Das letzte Gefecht - Tatsachenroman. Will Berthold
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»Die entnervenden Umstände, unter denen man auf französischer Seite handeln mußte, überforderten seinen schlichten Verstand«, urteilte Raymond Cartier. »Er weigerte sich, Darlan zu gehorchen, in dem er einen in die Politik verstrickten Militär sah, und vermochte hinter Pétains unwilligen Protesten gegen die Vergewaltigung Nordafrikas nicht dessen heimliche Zustimmung zu erkennen. Da er Befehl hatte, Tunesien den Achsenmächten zu öffnen, tat er es auch. Tunis wurde besetzt. Bizerta kapitulierte, und die deutsch-italienischen Streitkräfte hätten sich noch schneller des Landes bemächtigt, wenn nicht General Barré eine kleine Streitmacht aus Chausseurs d’Afrique und Mobilgarden zusammengestellt hätte, um mit ihr bei Medjez-el-Bab an der Straße nach Algerien Widerstand zu leisten.«
Inzwischen hatten deutsche Truppen die Grenze zum unbesetzten Frankreich überschritten und in den Kasernen die Vichy-Truppen entwaffnet. SS-Einheiten näherten sich dem Hafen von Toulon, wo die französische Kriegsflotte lag. Von Nordafrika aus gab Darlan den Befehl, die Schiffe zu versenken; er wurde befolgt.
Über den staubigen E-Hafen in Süditalien schallen Pfiffe. Alarm, der dritte schon in vier Tagen. So lange sind die Fallschirmjäger des Regiments 5 nicht aus der Sprungkombination, dem Knochensack, gekommen. So lange warten sie darauf, endlich das Nest, in dem sie sich aus Langeweile mit Marsala die Füße waschen, verlassen zu können.
»Ob es diesmal Ernst ist?« fragt Oberjäger Staller den jungen Leutnant Molitor.
»Was weiß ich«, knurrt der Offizier. »Lieber hol’ ich mir im heißen Afrika einen kalten Arsch, als daß ich mir hier noch länger Plattfüße in den Leib stehe –«
»Ich glaube, da unten ist nicht viel mehr zu erben«, unkt Oberjäger Stallerweise, »als Malaria, Heldentod oder Gefangenschaft.«
Leutnant Molitor tippt sich an die Stirn und klettert in die Maschine.
Ihre Schnauze steht nach Süden – nach Nordafrika, wo Nicole lebt. Aber an die Schwester will er nicht denken. Am besten ist es überhaupt, vor dem Einsatz abzuschalten.
Der gebürtige Straßburger wurde zwangsweise zur deutschen Wehrmacht eingezogen. Später meldete sich Peter Molitor freiwillig zu dieser Einheit. Wenn er schon Krieg spielen mußte, dann wollte er wenigstens bei einem interessanten Sauhaufen sein und nicht bei einem langweiligen Verein.
Deutsch ist Molitors Muttersprache, obwohl er in der Schule Französisch lernte. Sein Großvater hat im Siebziger Krieg gegen die Deutschen gekämpft, sein Vater im Ersten Weltkrieg für Kaiser Wilhelm. Sein Schwager ist im Kampf gegen Hitler gefallen, und er, der Beutedeutsche, trägt heute im Knochensack seine Haut zu Markte, ohne dabei zu überlegen, für wen.
Er klettert in den dicken Bauch der Ju, hängt den Karabinerhaken ein.
Daß da unten in Nordafrika die Hölle los ist, wissen die Grünen Teufel, trotz der optimistischen Sprachregelung der Wehrmachtsberichte, die die alliierte Landung wie einen Sieg feiern – dabei kam die »Operation Torch« zum denkbar ungelegensten Zeitpunkt: Alle deutschen Kriegsanstrengungen sind zwangsläufig auf Rußland fixiert. Was man jetzt an Truppen nach Afrika abgeben muß, wird der Ostfront abgehen.
Feldmarschall Kesselring, der Oberbefehlshaber Süd, erbittet und erhält Handlungsfreiheit für seine Gegenmaßnahmen. Als erste Einheiten landen Staffeln des Jagdgeschwaders 53, einer Stuka- und einer Transportgruppe, in Tunesien und nehmen überfallartig den Flugplatz Al Aqueila in Besitz. Bei der ersten Kompanie des Fallschirmjägerregiments 5, unter Hauptmann Sauer, die mit Ju 52 und »Giganten« eingeflogen werden, um Stadt und Hafen von Tunis zu sichern, ist auch der Zug des Leutnants Molitor.
