Der Nachsommer. Adalbert Stifter
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„So haben wir also für die kommende Nacht abgeschlossen, wie ich gleich gedacht habe“, sagte mein Begleiter. „Ihr werdet wohl bemerkt haben, daß Euer Ränzlein und Euer Wanderstock nicht mehr in dem Speisezimmer waren, als Ihr zum Essen dahin kamet.“
„Ich habe es wirklich bemerkt“, antwortete ich.
„Ich habe beides in Euer Zimmer bringen lassen“, sagte er, „weil ich schon vermutete, daß Ihr diese Nacht in unserm Hause zubringen würdet.“
Die Beherbergung
Nach einer Weile sagte mein Gastfreund: „Da Ihr nun meine Nachtherberge angenommen habt, so könnten wir von diesem Baume auch ein wenig in das Freie gehen, daß Ihr die Gegend besser kennen lernet. Wenn das Gewitter zum Ausbrache kommen sollte, so kennen wir wohl beide die Anzeichen genug, daß wir rechtzeitig umkehren, um ungefährdet das Haus zu erreichen.“
„So kann es geschehen“, sagte ich, und wir standen von dem Bänkchen auf.
Einige Schritte hinter dem Kirschbaume war der Garten durch eine starke Planke von der Umgebung getrennt. Als wir zu dieser Planke gekommen waren, zog mein Begleiter einen Schlüssel aus der Tasche, öffnete ein Pförtchen, wir traten hinaus, und er schloß hinter uns das Pförtchen wieder zu.
Hinter dem Garten fingen Felder an, auf denen die verschiedensten Getreide standen. Die Getreide, welche sonst wohl bei dem geringsten Luftzuge zu wanken beginnen mochten, standen ganz stille und pfeilgerecht empor, das feine Haar der Ähren, über welches unsere Augen streiften, war gleichsam in einem unbeweglichen goldgrünen Schimmer.
Zwischen dem Getreide lief ein Fußpfad durch. Derselbe war breit und ziemlich ausgetreten. Er ging den Hügel entlang, nicht steigend und nicht sinkend, so daß er immer auf dem höchsten Teile der Anhöhe blieb. Auf diesem Pfade gingen wir dahin.
Zu beiden Seiten des Weges stand glühroter Mohn in dem Getreide, und auch er regte die leichten Blätter nicht.
Es war überall ein Zirpen der Grillen; aber dieses war gleichsam eine andere Stille und erhöhte die Erwartung, die allerorten war. Durch die über den ganzen Himmel liegende Wolkendecke ging zuweilen ein tiefes Donnern, und ein blasser Blitz lüftete zeitweilig ihr Dunkel.
Mein Begleiter ging ruhig neben mir und strich manchmal sachte mit der Hand an den grünen Ähren des Getreides hin. Er hatte sein Netz von den weißen Haaren abgenommen, hatte es in die Tasche gesteckt und trug sein Haupt unbedeckt in der milden Luft.
Unser Weg führte uns zu einer Stelle, auf welcher kein Getreide stand. Es war ein ziemlich großer Platz, der nur mit sehr kurzem Grase bedeckt war. Auf diesem Platze befand sich wieder eine hölzerne Bank und eine mittelgroße Esche.
„Ich habe diesen Fleck freigelassen, wie ich ihn von meinen Vorfahren überkommen hatte“, sagte mein Begleiter, „obwohl er, wenn man ihn urbar machte und den Baum ausgrübe, in einer Reihe von Jahren eine nicht unbedeutende Menge von Getreide gäbe. Die Arbeiter halten hier ihre Mittagsruhe und verzehren hier ihr Mittagsmahl, wenn es ihnen auf das Feld nachgebracht wird. Ich habe die Bank machen lassen, weil ich auch gerne dasitze, wäre es auch nur, um den Schnittern zuzuschauen und die Feierlichkeit der Feldarbeiten zu betrachten. Alte Gewohnheiten haben etwas Beruhigendes, sei es auch nur das des Bestehenden und immer Gesehenen. Hier dürfte es aber mehr sein, weshalb die Stelle unbebaut blieb und der Baum auf derselben steht. Der Schatten dieser Esche ist wohl ein sparsamer, aber da er der einzige dieser Gegend ist, wird er gesucht, und die Leute, obwohl sie roh sind, achten gewiß auch auf die Aussicht, die man hier genießt. Setzt Euch nur zu mir nieder und betrachtet das Wenige, was uns heute der verschleierte Himmel gönnt.“
Wir setzten uns auf die Bank unter der Esche, so daß wir gegen Mittag schauten. Ich sah den Garten wie einen grünen Schoß schräg unter mir liegen.
An seinem Ende sah ich die weiße mitternächtliche Mauer des Hauses, und über der weißen Mauer das freundliche rote Dach. Von dem Gewächshause war nur das Dach und der Schornstein ersichtlich.
