Die Haut am Markt. Will Berthold

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Die Haut am Markt - Will Berthold

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      »Keiner darf dir etwas tun, ich bin immer bei dir, auch – wenn dich der Arzt behandelt.«

      Sybille blieb immer noch ruhig.

      »Willst du?« fragte ich.

      »Ja«, wiederholte sie. Sie fuhr mir mit der Hand durch die Haare. »Wenn ich wieder einmal Dummheiten machen sollte«, setzte sie dann hinzu, »nimmst du mich fest in den Arm.«

      »Ja, immer«, entgegnete ich erleichtert.

      Dann besprach Sybille Einzelheiten des Haushalts mit mir, kleine Dinge des Alltags. Ich legte den Arm um ihre Schultern, zog sie an mich; die glückliche Stimmung deutete ich als ein gutes Vorzeichen meines Experiments. Ich ließ sie los, als ob ich mich plötzlich an etwas erinnerte. Ich machte es schlecht, aber es fiel ihr nicht auf. »Du weißt doch« sagte ich, »Gerd fliegt für ein Jahr nach Amerika, zu einem Studienaufenthalt.« Ich betrachtete Sybille von der Seite, ihr Gesicht wirkte noch immer weich, gelöst.

      »Stimmt, ja«, antwortete sie. »Wann fährt er denn?«

      »In ein paar Tagen.«

      Sybille kannte Rechtsanwalt Dr. Gerd Frey gut, er war der Freund, auf den ich mich verlassen konnte. Wir waren nebeneinander aufgewachsen, schon unsere Mütter hatten uns im Kinderwagen zusammen ausgefahren. Wir verprügelten die gleichen Nachbarskinder, küßten dieselben Mädchen und überlebten den nämlichen Krieg.

      »Verabschiedet sich Gerd denn nicht von uns?«

      »Doch. Heute abend«, entgegnete ich.

      Sybille lächelte und nickte dabei.

      »Du brauchst nicht zu erschrecken, er kommt erst nach Tisch. Aber«, ich fing ihren Blick auf und glaubte, daß ich weitergehen konnte, »eine dumme Sache, Sybille. Er hat einen Bekannten zu Besuch und wird ihn nicht los; er bat – daß er ihn mitbringen dürfe.«

      »Warum nicht?«

      »Gut«, entgegnete ich und verbarg meine Erleichterung. Gäste waren bei uns selten geworden; das Verhängnis, mit dem wir lebten, duldete keine Geselligkeit.

      Gerds Begleiter war Professor Lex, eine Kapazität als Psychiater. Der Freund hatte mir geraten, ihn getarnt als Privatgast mit einer unbefangenen Sybille zusammenzubringen.

      Sie zog sich um. Der Eifer spiegelte sich als leichte Röte in ihrem Gesicht. Sie sah gesünder und besser aus als sonst. Sie war auch noch in einer guten Verfassung, als unsere Gäste kamen.

      Wir führten zu viert ein normales Gespräch. Gerd erzählte von seinen Amerika-Plänen; er hatte seinen Begleiter als Geschäftsfreund vorgestellt.

      Professor Lex war groß, hager, mit auffällig gesunder Gesichtsfarbe und weißen, ganz kurz geschnittenen Haaren. Seine Diktion war knapp, sicher; seine Augen wirkten klug und kalt. Es war der Blick eines Mannes, der sein Leben lang mit Patienten zu tun hatte und deshalb alle Menschen musterte, als ob er nach ihrer Krankheit forschte.

      Sybille legte eine Platte auf. Gerd und ich gingen in den Garten, um sie mit dem Professor allein zu lassen. Ich war unruhig. Gerd lenkte mich ab, so gut er konnte.

      »Scheußlich«, sagte er, »aber es ist der einzige Weg, das weißt du so gut wie ich. Wir hätten schon längst …«

      »Ja«, versetzte ich, »aber trotzdem. Gerade heute – sie ist so zutraulich, so arglos.«

      Wir gingen in das Haus zurück. Zwischen Sybille und Professor Lex lief eine übliche Konversation. Er hatte offensichtlich seine Rolle gut gespielt. Wir saßen noch weiter zusammen, tranken Sekt, und da ganz plötzlich, ohne Anlaß oder Übergang geschah es.