Daß die Männer im Knochensack dazu nicht einmal einen Sprungeinsatz benötigen, verdanken sie dem französischen Generalresidenten von Tunesien: Admiral Estéva hat sich deutschem Druck gebeugt, bleibt Vichy treu und setzt den deutschen Truppen keinen Widerstand entgegen. Auch der Besuch des US-Vizekonsuls Miller und seiner charmanten Begleitung Nicole Lemaire kann daran nichts mehr ändern.
Melzer, Ribbentrops Mann, triumphiert und zeigt es deutlich. »Falls Sie etwas für Großdeutschland tun wollten, wären Sie zu spät nach Tunis gekommen, Madame«, tropft der Hohn von seinen Lippen. »Hier sind wir, und hier werden wir auch bleiben«, setzt er hinzu, »wenn’s sein muß, bis zum Jüngsten Tag.« Im ersten Moment merkt der Zyniker gar nicht, daß sich Vizekonsul Miller davonmacht. »Unsere Fallschirmjäger sind schon unterwegs«, behauptet Melzer. »Vielleicht ist Ihr Bruder unter ihnen, Madame, und es kommt bald zu einem glücklichen Familientreffen – und vielleicht wird Leutnant Molitor dann seinen Einfluß geltend machen, Sie zu einer besseren Deutschen zu erziehen.« Er wirft Nicole die Zigarettenkippe vor die Füße. »Sie verdanken es ausschließlich ihm, Madame, daß ich Sie jetzt nicht verhaften lasse!«
Melzer hat nicht übertrieben. Die ersten Fallschirmjäger sind auf dem Flughafen gelandet und schwärmen aus. Zunächst wirkt der Einsatz wie ein Stadtbummel. »Und wo sind die Ehrenjungfrauen?« fragt Oberjäger Staller. »Die Damen. Die Weiber. Die Mädchen. Die Nutten.«
»Da kannste lange warten«, entgegnet der Gefreite Holzmüller. »Die Hälfte seines Lebens wartet der Soldat vergebens.« Seine Mundecken wandern bis zu den Ohren. »Vor allem auf das schöne Geschlecht.«
Die Zivilbevölkerung ist nicht unfreundlich. Schuhputzer stürzen sich auf die Soldaten und polieren ihre Sprungstiefel vor den pittoresken Häusern mit den maurischen Fassaden auf Hochglanz. Laufend werden Verstärkungen angelandet: Die gesamte 5. Panzerarmee muß ebenso wie die italienische Division »Superga« nach Tunesien geworfen werden. Noch starten und landen pausenlos die 400 Jus, die man vom Osten nach Sizilien verlegt hat, aber bald werden sie wieder nach Stalingrad abgezogen, und die Anglo-Amerikaner stehen schon auf der Halbinsel Bône; ihr linker Flügel erreicht auf der Straße von Bizerta Mateur, und auf dem rechten Flügel stoßen die Invasoren bereits auf Djedeida vor. Nur die Feuerwehr kann sie noch aufhalten – und das sind die Fallschirmjäger im Sprungeinsatz.
Molitor und seine Männer lungern schon seit Stunden, Sturmgewehr bei Fuß, um die vollbetankten Jus herum. Die Planen werden weggerissen, die Motoren angeworfen. Viel ist es nicht, was man den Alliierten zunächst entgegenwerfen kann am II. November – eigentlich nur die beiden Fallschirmjägerbataillone und die Stabskompanie des Feldmarschalls.
»Der elfte Elfte – Karnevalsbeginn«, sagt Leutnant Molitor lachend.
»Alaaf!« brüllt Oberjäger Staller. »Auf zum fröhlichen Mummenschanz!«
Sie steigen über die Bodentreppe wie über eine Hühnerleiter des Schicksals. Einer hinter dem anderen. Sprungkombination. Fallschirm am Rücken.
Die Jus heben sich ächzend von der Piste, gewinnen an Höhe, nehmen Kurs: Wohin die Reise geht, weiß keiner, aber stets führt sie an einen Abgrund.
»Wenn ich zu langsam bin«, sagt Leutnant Molitor grinsend zum Absetzer, »dann befördere mich mit einem ordentlichen Tritt hinunter.«
»Vorläufig ist es noch nicht so weit«, brummelt der Mann am Luk. »Und Sie sind sonst eher zu schnell, Herr Leutnant.«
Aber die Soldaten, deren Metier es ist, vom Himmel zur Hölle zu stürzen, wissen auch so, daß sie kein Sprungbein auf die Erde bringen werden, wenn die langsamen Jus beim Anflug »Lightnings« oder »Mustangs« begegnen, aber der Anflugweg ist zum Glück kurz.
Über ihnen wölbt sich der Himmel wie ein blaues Zelt. Ab und zu sieht man einen deutschen Jäger des Geleitschutzes.
Scheint ein