Ewige Stille. Astrid Keim
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Du lieber Himmel! Auf was hatte sie sich da eingelassen? Diese Frau scheint wirklich von ihren Fähigkeiten überzeugt zu sein, wohingegen Iris mehr denn je davon überzeugt ist, dass es bei ihr wohl nicht ganz richtig tickt. Ihr Besuch war anscheinend verlorene Zeit. Sie beschließt, dem Gespräch ein Ende zu machen, bedankt sich höflich für das überaus freundliche Angebot, lässt ihre Karte zurück und ist froh, als die Wohnungstür hinter ihr zufällt.
Bei den zwei anderen Wohnungen hat sie ebenfalls keinen Erfolg. Es scheinen auffallend wenige Bewohner zu Hause zu sein oder man hat kein Interesse, Besuch zu empfangen. Auf der Treppe zum nächsten Stock bemerkt sie ein leises Zischen und schaut sich irritiert um. Nichts, was für das Geräusch verantwortlich sein könnte. Ihr Blick fällt auf den weiß lackierten, geschlossenen Schacht in der Mitte des Treppenhauses, dem sie bisher keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Sie legt die Hand daran. Kein Zweifel, da ist ein leichtes Vibrieren. Was könnte das sein? Ein Versorgungsschacht vielleicht? Aber für was? Merkwürdig, notiert sie im Geist, das muss ich Thomas erzählen.
Im dritten Stock öffnet ein alter Mann, unsicher auf seinen Stock gestützt. Ein riesiger Hund drängt sich an ihm vorbei und knurrt Iris warnend an, woraufhin diese sofort respektvoll einen Schritt zurück tritt. Es dauert eine Weile, bis der Mann ihr Anliegen verstanden hat, denn mit seinem Hörgerät kommt er nicht zurecht. Es pfeife. und sei schon ein paar Mal neu eingestellt worden, ohne jeden Erfolg. Es müsse halt ohne gehen. Nein, er habe nichts bemerkt, das weiterhelfen könnte. Das Schlafzimmer gehe zwar nach hinten, aber trotz seines schlechten Gehörs müsse er Ohrstöpsel nehmen, weil seine Frau so schnarche. Die sei einkaufen, jetzt wo der Ansturm auf die Geschäfte vorbei sei, aber mitbekommen von dem Mord habe sie bestimmt nichts, sonst wüsste es schon die ganze Nachbarschaft.
In den beiden anderen Wohnungen rührt sich wiederum nichts. Das scheint eine magere Ausbeute zu geben und bedeutet einen weiteren Besuch am nächsten Tag. Im vierten Stock wird die Tür von einer hübschen Frau um die vierzig geöffnet, die ihr Kopftuch zurechtzieht. Kinderlachen dringt aus der Wohnung und gleich darauf erscheint ein Mädchen neben ihrer Mutter.
»Frau Yilderim«, Iris hat vorher das Türschild mühsam entziffert, »ich bin von der Polizei.« Sie streckt ihr den Ausweis entgegen. »Es geht um den Vorfall in Ihrem Hof. Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«
»Fragen Sie lieber mich.« Die Kleine drängt sich in den Vordergrund. »Mama spricht nicht so gut Deutsch. Ich kann ihr aber übersetzen.«
Die Frau nickt. »Samira, meine Tochter.«
»Samira, das ist aber schön, dich zu treffen, und das«, sie deutet auf das andere Mädchen, welches gerade hinzukommt, »ist bestimmt Yasmin.«
»Woher wissen Sie das?« Ein erstaunter, aber auch vorsichtiger Blick gleitet über die Polizistin.
