Dialekt und Standardsprache in der Deutschdidaktik. Hubert Klausmann
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Der Sprachalltag in Süddeutschland spielt sich heute weitgehend auf der Ebene der überregionalen Sprachform ab. Der alte Ortsdialekt lebt zwar noch auf dem Land, aber auch dort hat er in den überregionalen Formen eine mächtige Konkurrenz. Für viele Einheimische sind diese überregionalen Ausformungen kein Dialekt mehr, doch ist dies letztendlich auch wieder ein Dialekt, wenn auch nicht mehr der alte Basisdialekt der Großeltern. In dieser Zwischenposition zwischen dem alten Basisdialekt und der im ländlichen Raum unter Einheimischen nicht angebrachten Standardsprache dürften sich die überregionalen Formen (RegionalspracheRegionalsprache, regionale UmgangsspracheUmgangssprache) gut halten können. Dies sieht auch der langjährige Direktor des Bayerischen Wörterbuchs für Bayern, Anthony RowleyRowley, Anthony, so:
„Ich persönlich bin nicht überzeugt, dass sich gegenwärtig bayernweit ein dramatischer Rückgang des Dialektsprechens vollzieht. Ich glaube aber, außerhalb der städtischen Ballungsräume einen gewissen Umbau erkennen zu können, eine kontinuierliche Anpassung an überregionale PrestigevariantePrestigevarianten, aber eher an eigene, innerbayerische Prestigevarianten.“1
In ländlichen Regionen entstehen zwar überörtliche UmgangsspracheUmgangssprachen, aber die können so dialektnah sein, dass sie selbst als Dialekt empfunden werden – und auch die Ortsmundarten sind daneben teilweise recht gut erhalten. Zusätzlich braucht und gebraucht man allerdings die Schriftsprache wie nie zuvor. Vor hundert Jahren hatte man in Süddeutschland außerhalb von Kirche und Schule kaum Gelegenheit, gesprochenes Schriftdeutsch zu hören, geschweige denn selbst zu sprechen. Heute ist die Standardsprache allgegenwärtig.
3.5 Regionale Varianten in der mündlichen Standardsprache
Im Jahr 1989 veröffentlichte Werner KönigKönig, Werner seinen „Atlas zur Aussprache des Schriftdeutschen in der Bundesrepublik Deutschland“.1 Darin erbrachte er nach einer Untersuchung mit Studierenden aus den verschiedensten Regionen, die in einer offiziellen Situation verschiedene Texte sprechen sollten, als Erster den Nachweis, dass das angeblich allgemein gültige Hochdeutsch eine Fiktion und auch in öffentlichen Situationen eine geografisch bedingte Variation vorhanden ist. Zu den von ihm beobachteten regionalen Varianten gehören zum Beispiel:
(a) die stimmhafte Aussprache des -s- in Base: Hier liegt der bekannte Fall vor, dass die normgerechte stimmhafte Aussprache nur im Norden und in der Mitte vorkommt.
(b) die Aussprache des Ch- in Fremdwörtern wie China, Chemie: Diese Wörter haben im Norden den normgerechten Ch-Laut (auszusprechen wie im Wort ich), während sie im Süden mit einem k-Laut gesprochen werden.
(c) die Aussprache von anlautendem Pf- in Pferd: Personen aus dem Nordosten sprachen das Wort mit dem nicht normgerechten F- im Anlaut: Ferd.
(d) die Aussprache von -ig in der Nebensilbe in Wörtern wie Pfennig: KönigsKönig, Werner Untersuchung zeigte sehr deutlich, dass der Süden und die westliche Mitte das -ig mit einem Explosivlaut sprechen, während der Norden den normgerechten ich-Laut hat.
(e) die Aussprache des -g in der Endsilbe -ung in Täuschung: Personen aus dem Norden sprachen die Endung mit einem nicht normgerechten -g bzw. sogar als -k aus, besonders im Osten (bis in die Mitte hinein), also Täuschunk, ebenso Hoffnunk.
