzend, leichtwiegend im Gang, die Hand zur Arbeit geschaffen, die Brust harmonisch gewölbt zum tiefen Atemzug, der Mund zum Lachen geschwungen, die Lippen zum Küssen gerundet.

      Der Jugendzeichner Eichler schuf solche Gestalten nach dem Leben. Wie Ähren, so gelb, lebenswarm, wellen die Haarflechten sich über gebräunten Stirne. Und die Augen strahlen und blauen.

      Ein Fink zwitschert und schwingt sich über lose hingesetzte windschiefe Bretterzäune, die die Haselnussstauden säumen, von denen die goldgelben Blüten nicken. Die Maiblumen schiessen schon aus allen Mulden; Schneeglöckchen läuten ... wer nur ein Ohr für lebendige Schönheit hat, der hört sie. Die sprossenden Wiesen besäen Schlüsselblumen auf dem jäh aufsteigenden Hang, der nach Reutte hinaufführt. Mutvoll durch stehende Wassertümpel gewatet und die Berghalden hinauf, dem Himmel entgegen! Langsam sinkt Oberstdorf in die Felder zurück. Raben schweben wie schwarze Punkte über dem weissen Schneefell, an dem an allen Enden die Sonne zupft. Es ist durchlöchert wie ein Sieb, und an hundert Stellen gewaltsam zerrissen; da lugt das erste keusche Grün hervor. Die Stare sammeln sich an ihren niedlich grünen Häuschen, die von Riesenstangen fast in die Wolken gehoben werden. Der Oberstdorfer liebt die Vögel. Das zeigen zahllose kleine Futterplätzchen, mit Brotkrumen bestreut. Die Natur bringt Mensch und Tier einander näher. Der Wagen, den der Maulesel oder das trittsichere Pferd über die Bergstrasse zieht, ist nicht überladen. Wie kosend streichen die rauhen Hände den Rücken wohlgenährter Kühe. Die sinnlosen Bocksprünge des Viehs, das glockenläutend um die Abendzeit zur Tränke geht, melden den bevorstehenden Alpgang.

      In Rot und Gold ist der Laubwald getaucht. Mit schwarzen Tinten sind die Tannenwälder auf den silbernen Grund der Schneehalden gesetzt. In blaugrünen Farben steigen die Matten zu den Felsen empor. Schon hat die Trottach ihr spiegelklares Leuchten. Die Sägemühle drüben an der Brücke schweigt. Auf dunklem Stamm sitzen gelbe Lichter. Wenn die Sonne sich plötzlich hinter langsam heranballenden Wolken verbirgt, dann fällt ein Schatten wie eine drohende Schicksalshand über all das herrschende Leben. Sekundenlang. Dann wischt die Sonne lachend die Schatten hinweg und wieder blaut oben in italienischer Reinheit der Himmel. Höher reckt sich das harte Gestein aus schimmernden Schneemassen, die die Sonne immer mehr hinauf zu den eisigen Gipfeln zwingt. Wie blauer Atlas liegt das Firmament über den eiskalten Firnen. Abends, wenn die Sonne untergeht, glühen sie in feurigem Purpur, und nachts leuchten sie gigantisch durch die Finsternis.

      Die Äste reichen sich ihre Zweige und die verschlingen sich wie Spinngewebe im Märchenwald. Nun reckt nur mehr der Kirchturm unten seinen weissen Hals über die Häuser Oberstdorfs, die sich warm aneinander schmiegen. Er sieht aus wie ein Kapuziner, der die Kapuze tief über die Ohren gezogen hat und zum Fasten predigt.

      Der Vorfrühling sitzt mit Singen und Klingen in den Augen und reckt die Glieder. Der Himmelschrofen scheint näher gerückt; fast schwindet der Kratzer trotz seiner zweieinhalb tausend Meter, von des Fürschüssers massigem Bau in die Perspektive gedrückt. Die Kegel- und Krottenköpfe füllen die Öffnung hinüber zum Riffenkopf, während die Höffats mit ihren Gletschern sich schamhaft zurückzieht. So fasste nur des einsamen Segantinis Leinwand die Hochwelt; so schlicht, gigantisch und rein. So, als Hüter in ewiger Fruchtbarkeit.

