Der Nachsommer. Adalbert Stifter

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Der Nachsommer - Adalbert Stifter

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zu behandeln sind, wie Blumen, Schmetterlinge, selbst manche Vögel.

      Eine besondere Tatsache aber fiel mir bei Betrachtung dieser Zeichnungen auf.

      Bei den Bauverzierungen, welche von Gegenständen der Natur genommen waren, von Pflanzen oder selbst von Tieren, kamen bedeutende Fehler vor, ja es kamen sogar Unmöglichkeiten vor, die kaum ein Anfänger macht, sobald er nur die Pflanze gut betrachtet. Bei den ganz gleichen Verzierungen an andern Bauwerken, in andern Zeichnungen, waren diese Fehler nicht da, sondern die Verzierungen waren in Hinsicht ihrer Urbilder in der Natur mit Richtigkeit angegeben. Ich hatte, da ich einmal zeichnete, öfter die Bilder meines Vaters betrachtet und in ihnen, selbst in solchen, die er für sehr gut hielt, ähnliche Fehler gefunden. Da die Bilder meines Vaters aus alter Zeit waren, diese Zeichnungen aber auch alte Bauwerke darstellten, so schloß ich, daß sie vielleicht Abrisse von wirklichen Bauten seien, und daß die Fehler in den Zieraten der Zeichnungen Fehler in den wirklichen Zieraten der Bauarten seien, und daß die Zieraten, deren Zeichnungen fehlerlos waren, auch an den Bauwerken keinen Fehler gehabt haben. Es gewannen durch diesen Umstand die Zeichnungen in meinen Augen noch mehr, da er gerade ihre große Treue bewies.

      Auch ein eigentümlicher Gedanke kam mir bei der Betrachtung dieser Zeichnungen in das Haupt, Ich hatte nie so viele Zeichnungen von Bauwerken beisammen gesehen, so wie ich Bauwerke selber nicht zum Gegenstande meiner Aufmerksamkeit gemacht hatte. Da ich nun alle diese Laubwerke, diese Ranken, diese Zacken, diese Schwingungen, diese Schnecken in großer Abfolge sah, erschienen sie mir gewissermaßen wie Naturdinge, etwa wie eine Pflanzenwelt mit ihren zugehörigen Tieren. Ich dachte, man könnte sie ebenso zu einem Gegenstande der Betrachtung und der Forschung machen wie die wirklichen Pflanzen und andere Hervorbringungen der Erde, wenn sie hier auch nur eine steinerne Welt sind. Ich hatte das nie recht beachtet, wenn ich auch hin und wieder an einer Kirche oder an einem anderen Gebäude einen steinernen Stengel oder eine Rose oder eine Distelspitze oder einen Säulenschaft oder die Vergitterung einer Tür ansah. Ich nahm mir vor, diese Gegenstände nun genauer zu beobachten.

      „Diese Zeichnungen sind lauter Abbildungen von wirklichen Bauwerken, die in unserem Lande vorhanden sind“, sagte mein Begleiter. „Wir haben sie nach und nach zusammengebracht. Kein einziges Bauwerk unseres Landes, welches entweder, im Ganzen schön ist, oder an dem Teile schön sind, fehlt. Es ist nämlich auch hier im Lande wie überall vorgekommen, daß man zu den Teilen alter Kirchen oder anderer Werke, die nicht fertig geworden sind, neue Zubaue in ganz anderer Art gemacht hat, so daß Bauwerke entstanden, die in verschiedenen Stilen ausgeführt und teils schön und teils häßlich sind. Die Landkirchen, die auf verschiedenen Stellen in unserer Zeit entstanden sind, haben wir nicht aufgenommen.“

      „Wer hat denn diese Zeichnungen verfertigt?“ fragte ich.

      „Der Zeichner steht vor Euch“, antwortete mein Begleiter, indem er auf den jungen Mann wies.

      Ich sah den Mann an, und es zeigte sich ein leichtes Erröten in seinem Angesichte.

      „Der Meister hat nach und nach die Teile des Landes besucht“, fuhr mein Gastfreund fort, „und hat die Baugegenstände gezeichnet, die ihm gefielen. Diese Zeichnungen hat er in seinem Buche nach Hause gebracht und sie dann auf einzelnen Blättern im reinen ausgeführt. Außer den Zeichnungen von Bauwerken haben wir auch die von inneren Ausstattungen derselben. Seid so gefällig und zeigt auch diese Mappe, Eustach.“

      Der junge Mann legte die Mappe, die wir eben betrachtet hatten, zusammen und tat sie in ihre Lade. Dann nahm er aus einer anderen Lade eine andere Mappe und legte sie mir mit den Worten vor: „Hier sind die kirchlichen Gegenstände.“