      Sybille verlor ihr Wort mitten im Satz, stand gehetzt auf und starrte mit wilden Augen um sich. Sie war gedrückt, verkrampft, ihr Teint wirkte fahl, sie atmete schwer.

      »Sybille«, bat ich.

      Sie fuhr heftig herum; ich erschrak vor ihrem Gesicht. Sie kam mir entgegen; sie streckte das Sektglas wie eine Waffe von sich.

      »Du«, fauchte sie mich an, »du bist ein Schuft! Nicht nur ein Lügner, auch ein Betrüger!« Sie warf das Glas auf den Boden, faßte mit den Händen an ihre Schläfen. »Das hast du aus mir gemacht. Sieh dir’s doch an! Dein Werk! Du und Miggi habt aus mir eine Furie …!« Ihre Stimme zischte wie ein Schaumlöscher, als sie zu Professor Lex herumfuhr: »Sie sind Arzt! Meinen Sie, ich merke das nicht? Ich bin meinem Mann im Wege. Deshalb soll ich eingesperrt werden. Und Sie, Sie –«, ihre Lippen gluckerten wie ein Sumpfloch, »Sie übernehmen die kleine Gefälligkeit – und dann werden er und Miggi, die zwei, die mich am meisten hassen …«

      Der Professor beugte sich leicht vor, in der Pose des Filmregisseurs, der sich die Muster des Vortages besieht.

      »Sybille«, versuchte ich sie zu beruhigen. Ich suchte ihre Hand.

      Sie stieß sie zurück. Sie spuckte die Worte aus wie bittere Tabletten.

      »Ihr könnt mich in den Tod hetzen – aber nicht für verrückt erklären!« Sie riß sich los und stürzte hinaus. Ihre Stimme gellte durch das Haus. Die kurze Besserung war vorbei – das tägliche Martyrium setzte wieder ein.

      Der Arzt nickte bedächtig, als hätte er es nicht anders erwartet. Gerd wollte mitkommen, um mir zu helfen, aber ich hielt ihn zurück.

      Sybille hatte sich in ihr Schlafzimmer eingeschlossen, zunächst taub für Bitten wie Drohungen. Schließlich öffnete sie die Tür. Sie lag angezogen auf ihrem Bett, hatte die Hände hinter dem Kopf gekreuzt; sie starrte unverwandt zur Decke.

      Ich setzte mich neben sie, versuchte, sie zu beruhigen. Sie hatte zum ersten Male den Verdacht ausgesprochen, daß ich sie in einem Nervensanatorium internieren wollte. Jetzt erst verstand ich, warum sie sich unbewußt gegen die ärztliche Behandlung gesträubt hatte: weil sie sich davor fürchtete.

      Ich wollte es ihr ausreden, aber ich sprach gegen eine Wand, die nur das Echo meiner eigenen Worte zurückwarf. Sie mußte mir zuhören, aber sie begriff offensichtlich nichts: ihre Miene veränderte sich nicht. Aber schließlich stand sie auf, ohne mich zu beachten, nahm zwei Schlaftabletten und legte sich wieder hin. Ich löschte das Licht und wartete, bis sie eingeschlafen war.

      Dann ging ich leise nach unten. Nur Gerd war noch da; er sah mir entgegen; hatte zuviel getrunken und wollte es verbergen.

      »Der Professor erwartet dich morgen nachmittag«, sagte er dumpf.

      »Hat er Sybille erschreckt, oder …?«

      »Nein, bestimmt nicht. Sie unterhielten sich über Blumen im Garten. Professor Lex ist nicht nur eine wissenschaftliche Kapazität, sondern auch ein enormer Praktiker.«

      Dann schwiegen wir beide. Keiner von uns hatte auf die vielen Fragen eine Antwort. Die Stille im Raum war ungut unwirklich.

      Mitunter sind Gedanken lauter als Worte.

      II

      Ich hätte nicht erwartet, daß Professor Lex am nächsten Tag die gefürchtete Konsultation als gemütliche Plauderstunde eröffnen würde. Seine exklusive Praxis war im elften Stock eines Glas- und Betonpalastes, der sein Haupt wie ein Wahrzeichen zeitgemäßen

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