Weiterhin gegen Mittag war das Land und das Gebirge kaum zu erkennen wegen des blauen Wolkenschattens und des blauen Wolkenduftes. Gegen Morgen stand der weiße Turm von Rohrberg, und gegen Abend war Getreide an Getreide, zuerst auf unserm Hügel, dann jenseits desselben auf dem nächsten Hügel, und so fort, soweit die Hügel sichtbar waren. Dazwischen zeigten sich weiße Meierhöfe und andere einzelne Häuser oder Gruppen von Häusern. Nach der Sitte des Landes gingen Zeilen von Obstbäumen zwischen den Getreidefeldern dahin, und in der Nähe von Häusern oder Dörfern standen diese Bäume dichter, gleichsam wie in Wäldchen beisammen. Ich fragte meinen Nachbar teils nach den Häusern, teils nach den Besitzern der Felder.
„Die Felder von dem Kirschbaume gegen Sonnenuntergang hin bis zu der ersten Zeile von Obstbäumen sind unser“, sagte mein Begleiter. „Die wir von dem Kirschbaum bis hieher durchwandert haben, gehören auch uns. Sie gehen noch bis zu jenen langen Gebäuden, die Ihr da unten seht, welche unsere Wirtschaftsgebäude sind. Gegen Mitternacht erstrecken sie sich, wenn Ihr umsehen wollt, bis zu jenen Wiesen mit den Erlenbüschen. Die Wiesen gehören auch uns und machen dort die Grenze unserer Besitzungen. Im Mittag gehören die Felder uns bis zur Einfriedigung von Weißdorn, wo Ihr die Straße verlassen habt. Ihr könnt also sehen, daß ein nicht ganz geringer Teil dieses Hügels von unserm Eigentume bedeckt ist. Wir sind von diesem Eigentume umringt wie von einem Freunde, der nie wankt und nicht die Treue bricht,“
Mir fiel bei diesen Worten auf, daß er vom Eigentume immer die Ausdrücke uns und unser gebrauchte. Ich dachte, er werde etwa eine Gattin oder auch Kinder einbeziehen. Mir fiel der Knabe ein, den ich im Heraufgehen gesehen hatte, vielleicht ist dieser ein Sohn von ihm.
„Der Rest des Hügels ist an drei Meierhöfe verteilt“, schloß er seine Rede, welche unsere nächsten Nachbarn sind. Von den Niederungen an, die um den Hügel liegen und jenseits welcher das Land wieder aufsteigt, beginnen unsere entfernteren Nachbarn.“
„Es ist ein gesegnetes, ein von Gott beglücktes Land“, sagte ich.
„Ihr habt recht gesprochen“, erwiderte er, „Land und Halm ist eine Wohltat Gottes. Es ist unglaublich, und der Mensch bedenkt es kaum, welch ein unermeßlicher Wert in diesen Gräsern ist. Laßt sie einmal von unserem Erdteile verschwinden, und wir verschmachten, bei allem unserem sonstigen Reichtume vor Hunger. Wer weiß, ob die heißen Länder nicht so dünn bevölkert sind und das Wissen und die Kunst nicht so tragen wie die kälteren, weil sie kein Getreide haben. Wieviel selbst dieser kleine Hügel gibt, würdet Ihr kaum glauben. Ich habe mir einmal die Mühe genommen, die Fläche dieses Hügel, soweit sie Getreideland ist, zu messen, um auf der Grundlage der Erträgnisse unserer Felder und der Erträgnisfähigkeit der Felder der Nachbarn, die ich untersuchte, eine Wahrscheinlichkeitsrechnung zu machen, welche Getreidemenge im Durchschnitte jedes Jahr auf diesem Hügel wächst. Ihr würdet die Zahlen nicht glauben, und auch ich habe sie mir vorher nicht so groß vorgestellt. Wenn es Euch genehm ist, werde ich Euch die Arbeit in unserem Hause zeigen. Ich dachte mir damals, das Getreide gehöre auch zu jenen unscheinbaren, nachhaltigen Dingen dieses Lebens wie die Luft. Wir reden von dem Getreide und von der Luft nicht weiter, weil von beiden so viel vorhanden ist und uns beide überall umgeben. Die ruhige Verbrauchung und Erzeugung zieht eine unermeßliche Kette durch die Menschheit in den Jahrhunderten und Jahrtausenden. Überall, wo Völker mit bestimmten geschichtlichen Zeichnungen auftreten und vernünftige Staatseinrichtüngen haben, finden wir sie schon zugleich mit dem Getreide, und wo der Hirte in lockreren Gesellschaftsbanden, aber vereint mit seiner Herde lebt, da sind es zwar nicht die Getreide, die ihn nähren, aber doch ihre geringeren Verwandten, die Gräser,