Professor Unrat oder das Ende eines Tyrannen. Heinrich Mann

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Professor Unrat oder das Ende eines Tyrannen - Heinrich Mann

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Lampe ein Mann zu sitzen; Unrat konnte in seiner Aufregung schlecht erkennen. An diesem Ort war er seit gewiß zwanzig Jahren nicht mehr gewesen; und er litt unter der Besorgnis des Herrschers, der sein Gebiet verlassen hat: man möchte ihn verkennen, ihm aus Unwissenheit zu nahe treten, ihn nötigen, sich als Mensch zu fühlen.

      Er stand schon eine Weile vor dem Fensterchen und räusperte sich leise. Als nichts erfolgte, pochte er an, mit der Spitze seines gekrümmten Zeigefingers. Der Kopf dahinter schrak in die Höhe und streckte sich sogleich aus dem zurückgeschobenen Schalter.

      »Sie wünschen?« fragte er heiser.

      Unrat bewegte zuerst nur die Lippen. Sie sahen einander an, er und der abgedankte Schauspieler mit den tiefen, blauschwarzen Zügen, der flachen Nasenspitze und dem Klemmer darauf. Unrat brachte hervor:

      »So? Sie geben denn also den Wilhelm Tell. Das ist recht von Ihnen.«

      Der Kassierer sagte:

      »Wenn Sie meinen, wir tun's zu unserm Privatvergnügen.«

      »Das habe ich Ihnen nicht unterstellen wollen«, versicherte Unrat, voll Angst vor Verwickelungen.

      »Man verkauft ja nischt. Bloß, daß die klassischen Vorstellungen in dem Pachtvertrag drinstehn, den wir mit der Stadt haben.«

      Unrat fand es geboten, sich bekannt zu geben.

      »Ich bin nämlich der Professor Un– der Professor Raat, Ordinarius der Untersekunda am hiesigen Gymnasium.«

      »Sehr angenehm. Mein Name ist Blumenberg.«

      »Und ich würde recht gern mit meiner Klasse die Aufführung eines klassischen Dichterwerkes besuchen.«

      »Ach, das ist aber ganz reizend von Ihnen, Herr Professor. Mit der Nachricht werd' ich bei unserm Direktor den größten Erfolg haben, da zweifle ich keinen Augenblick.«

      »Aber«, und Unrat erhob den Finger, »es müßte – wahrlich doch – dasjenige von den Dramen unseres Schiller sein, das wir in der Klasse lesen, nämlich – immer mal wieder – die Jungfrau von Orleans.«

      Der Schauspieler ließ die Lippen fallen, senkte den Kopf und sah von unten, mit Trauer und Vorwurf, zu Unrat auf.

      »Das tut mir aber fabelhaft leid. Weil wir die erst wieder einstudieren müßten, wissen Sie. Ist Ihnen wirklich mit 'm Tell nicht gedient? Der ist doch auch ganz hübsch für die Jugend.«

      »Nein,« entschied Unrat, »das geht auf keinen Fall. Wir brauchen die Jungfrau. Und zwar käme es – aufgemerkt nun also! –«

      Unrat schöpfte Atem, sein Herz klopfte.

      »– ganz besonders auf die Darstellerin der Johanna an. Denn diese soll eine hehre Künstlerin sein, die den Schülern die erhabene Gestalt der Jungfrau – immer mal wieder – recht nahe bringt.«

      »Allerdings, allerdings«, sagte der Schauspieler, mit tiefem Einverständnis.

      »Da habe ich denn nun an eine Ihrer Damen gedacht, die ich, und hoffentlich nicht mit Unrecht, auf das höchste habe preisen hören.«

      »Ach nee.«

      »Nämlich an das Fräulein Rosa Fröhlich.«

      »Wie, bitte?«

      »Rosa Fröhlich«, und Unrat hielt die Luft an.

      »Fröhlich? Haben wir ja gar nicht.«

      »Wissen Sie das auch ganz genau?« fragte Unrat, kopflos.

