Professor Unrat oder das Ende eines Tyrannen. Heinrich Mann

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Professor Unrat oder das Ende eines Tyrannen - Heinrich Mann

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ging voran in einen Raum, wo es kalt war, und zündete Unrat zu Ehren die beiden unversehrten rosa Kerzen an, die sich über ihren krausen Manschetten und flankiert von zwei großen Muscheln, im Trumeau spiegelten. An den kraßblauen Wänden verweilten in sonntäglicher Haltung Großvatermöbel aus Mahagoni. Auf der gehäkelten Decke des Sophatisches breitete ein segnender Christus seine Biskuitarme aus.

      Unrat wartete, bis Frau Rindfleisch hinaus war. Als er den Schuhmacher hinter geschlossener Tür und recht in seiner Gewalt hatte, setzte er ein.

      »Vorwärts denn also, Meister, jetzt heißt es zeigen, daß Sie, der Sie einige kleinere Arbeiten zur Zufriedenheit des Leh– zu meiner Zufriedenheit bewerkstelligten, auch ein recht braves Paar Stiefel schaffen können.«

      »O ja, Herr Professer, o o oh ja,« erwiderte Rindfleisch demütig und beflissen wie ein Primus.

      »Mag ich immerhin schon im Besitz zweier Paare sein, so kann bei der jetzt vorwaltenden Nässe doch niemand sich genug tun an guter, warmer Fußbekleidung.«

      Rindfleisch kniete und maß. Er hatte den Bleistift zwischen den Zähnen und grunzte nur.

      »Andererseits ist dies die Jahreszeit, die gewöhnlich etwas Neues in die Stadt bringt, ein wenig – sicherlich doch – geistige Erholung. Die ist es denn wohl auch, die dem Menschen nottut.«

      Rindfleisch sah auf.

      »Sagen Sie das man noch mal, Herr Professer. Ja ja jah, die tuhet dem Menschen not. Und das weiß unsere Brüdergemeihende auch.«

      »So so,« machte Unrat. »Aber ich denke an den Besuch ausgezeichneter, unter den Menschen hervorragender Persönlichkeiten.«

      »Da denk' ich auch an, Herr Professer, und da denkt auch die Gemeihende an und versammelet uns Brüder am morgigen Abende zum Gebet mit einem berühmten Missionar. Ja o jah.«

      Unrat fand es schwierig, zur Künstlerin Fröhlich zu gelangen. Er suchte eine Weile, und als er keinen Umweg mehr fand, ging er gradaus.

      »Auch in der Gesellschaft für Gemeinsinn zeigt sich uns nächstens – immer mal wieder – eine Berühmtheit. Eine Künstlerin – Sie werden ja, so gut wie jedermann, von ihr gehört haben, Meister.«

      Rindfleisch schwieg, und Unrat wartete mit Leidenschaft. Er war überzeugt, was er brauchte, steckte in dem Menschen zu seinen Füßen, und es liege nur an ihm, es herauszuziehen. Die Künstlerin Fröhlich hatte in der Zeitung gestanden, war im Lehrerzimmer besprochen worden, hing im Fenster bei Kellner. Die ganze Stadt wußte Bescheid über sie, außer Unrat. Jeder andere hatte mehr Weltläufigkeit und Personenkenntnis als Unrat: er lebte, ohne daß er's selber wußte, tief in dieser Vorstellung; und er wandte sich mit vollem Vertrauen an einen Herrnhutischen Schuster um Auskunft über eine Tänzerin.

      »Sie tanzt, Meister. In der Gesellschaft für Gemeinsinn tanzt sie. Ei, da werden nun die Leute hinlaufen.«

      Rindfleisch nickte.

      »Die Leute machen es sich woll nich klar, Herr Professer, wo sie hinlaufen,« sagte er gedämpft und bedeutungsvoll.

      »Sie tanzt ja barfuß, das ist doch eine seltsame Fertigkeit, Meister.«

      Unrat wußte nicht, wie er den Mann noch anfeuern solle.

      »Denken Sie nur: barfuß!«

      »Barfuß,« wiederholte der Schuster. »O o oh! Also tanzeten auch die Weiber der Amalekiter, die vor dem Götzen tanzeten.«

      Und er stieß ein leeres Gelächter aus, nur aus Demut, weil er, der ungelehrte Mann, sich mit Worten der Schrift zu schmücken wagte.