      Ich sah die Zeichnungen in der Mappe, die er mir geöffnet hatte, an, wie ich früher die der Bauwerke angesehen hatte. Es waren Zeichnungen von Altären, Chorstühlen, Kanzeln, Sakramentshäuschen, Taufsteinen, Chorbrüstungen, Sesseln, einzelnen Gestalten, gemalten Fenstern und anderen Gegenständen, die in Kirchen vorkommen. Sie waren wie die Zeichnungen der Baugegenstände entweder ganz in Schwarzstift ausgeführt oder teils in Schwarzstift, teils in Farben. Hatte ich mich schon früher in diese Gegenstände vertieft, so geschah es jetzt noch mehr. Sie waren noch mannigfaltiger und für die Augen anlockender als die Bauwerke. Ich betrachtete jedes Blatt einzeln, und manches nahm ich noch einmal vor, nachdem ich es schon hingelegt hatte. Als ich mit dieser Mappe fertig war, legte mir der Meister eine neue vor und sagte: „Hier sind die weltlichen Gegenstände,“

      Die Mappe enthielt Zeichnungen von sehr verschiedenen Geräten, die in Wohnungen, Burgen, Klöstern und dergleichen vorkommen, sie enthielt Abbildungen von Vertäflungen, von ganzen Zimmerdecken, Fenster- und Türeinfassungen, ja von eingelegten Fußböden. Bei den weltlichen Geräten war viel mehr mit Farben gearbeitet als bei den kirchlichen und bei den Bauten; denn die Wohngeräte haben sehr oft die Farbe als einen wesentlichen Gegenstand ihrer Erscheinung, besonders wenn sie in verschiedenfarbigen Hölzern eingelegt sind. Ich fand in dieser Sammlung von Zeichnungen Abbildungen von Gegenständen, die ich in der Wohnung meines Gastfreundes gesehen hatte. So war der Schreibschrein und der große Kleiderschrein vorhanden. Auch der Tisch, an dem noch in der Schreinerstube gearbeitet wurde, stand hier schon fertig vor uns auf dem Papiere. Ich bemerkte hiebei, daß nur die Platte klar und kräftig ausgeführt war, das Gerüste und die Füße minder, gleichsam schattenhaft behandelt wurden. Ich erkannte, daß man so das Neue, was zu Geräten hinzukommen mußte, bezeichnen wollte. Mir gefiel diese Art sehr gut.

      „Die Kirchengeräte unsers Landes dürften in dieser Sammlung ziemlich vollständig sein“, sagte mein Gastfreund, „wenigstens wird nichts Wesentliches fehlen. Bei den weltlichen kann man das weniger sagen, da man nicht wissen kann, was noch hie und da in dem Lande zerstreut ist.“

      Als ich diese Mappe auch angesehen hatte, sagte mein Begleiter: „Diese Zeichnungen sind Nachbildungen von lauter wirklichen, aus älterer Zeit auf uns gekommenen Gegenständen, wir haben aber auch Zeichnungen selbständig entworfen, die Geräte oder andere kleinere Gegenstände darstellen. Zeigt uns auch diese, Meister,“

      Der junge Mann legte die Mappe auf den Tisch.

      Sie war viel umfassender als jede der früheren und enthielt nicht bloß die vollständige Darstellung der ganzen Gegenstände, sondern auch ihre Quer- und Längenschnitte und ihre Grundrisse. Es waren Abbildungen von verschiedenen Geräten, dann von Verkleidungen, Fußböden, Zimmerdecken, Nischen, und endlich sogar von Baugegenständen, Treppenhäusern und Seitenkapellen. Man war mit großer Zweifelsucht und Gewissenhaftigkeit zu Werke gegangen; manche Zeichnung war vier-, ja fünfmal vorhanden und jedesmal verändert und verbessert. Die letzten waren stets mit Farben angegeben, und dies besonders deutlich, wenn die Gegenstände in Holz oder Marmor auszuführen wären. Ich fragte, ob einige dieser Dinge ausgeführt worden sind.

      „Freilich“, antwortete mein Begleiter, „wozu wären denn so viele Zeichnungen angefertigt worden? Alle Gegenstände, die Ihr öfter gezeichnet sahet und deren letzte Zeichnung in Farben angegeben ist, sind in Wirklichkeit ausgearbeitet worden. Diese Zeichnungen sind die Pläne und Vorlagen zu den neuen Geräten, auf deren Verfertigung, wie ich früher sagte, wir geraten sind. Wenn Ihr einmal in den Ort, von dem ich Euch gesagt habe, daß er mehrere enthält, kommen solltet, so würdet Ihr dort nicht nur viele von denen, die hier gezeichnet sind, sehen, sondern auch solche, die zusammengehören und ein Ganzes bilden.“

      „Wenn man diese Zeichnungen betrachtet“, sagte ich, „und wenn man die anderen betrachtet, welche ich früher gesehen habe, so kömmt man auf den

      Gedanken, daß die Bauwerke einer Zeit und die Geräte, welche in diesen Bauwerken sein sollten, eine Einheit bilden, die nicht zerrissen werden kann.“

      „Allerdings bilden sie eine“, erwiderte er, „die Geräte sind ja die Verwandten der Baukunst, etwa ihre Enkel oder Urenkel, und sind aus ihr hervorgegangen. Dieses ist so wahr, daß ja auch unsere heutigen Geräte zu unserer

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