Ewige Stille. Astrid Keim
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Ein erstaunter Blick trifft sie. »Nein, wieso? Abends ist Mami immer daheim. Es dauert nicht mehr lange, bis sie kommt.«
Das wird ja immer komplizierter! Iris beschließt, die Angelegenheit zunächst auf sich beruhen zu lassen und zum Ausgangspunkt zurückzukommen. »Du hast also nichts Besonderes bemerkt heute früh zum Beispiel?«
»Nein.«
»Und gestern?«
»Gestern auch nicht.« Sie zögert einen Moment. »Aber in der Nacht fuhr ein Auto rein. Das passiert nicht so oft.«
Iris ist ganz Ohr. »Um wie viel Uhr war das?«
»Ziemlich spät. Ich bin dauernd wach geworden, weil Sam noch nicht da war. Ich hatte Angst, dass ihm etwas passiert ist, aber dann habe ich ihn gehört.«
»Und du bist aufgestanden, um das Fenster zu öffnen?«
»Ja, und da fuhr das Auto in den Hof.«
»Hast du das Kennzeichen gesehen?«
»Nein, es war zu dunkel und ich habe auch nicht darauf geachtet.«
»Und was geschah dann?«
Aisha hebt bedauernd die Achseln. »Weiß ich nicht. Ich war so froh wegen Sam. Ich habe ihn nur reingelassen und bin dann wieder ins Bett.«
»Weißt du, was das für ein Auto war?«
»Nicht genau, aber es war ein SUV, dunkel, ziemlich groß. Er passte gerade so durch die Einfahrt.«
»Bist du mit dem SUV sicher? Kennst du solche Fahrzeuge?«
»Klar, mit denen holen doch die meisten Mütter ihre Kinder von der Schule ab. Aber bei der Marke bin ich mir nicht ganz sicher, vielleicht ein Honda.«
Na bitte, freut sich Iris, das ist doch schon mal ein Anfang. Eine Spur haben wir jetzt. In der Nacht könnte die Leiche durchaus abgelegt worden sein.
»Du hast mir wirklich sehr geholfen«, bedankt sie sich bei Aisha und legt ihre Visitenkarte auf die Fensterbank. »Falls dir noch etwas einfallen sollte. Du kannst mich immer über diese Telefonnummer erreichen. Und grüß deine Mami von mir. Auch sie kann mich jederzeit anrufen.«
»Ich sag’s ihr. Und auch, dass Sie nett sind. Und hübsch. So blaue Augen hätte ich auch gern«, fügt sie bedauernd hinzu, »dann sähe ich aus wie die anderen.«
Ermutigt von ihrem Erfolg beschließt Iris, die Befragungen fortzusetzen. Jedes Stockwerk hat drei Wohnungen. In den beiden anderen Erdgeschosswohnungen meldet sich niemand, aber ihr Klingeln im ersten Stock hat Erfolg. Laut Türschild wohnt hier »Charlotte de Montfort (Inge Stark)«. Stark ist auch der erste Eindruck. Und ziemlich bunt. Die orangefarbenen Haare der fülligen Dame quellen in üppigen Locken aus einem kunstvoll drapierten, türkisblauen Turban hervor. Eine Art Kaftan, grün mit goldenen Bordüren, reicht fast bis zu den Füßen, die Mitte umschlingt eine violette Schärpe mit gelben Fransen. Der ziemlich enge Flur ist in sanftem Gelb gehalten, aus der halboffenen Tür an seinem Ende dringen schwebende Sitartöne und ein Duft von Sandelholz.