      »Erlauben Sie, ich bin ja nicht meschugge.«

      Unrat wagte den Mann nicht mehr anzusehn.

      »Dann kann ich mir das aber gar nicht –«

      Jener kam ihm zu Hilfe:

      »Da muß wohl sicher 'ne Verwechslung vorliegen.«

      »Ach ja«, sagte Unrat, kindlich dankbar.

      »Entschuldigen Sie nur.«

      Und er dienerte, während er sich zurückzog.

      Der Kassierer war verblüfft. Schließlich rief er hinterher:

      »Aber Herr Professohr, über den Fall läßt sich ja trotzdem reden. Wieviel Billette würden Sie denn nehmen? Herr Pro –«

      Unrat drehte sich unter der Tür noch einmal um, sein Lächeln war verzerrt vor Angst vor dem Verfolger.

      »Entschuldigen Sie doch nur.«

      Und er war geflüchtet.

      Ohne es zu merken, kam er die Straße hinunter und an den Hafen. Um ihn her waren stampfende Tritte von Männern, die Säcke trugen, und breite Rufe von andern, die sie zu Giebelluken hinaufwanden. Es roch nach Fischen, Teer, Öl, Spiritus. Die Masten und Schlote dahinten im Fluß verwickelten sich schon in Dämmerung. Inmitten der Betriebsamkeit, die vor Dunkelwerden noch aufflackerte, ging Unrat dahin mit seinem bohrenden Gedanken: Lohmann »fassen«, den Aufenthalt der Künstlerin Fröhlich nachweisen.

      Er ward angestoßen von Herren in englischen Anzügen, die mit Frachtbriefen umherliefen, und von Arbeitern, die ihm »Achtung!« zubrüllten. Die allgemeine Hast ergriff ihn; er drückte, ehe er's sich versah, den Griff einer Tür, über der »Heuerbas« und irgendeine schwedische oder dänische Inschrift stand. Im Laden lagen gerollte Taue, Schiffszwieback, kleine, scharf riechende Fässer. Ein Papagei schrie: »Duhn supen!« Mehrere Matrosen tranken, andere redeten, die Hände in den Hosen, auf einen riesigen, rotbärtigen Mann ein. Der machte sich, es dauerte eine Weile, aus den Tabakswolken des Hintergrundes los, stellte sich hinter den Ladentisch, so daß der blecherne Reflektor der Wandlaterne seinen Kahlkopf heftig beleuchtete, stemmte die Tatzen auf die Kante und sagte plump:

      »Wollen Sie was von mich, Herr?«

      »Geben Sie mir,« verlangte Unrat leichthin, »eine Eintrittskarte für das Sommertheater.«

      »Wat sagen Sie?« fragte der Mann.

      »Nun ja, für das Sommertheater. Da Sie denn nun einmal in Ihrem Schaufenster anzeigen, daß Sie Billette zum Sommertheater verkaufen.«

      »Wat soll ich doorvon denken, Herr,« und der Mann behielt den Mund offen. »Das Sommertheater speelt doch nich in 'n Winter.«

      Unrat versteifte sich auf sein Recht.

      »Aber Sie haben es im Fenster, Mann.«

      »Door kann 't jä ook bliewen!«

      Das war herausgeplatzt; aber der Heuerbas nahm seine Achtung vor dem bebrillten Herrn gleich wieder zusammen. Er suchte nach Gründen, die den Fremden überzeugen konnten, das Sommertheater sei jetzt geschlossen. Um seiner behutsamen Gedankenarbeit körperlich nachzuhelfen, gab er mit seiner fürchterlichen, rotbehaarten Hand der Tischplatte von der Seite ganz vorsichtige Streiche. Schließlich hatte er gefunden:

      »Das weiß jä woll de dümmste Schooljong,« sagte er gutmütig, »daß in 'n Winter kein Sommertheater is.«

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