      Unrat rückte gepeinigt hin und her, wie bei der Übersetzung eines Schülers, der stockte und gleich festzusitzen drohte. Er hieb mit den Knöcheln auf die Stuhllehne und sprang auf.

      »So lassen Sie's nun gut sein mit dem Maßnehmen, Meister, und sagen Sie mir – vorwärts denn also! – ob die Barfußtänzerin Fröhlich schon eingetroffen ist! Das sollten Sie wohl wissen!«

      »Ich, Herr Professer?« Und Rindfleisch stand bestürzt, »ich – eine Tänzerin?«

      »Dadurch werden Sie auch nicht schlechter,« behauptete Unrat ungeduldig.

      »O o oh, ferne von mir sei der geistige Hochmut und die Selbstgerechtigkeit. Und Liebe im Herrn, Herr Professer, will ich denn auch haben für meine barfüßige Schwester, o jah, und will bitten, daß der Herr an ihr tuhe, was er an der Sünderin Magdalena getan hat.«

      »Sünderin?« fragte Unrat überlegen. »Warum halten Sie denn die Künstlerin Fröhlich für eine Sünderin?«

      Der Schuhmacher blickte keusch auf den geölten Fußboden.

      »Ei ja,« versetzte Unrat, immer unzufriedener mit dem Meister, »wenn Ihre Frau oder Ihre Tochter einen Lebenswandel beginnen wollten wie eine Künstlerin, das stände ihnen – freilich denn wohl – nicht an. Hingegen gibt es Lebenskreise und Sittengesetze: – doch mag's denn genug sein.«

      Und er machte eine Handbewegung, die sagte, daß hier ein Gegenstand in Tertia berührt ward, der höchstens nach Prima gehörte.

      »Auch mein Weib ist eine Sünderin,« sagte der Schuster leise, schob die Finger über dem Magen durcheinander und sah auf, mit einem Bekennerblick.

      »Und ich selbsten muß sprechen: Herr Herre. Denn Fleischessünder sind wir allzumal.«

      Nun erstaunte Unrat.

      »Sie und Ihre Frau? Sie sind doch rechtmäßig verheiratet?«

      »O o oh jah, das sind wir woll. Aber Fleischessünde, Herr Professer, bleibt es immerdar, und Gott erlaubt es auch nuhr –«

      Der Herrnhuter richtete sich auf zu etwas Wichtigem. Seine Augen wurden rund und ganz bleich von Geheimnis.

      »Nun?« fragte Unrat nachsichtig.

      Und jener, flüsternd:

      »Das wissen die andern Menschen man nich, daß Gott es nuhr darum erlaubt, auf daß er in seinen Himmel oben mehr Engel kriegt.«

      »So so,« machte Unrat, »das ist ja denn freilich recht hübsch.«

      Und er lugte mit einem hinterhältigen Lächeln zu dem verklärten Gesicht des Schuhmachers hinauf.

      Aber er unterdrückte bald seinen Spott und wandte sich zum Gehen. Er fing an zu glauben, Rindfleisch wisse wirklich nichts über die Künstlerin Fröhlich. Der Schuhmacher besann sich auf diese Welt und fragte, wie hoch denn die Schäfte sein sollten. Unrat antwortete nachlässig, behandelte auch den Abschied von der Familie Rindfleisch nur mit flüchtiger Leutseligkeit. Dann trat er rasch den Heimweg an.

      Er verachtete Rindfleisch. Er verachtete die blaue Stube, die Enge dieser Geister, die demütigen Seelen, die pietistischen Überspanntheiten und die sittliche Verstocktheit. Auch bei Unrat zu Hause sah es eher dürftig aus; dafür aber hatte er in seinem Kopf die Möglichkeit, sich mit mehreren alten Geistesfürsten, wenn sie zurückgekehrt wären, in ihrer Sprache über die Grammatik in ihren Werken zu unterhalten. Er war arm, unerkannt; man wußte nicht, welche wichtige Arbeit er seit zwanzig Jahren förderte. Er ging unansehnlich,

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