Nach seiner Untersuchung schlägt KönigKönig, Werner folgende Regelung vor: Erlaubt soll alles sein, was in einer größeren Region den Aussprachegewohnheiten der Gebildeten in formal hochstehenden Situationen entspricht oder was in der gleichen Sprechweise in hinreichender Häufigkeit ohne spezifische regionale Verteilung vorkommt.2
Nina BerendBerend, Nina hat KönigsKönig, Werner Ansatz ausgebaut:3 Auch für sie gibt es im Deutschen regionale Gebrauchsstandards, d.h. geografisch definierte Varietäten und SprachgebrauchsmusterSprachgebrauch. Sie haben im jeweiligen regionalen Kontext hohes Prestige und sind sowohl im informellen wie auch im formellen Gebrauch angemessen. Sie weisen auf allen Ebenen Unterschiede sowohl zur Standardsprache als auch zu den Dialekten auf. Für Berend ist Deutsch daher eine pluriareale Sprache. Sie plädiert „für einen erweiterten Standardbegriff, der es erlaubt, auch verbreiteten bzw. gängigen sogenannten umgangssprachlichen Phänomenen eine normative Geltung, d. h. eine Standardqualität zuzuschreiben.“4
BerendBerend, Nina spricht sich auch für eine Unterscheidung zwischen formellen und informellen Standards aus. Im Weiteren unterscheidet sie zwischen sprechsprachlichen und regionaltypischen Merkmalen.
(1) Sprechsprachliche Merkmale
Bsp.: ne für eine, jetz für jetzt, ma für man, scho für schon, erinner für erinnere usw.
(2) Regionaltypische Merkmale
Bsp.: Fandflasche für Pfandflasche, mansche für manche, Marburch für Marburg, liecht für liegt, zumindescht für zumindest.
Auf verschiedenen Karten zeigt BerendBerend, Nina die Regionen für die jeweiligen Merkmale auf.
So hat Bayern z.B. nicht das norddeutsche nich übernommen, sondern bleibt bei der eigenen regionaltypischen Variante net. BerendBerend, Nina fordert gerade für den Deutschunterricht im Ausland eine Beschreibung des sprechsprachlichen schriftfernen Standards. Dieser Standard ist regional geprägt, was allerdings nicht gleichzusetzen ist mit Dialekt. Berend nimmt folgende Raumaufteilung an:
a) einen großen norddeutschen Raum, der relativ einheitlich ist und dem Schriftdeutschen allgemein recht nahesteht.
b) einen süddeutschen Raum, der nicht einheitlich ist, sondern aufgeteilt ist in
den Südosten (Bayern) mit starkem Sprachkonservatismus.
den Südwesten (Baden-Württemberg). Die Besonderheit dieses Raumes liegt ihrer Ansicht nach in der spezifischen Mischung von Neuem, von außen (dem Norden) übernommenen Besonderheiten, und Altem, also bewahrten Besonderheiten. Insgesamt erscheint der Südwesten daher variantenreicher als der Südosten.
einen mitteldeutschenMitteldeutsch Raum, der besonders schwierig zu beschreiben ist, da von Fall zu Fall einmal die nördliche, einmal die südliche Variante zum Zug kommt. Große Teile des traditionell Mitteldeutschen gehören zum Norden (Mainz, Koblenz, Köln). Nach Süden reicht dieser Interferenzraum bis ins OberdeutscheOberdeutsch hinein (Buchen, Würzburg, Nürnberg, Bayreuth).
Lange vor BerendBerend, Nina und KönigKönig, Werner hatte sich bereits Jürgen EichhoffEichhoff, Jürgen mit den regionalen UmgangsspracheUmgangssprachen beschäftigt, die, wie wir im vorangegangenen Kapitel gezeigt haben, zwischen den Dialekten und der Standardsprache stehen und damit zwischen beiden Registern eine Art „Zwischenstadium“ bilden.5 Eichhoff war aufgefallen, dass seine amerikanischen Studierenden bei einem Aufenthalt im deutschsprachigen Raum mit Wörtern konfrontiert werden, die sie nicht im Unterricht gelernt haben. Ab 1971 begann er in 402 Städten Gewährspersonen danach zu befragen, wie man in ihrer Stadt zu diesem oder jenem sagt. Zwischen 1977 und 2000 erschienen so vier Bände des „Wortatlas der deutschen UmgangssprachenUmgangssprache“ (WdU). Im Vergleich zu den Karten der Dialektatlanten zeigen die Karten des WdU großräumigere Flächen, d.h., dass kleinräumige Bezeichnungen der Mundartebene zugunsten von Bezeichnungen mit größerer Verbreitung aufgegeben werden. Dieses Auswahlkriterium hatten wir bereits bei der Entstehung der deutschen Schriftsprache kennengelernt. Insgesamt zeigen die Eichhoffschen Karten eine deutliche Nord-Süd-Gliederung,