Wildfell Hall. Anne Bronte
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»Jetzt,« dachte ich, könnte ich, falls ich Bleistift und ein Stück Papier hätte, eine schönere Skizze, als die ihre, machen, vorausgesetzt, daß ich die Fähigkeit besäße, das, was sich vor mir befindet, treu nachzubilden.«
Obgleich mir aber diese Genugthuung versagt blieb, war ich doch sehr zufrieden, neben ihr sitzen zu können, ohne etwas zu sagen.
»Sind Sie noch da. Mr. Markham?« sagte sie endlich, sich nach mir umsehend — denn ich saß etwas hinter ihr auf einem bemoosten Vorsprunge der Klippe. — »Warum gehen Sie nicht und unterhalten sich mit Ihren Freunden?«
»Weil ich ihrer müde bin, wie Sie, und sie morgen oder jederzeit noch genug sehen kann, während ich vielleicht, wer weiß wie lange, nicht wieder das Vergnügen, Sie zu sehen, haben werde.«
»Was that Arthur, als Sie fortgingen?«
»Er war bei Miß Milward, wo Sie ihn .gelassen hatten — in der besten Verfassung, hoffte aber, daß die Mama nicht lange ausbleiben werde. Sie haben mir ihn, beiläufig erwähnt, auch nicht anvertraut,« brummte ich, »obgleich ich die Ehre einer viel längeren Bekanntschaft hatte; aber Miß Milward versteht die Kunst, Kinder in Ruhe zu halten und zu belustigen,« fügte ich nachlässig hinzu, »wenn sie auch sonst zu nichts taugt.«
»Miß Milward hat viele schätzbare Eigenschaften, die Leute, wie Sie, nicht wahrnehmen oder beurtheilen können. Wollen S« Arthur sagen, daß ich in wenigen Minuten kommen werde?«
»Wenn das ist, so will ich, mit Ihrer Erlaubniß warten, bis diese wenigen Minuten vorüber sind, und dann kann ich Ihnen beim Herabsteigen dieses beschwerlichen Weges beistehen.«
»Ich danke Ihnen — bei dergleichen Anlässen komme ich ohne Beistand stets am Besten zurecht.«
»Aber ich kann wenigstens Stuhl und Skizzenbuch tragen.«
Diese Gunst schlug sie mir nicht ab; ich fühlte mich aber von ihrem offenbaren Wunsche, mich loszuwerden, etwas gekränkt und fing schon an, meine Hartnäckigkeit zu bereuen, als sie mich dadurch wieder ein wenig beschwichtigte, daß sie meinen Geschmack und mein Urtheil über einen zweifelhaften Punkt in ihrer Zeichnung zu Rathe zog. Meine Ansicht wurde glücklicher Weise von ihr gebilligt und die von mir vorgeschlagene Verbesserung ohne Anstand angenommen.
»Ich habe oft vergeblich gewünscht, sagte sie, »an das Urtheil eines Andern appellieren zu können, wenn ich kaum meinem Auge und Kopfe vertrauen konnte, nachdem diese so lange von der Betrachtung eines einzigen Gegenstandes in Anspruch genommen worden waren, daß sie fast unfähig wurden, sich eine gehörige Idee darüber zu machen.«
»Damit antwortete ich, »ist nur eins von den vielen Uebeln, denen uns ein einsiedlerisches Leben aussetzt.«
»Seht wahr,« antwortete sie, und wir versanken wie der in unser früheres Schweigen.
Etwa zwei Minuten später erklärte sie ihre Skizze für fertig, und machte das Buch zu.
Als wir zu der Stelle, wo das Mahl gehalten worden war, zurückkehrten, fanden wir sie von der ganzen Gesellschaft, mit Ausnahme Mary Milwards, Richard Wilsons und Arthur Grahams, verlassen. Der junge Herr lag, mit in dem Schooße der Dame ruhendem Kopfe, in tiefem Schlafe da, und der Andere saß, mit einer Taschenausgabe eines griechischen Autors in der Hand, neben ihr. Er ging nie ohne einen solchen Begleiter zur Ausfüllung seiner freien Augenblicke aus: alle Zeit, die nicht dem Studium, oder von seinem Körper zur Lebenserhaltung gebieterisch gefordert wurde, erschien ihm als verloren. Selbst jetzt konnte er sich nicht dem Genusse der reinen Luft und des glänzenden Sonnenscheins, der herrlichen Aussicht und der Musik der Wellen und des leisen Windes in den schützenden Bäumen über ihm hingeben — selbst nicht mit einer Dame neben ihm (allerdings keiner sehr reizenden, wie ich gestehen muß) — ohne sein Buch herauszuziehen und seine Zeit so gut als möglich zu benutzen, während er sein mäßiges Mahl verdaute und seine, nicht an viele Bewegung gewöhnten, milden Glieder ausruhen ließ.