      Nur die roten Kamine der Häuser von Oberstdorf beleben jetzt die stille Landschaft. Eine Steinstiege, zwischen den Wiesenhang gelegt, geleitet zur winzigen Kapelle der Höfe, die dem Gasthaus „Panorama“ vorgelagert sind. Ein uraltes Muttergottesbild, aus Holz geschnitzt, schmückt das Innere. Der heilige Geist mit sieben geschnitzten und vergoldeten Holzstangen schwebt zu Häupten der drei Betstühle. Und tiefer, endloser Friede ringsum. Welch ein Friede! Die primitive Frömmigkeit hier oben kennt keine Probleme. Die zerschellen an den Steinfelsen des Walsertals. Nietzsche und Schopenhauer sind für die Bauern nie geboren worden. Kein lärmender Kulturkampf dringt in diese stille Höhe. Und der Krieg — ach, der liegt weit, weit zurück. Man könnte sagen, Jahrhunderte.

      „Gott über uns — die Scholle unter uns“ — so sagte mir einer im tiroler Dialekt. Ja, die Scholle! Es ist was eigenes um die dampfende Erde, die der Glaube fruchtbar macht ...

      Der weisse Samt des Schneefeldes hält hier oben noch weniger Stand, wo die Sonne richtig bei kann. Da kost sie so lange, bis die Astrantia ihre Knospen hervorstreckt und der Brändel, noch in erster Jugend, zwischen Moosflächen lugt. Aber die Ranunkel leuchtet schon in jungfräulicher Weisse, wie die gebleichte Wäsche, die die Wirtin ber „Gebirgsaussicht“ der Sonne anvertraut.

      Die Reinheit der Bergwelt ist die Bleiche für den Charakter der Allgäuer.

      Was an jungen Burschen hier war, ist im Kampf. Am Pfluge steht die Bäuerin, die letzte Bauernmagd tut männliche Arbeit. Arbeitskräfte fehlen überall, doch restlos werden die Felder bestellt. Es ist ein Lied von deutscher Pflichterfüllung und von urbayerischer Kraft, das hier der Frühling singt, Herr Hauptmann ...

      Und was ich noch verraten will: Hier gibt es Butter, Herr Hauptmann, Schmalz und täglich zwei Liter Milch für die Frau Rätin. Es ist nicht so scharf rationiert wie in Berlin, lange nicht. Der Bauer hat doch noch mehr, er muss sich doppelt plagen, er legt auch die Hand auf das, was ihm zusteht. Schon spricht man davon, dass auch dem Bauern weggenommen werden soll, was er entbehren kann. Dass das letzte Korn erfasst wird, dass das letzte Pfund Schmalz in die Stadt geliefert werden muss.

      Der Bauer sagt: Muss es sein, so soll es geschehen. Schliesslich aber haben sie nur das hier, was sie brauchen, freilich reichlicher als in der Stadt. Aber die Arbeit ist doppelt schwer. Gerne geben die Bauern uns vom Übrigen. Es fehlt uns hier an nichts ... nur um den Frieden beten wir. Um den Frieden in allen deutschen Landen, die sich rüsten, neuen Segen zu tragen ...“

      Dichter und Leutnant.

      Der Hauptmann las den Brief in Flandern. Er sass im Hauptquartier und arbeitete. Der Himmel hing voller Regen.

      Oberstdorf war voll von Verwundeten und Rekonvaleszenten.

      Die Rätin machte eines Tages die Bekanntschaft eines Oberleutnants, der hier von einer schweren Verletzung genas. Er hatte ihren Namen im Fremdenbuch gelesen und war auf der Promenade an sie herangetreten.

      Ob die gnädige Frau mit einem gewissen Hauptmann Scholz in Berlin verwandt sei? Er habe ihm oft von seiner Mutter, der Rätin, erzählt ...

      Freilich, sie sei seine Mutter.

      Dann wollte er ihr seine Ehrerbietung ausdrücken. Er und Franz, der Hauptmann, seien in Russland gute Freunde geworden. Die Rätin freute sich sehr. Über was hätte sie sich lieber unterhalten, als über ihre Söhne?

      Am nächsten Tage lernte auch Violet den bayerischen Oberleutnant Rurk kennen. Er war ein stiller Mann mit einem blassen Gelehrtengesicht. Die Verwundung hatte ihn arg mitgenommen. Granatsplitter im Unterleib.

      Doch nun ging er seiner Genesung entgegen. Violet überwand bald ihre anfängliche Schüchternheit. Sie fühlte, dass sie ihm gegenüber aus ihrer Zurückhaltung heraustreten durfte.

      Die

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