»Ich dachte schon, Sie kämen gar nicht mehr«, wird Iris in einem tiefen, weichen, wohlklingenden Alt gegrüßt, das so gar nicht zu der grellen Erscheinung passen will. »Sie hätten anrufen sollen, dass Sie sich verspäten, denn es ist schwierig, die Konzentration der vorbereitenden Meditation aufrechtzuerhalten. Aber gut, jetzt sind Sie ja da, wir wollen nicht noch mehr Zeit verlieren.«
Hier läuft etwas schief. Anscheinend liegt eine Verwechselung vor. Iris zieht ihren Ausweis. »Ich fürchte, dass ich nicht der erwartete Gast bin. Mein Anliegen ist dienstlich. Wir müssen alle Anwohner befragen, ob ihnen etwas aufgefallen ist.«
»Aufgefallen? Was sollte mir denn aufgefallen sein?«
Iris mustert ihr Gegenüber erstaunt. »Es geht um die Leiche im Container. Wir wollen erfahren, ob jemand eine Beobachtung gemacht hat.«
»Welche Leiche in welchem Container?«
»Wollen Sie sagen, dass Sie von dem ganzen Trubel nichts mitbekommen haben? Im Altpapiercontainer des Hinterhofs wurde ein Toter gefunden.«
Ein entschiedenes Kopfschütten ist die Antwort. »Meine Fenster gehen nach vorn. Und wissen Sie was: Irgendwo ist hier immer Trubel. Wenn ich mich jedes Mal darum kümmern würde, hätte ich viel zu tun.«
»Vielleicht Ihre Mitbewohnerin? Mit wem habe ich eigentlich das Vergnügen, Charlotte de Montfort oder Inge Stark?«
Ein tiefes, glucksendes Lachen. »Mit beiden. Wir sind nämlich ein und dieselbe Person. Die Montfort war ich früher, jetzt bin ich eben die Stark und im nächsten Leben wer weiß wer.«
Oh je, das kann schwierig werden. Zumindest sind Zweifel angebracht, ob der Dame nicht eine Tasse im Schrank fehlt. Iris denkt einen Moment daran, das Gespräch zu beenden, wird aber von Frau Stark mit dem Hinweis überrascht, dass sie ihr vielleicht trotzdem helfen könne. Für ihren Gast sei es jetzt ohnehin zu spät, selbst wenn er noch käme, würde sie ihn nicht mehr empfangen. Sie habe also etwas Zeit für eine Tasse Tee und eine kleine Unterhaltung.
Warum nicht? Neugierig ist Iris schon und man weiß ja nie, ob sich nicht doch noch ein Steinchen für das Mosaik findet. Also akzeptiert sie dankend und folgt Frau Stark. Der dezente, warme Farbton des Flurs findet sich auch im Wohnzimmer, allerdings weder die Quelle der Musik noch des Duftes. Auch die gesamte Erscheinung von Frau Stark wirkt in dieser Umgebung mit dem modernen Mobiliar merkwürdig deplatziert. Diese hat offenbar die Überraschung ihres Gastes gespürt und deutet auf ein Sofa. »Setzen Sie sich doch bitte. Sie überlegen gerade, wie das alles zusammenpasst. Habe ich recht?«
»Stimmt. Sieht man es mir an?«
»Überhaupt nicht. Ein Pokergesicht ist nichts gegen das Ihrige. Das bringt der Beruf wohl mit sich. Nein, ich kann Gedanken lesen.«
Iris zieht die Brauen hoch. »Tatsächlich?«
Wieder dieses glucksende Lachen. »Tatsächlich. Nicht immer, aber ziemlich oft, wenn ich mich entsprechend konzentriere. Bei Ihnen ist es allerdings nicht schwer, da brauche ich nur eins und eins zusammenzählen. Zwischen meinem Aussehen und der Umgebung besteht eine Diskrepanz. Und das gibt Ihnen zu denken.«
»Stimmt. Würden Sie mir den Grund dafür verraten?«
»Ganz einfach. Ich habe jemanden erwartet, der erwartet, dass ich so aussehe, wie ich jetzt aussehe. Wissen Sie, manche Menschen verbinden ein bestimmtes Erscheinungsbild mit einer Wahrsagerin.«
Sie blickt zu Iris, die jedoch keine Miene verzieht. »Ich sage Wahrsagerin, weil diese Menschen mich so bezeichnen und für sie bin ich in dieser Aufmachung einfach glaubwürdiger. Meine Klientin, die hätte kommen sollen, gehört dazu und wäre auch in ein Zimmer geführt worden, das ihren Vorstellungen entspricht.«
Eine gewiefte Scharlatanin, denkt Iris, eine, die ihr Handwerk versteht, die genau weiß, wie sie vorgehen muss, um den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen.
»Sie halten mich für eine Betrügerin, ich spüre es deutlich, aber ich sage Ihnen,