Vielleicht darbte er sich jedoch von Zeit zu Zeit einen Augenblick ab, um mit seiner Gefährtin ein Wort oder einen Blick auszutauschen — auf alle Fälle schien sie sein Betragen keineswegs übel zu nehmen, denn ihre häßlichen Züge trugen einen Ausdruck ungewöhnlicher Zufriedenheit und Heiterkeit, und sie studiere, als wir ankamen, sein blasses, gedankenvolles Gesicht mit vieler Behaglichkeit.
Der Heimweg war mir keineswegs so angenehm, wie der erste Theil des Tages, denn jetzt befand sich Mrs. Graham im Wagen und Elise Milward war meine Begleiterin auf dem Wege. Sie hatte den Vorzug, welchen ich der jungen Witwe gegeben, bemerkt und fühlte sich offenbar hintenangesetzt. Sie gab ihren Kummer nicht durch spitzige Vorwürfe, bittere Sarkasmens oder schmollendes, mürrisches Schweigen kund, — denn alles dies hätte ich leicht hinweglachen können, sondern sie zeigte denselben durch einen milden, vorwurfsvollen Trübsinn, der mir in’s Herz schnitt. Ich versuchte, sie zu erheitern, was mir auch, ehe wir nach Hause kamen, einigermaßen gelungen zu sein schien; indem ich es aber that, machte mir mein Gewissen Vorwürfe, da ich wußte, daß das Band seither oder später zerrissen werden müsse, und ich dadurch nur täuschende Hoffnungen nährte und den schlimmen Tag hinausschob.
Als der Ponywagen Wildfell Hall so nahe gekommen war, als es die Straße gestattete — wenn sie nicht den langen, rauhen Heckenweg hinaufging, was Mrs. Graham nicht gestatten wollte, stiegen die junge Witwe und ihr Sohn ab, und überließen Rosen den Kutschersitz, während ich Elisen überreden, den Jener einzunehmen. Nachdem ich sie bequem hineingepackt, sie gebeten, sich vor der Abendluft in Acht zu nehmen und ihr eine freundliche gute Nacht gewünscht hatte, fühlte ich mich bedeutend erleichtert, und eilte, der Mrs. Graham meine Dienste anzubieten, um ihren Zeichnenapparat hinaufzutragen; — sie hatte jedoch bereits ihren Feldstuhl an den Arm gehangen und ihr Skizzenbuch in die Hand genommen und bestand darauf, mir mit der übrigen Gesellschaft Adieu zu sagen. Diesmal lehnte sie aber meine angebotenen Hilfeleistungen so gütig und freundlich ab, daß ich ihr fast verzieh.
Achtes Kapitel.
Das Geschenk.
Sechs Wochen waren vorübergezogen. Es war ein herrlicher Morgen gegen das Ende des Juni. Der größte Theil des Heu’s war gehauen; die letzte Woche war jedoch sehr ungünstig für die Ernte gewesen und jetzt, wo das schöne Wetter sich endlich einstellte, hatte ich, entschlossen, dasselbe auf’s Beste zu benutzen, alle Arbeiter auf der Wiese versammelt und arbeitete mitten unter ihnen in Hemdsärmeln, mit einem leichten, schattigen Strohhute auf dem Kopfe, raffte Arme voll feuchten, dampfenden Grases auf, schüttelte es, an der Spitze einer ansehnlichen Reihe von Dienstboten und Miethlingen, in alle vier Winde und gedachte so vom Morgen bis zur Nacht, mit ebensoviel Eifer und Fleiß, als ich von irgend einem unter demselben er warten konnte, zu arbeiten, theils um die Arbeit durch meine Anstrengungen zu fördern, theils aber auch die Arbeiter durch mein Beispiel anzufeuern — als plötzlich alle meine guten Entschlüsse durch den einfachen Umstand vernichtet wurden, daß mein Bruder zu mir heranlief, und ein kleines, soeben von London angekommenes Packet, welches ich seit einiger Zeit erwartet hatte, in meine Hand drückte. Ich riß die Umhüllung ab und es erschien eine elegante Taschenausgabe von Walter Scotts »Marmion.«
»Ich kann mir denken, für wen das ist,« sagte Fergus, der dabei stand und zuschaute, während ich den Band vergnügt von allen Seiten ansah. »Das ist sicher für Miß Elise.«
Dieß sprach er mit so ungemein schlauem Ton und Blicke, daß es mich freute, ihm widersprechen zu können.
»Fehlgeschossen, mein Söhnchen,« sagte ich, hob meinen Rock auf, steckte das Buch in eine seiner Taschen und zog ihn sodann an. »Nun komm