»Keine Zauberei. Ich kann nicht wahrsagen. Aisha hat mir von euch erzählt. Bei der war ich nämlich schon.«
Samira kichert. »Und Sie waren auch bei Charly.«
»Charly, wer ist das denn?«
»Na Charlotte und Inge, wir sagen Charly zu ihr. Sie macht uns manchmal einen Tee. Sie ist sehr nett. Und sie weiß eine Menge.«
»Was denn zum Beispiel?«
»Zum Beispiel, wer mein Fahrrad geklaut hat. Nicht den Namen, aber wie er aussieht. Und dann habe ich ihn auf der Straße wiedererkannt. Ich bin ihm nachgegangen und als er sich in ein Café setzte, hab’ ich einen Polizisten angesprochen. Die gehen hier rum.«
»Und?«
»Er hat gefragt, ob ich sicher wäre und da hab’ ich ja gesagt, weil Charly ihn ja genau beschrieben hat. Aber er hat gesagt, da kann man nichts machen, wenn ich ihn nicht selbst gesehen hätte. Und dann noch, ich soll nicht einfach jemanden verdächtigen, nur weil eine Spinnerin mir diese Idee in den Kopf gesetzt hätte. Aber Charly ist keine Spinnerin. Sie hat auch gesagt, dass Papa wieder zurückkommen würde und dann war er auch wieder da. Mama hat viel geweint in dieser Zeit, aber jetzt ist alles wieder gut.«
»Und wo ist dein Papa jetzt?«
»Noch bei der Arbeit, aber er muss bald kommen.«
»Aisha wartet auch auf ihre Mama.«
»Ja, die kommt auch ungefähr um diese Zeit. Manchmal etwas früher, manchmal etwas später, je nachdem, wie viele da sind.«
Das ist die Chance, Näheres zu erfahren. »Was macht sie eigentlich genau?«
»Hat Aisha Ihnen das nicht erzählt? Sie hat eine Schule für Bauchtanz. Sie kann das nämlich ganz toll. Hat sie von unserer Oma gelernt. Mama auch, aber sie darf das nicht machen. Papa sagt, was er verdient, reicht für uns.«
Na, die Lösung des Rätsels ist ja doch ziemlich unspektakulär, darauf hätte sie auch selbst kommen können. Zwar ist ihre Neugier befriedigt, aber zur Lösung des Falles hat dieses Gespräch nichts beigetragen und auch die weitere Befragung ergibt keine neuen Erkenntnisse. Es ist wohl am besten, ins Präsidium zurückzukehren und ein Protokoll anzufertigen, solange noch alles frisch und präsent ist.
Auf dem Weg zu ihrem Wagen, der gleich um die Ecke geparkt ist, kommt Iris ein junger Mann entgegen, breit grinsend, mit wiegenden Hüften und berührt leicht ihre Schulter. Automatisch zieht sie die Tasche eng an sich. Nordafrikaner, ist sie sich sicher. Antänzer. Entweder will er Geld oder Handy oder beides. Er will anscheinend beides, denn als er merkt, dass sie sich nicht irritieren lässt, geht er sofort aufs Ganze und versucht, die Tasche an sich zu reißen. Offenbar erwartet er keinen Widerstand von einer kleinen, zierlichen Person. So nicht mein Lieber, denkt Iris, diesmal hast du dich verrechnet. Sie packt seinen Arm, zieht ihn zu sich und bringt ihn mit einem Schulterschwung mühelos zu Boden. Dort dreht sie den Arm auf den Rücken, kniet sich auf ihn und ruft Verstärkung. Mittlerweile sind Passanten stehengeblieben, ohne Anstalten zu machen, ihr zu helfen, obwohl sie ihre Marke gezogen hat. Im Gegenteil, drei weitere junge Männer, offenbar Freunde des am Boden Liegenden, überqueren die Straße mit drohendem Gesichtsausdruck. Die Sache wird mulmig. Ohne lange zu überlegen zieht Iris die Waffe und richtet sie auf die Näherkommenden. »Sofort stehenbleiben! Polizei. Ich ziele auf die Beine. Sollten Sie sich bewegen, kann ich für nichts garantieren.«
Niemand regt sich. Die Szene ist wie festgefroren. Wahrscheinlich vergeht keine Minute, aber Iris kommt es wie eine Ewigkeit vor, bis sie das Martinshorn und gleich darauf hastige Schritte hört. Zwei Kollegen der Streife sind eingetroffen und nur kurze Zeit später hält auch ein Mannschaftswagen der Polizei.
Iris ist froh, dass die Sache so glimpflich verlaufen ist, macht sich aber keine Illusionen über den Ausgang der Sache. Ein paar Stunden später werden alle wieder auf freiem Fuß sein und ihren Geschäften nachgehen. Das ist gang und gäbe, treibt viele der Kollegen, die im Bahnhofsviertel Dienst tun, zur Verzweiflung. Dealer, vor allem aus Nordafrika und zu einem hohen Prozentsatz Asylbewerber, verkaufen in aller Öffentlichkeit ihre Drogen, begehen Taschendiebstähle, Körperverletzungen, werden festgenommen und stehen wenig später wieder am gleichen Platz. Das Misstrauen der Ordnungshüter gegenüber der Justiz nimmt immer größere Ausmaße an. Die einen fühlen sich alleingelassen, die anderen sind chronisch überlastet durch Stellenabbau und immer mehr Bürokratie, sehen zudem oft keine gesetzliche Handhabe, strenger vorzugehen. Da braut sich einiges