Die Stadt ohne Juden. Hugo Bettauer

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Die Stadt ohne Juden - Hugo Bettauer

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Stadt ohne Juden

      Ein roman von

      Übermorgen

      Saga

      © 1922 Hugo Bettauer

      Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

      All rights reserved

      ISBN: 9788711487525

      1. Ebook-Auflage, 2016

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

      Erster teil.

      1. Kapitel.

      Das Antijudengesetz.

      Von der Universität bis zur Bellaria umlagerte das schöne, ruhige und vornehme Parlamentsgebäude eine einzige Menschenmauer. Ganz Wien schien sich an diesem Junitag um die zehnte Vormittagsstunde versammelt zu haben, um dort zu sein, wo sich ein historisches Ereignis von unabsehbarer Tragweite abspielen sollte. Bürger und Arbeiter, Damen und Frauen aus dem Volke, halbwüchsige Burschen und Greise, junge Mädchen, kleine Kinder, Kranke im Rollwagen, alles quoll durcheinander, schrie, politisierte und schwitzte. Und immer wieder fand sich ein Begeisterter, der plötzlich an den Kreis um ihn herum eine Ansprache hielt und immer wieder brauste der Ruf auf:

      „Hinaus mit den Juden!“

      Sonst pflegten bei ähnlichen Demonstrationen hier und dort Leute mit gebogener Nase oder besonders schwarzem Haar weidlich verprügelt zu werden; diesmal kam es zu keinem solchen Zwischenfall, denn Jüdisches war weit und breit nicht zu sehen, und zudem hatten die Kaffeehäuser und Bankgeschäfte am Franzens- und Schottenring, in weiser Erkenntnis aller Möglichkeiten, ihre Pforten geschlossen und die Rollbalken herabgezogen.

      Plötzlich zerriß ein einziges Aufbrüllen die Luft.

      „Hoch Doktor Karl Schwertfeger, hoch, hoch, hoch! Hoch der Befreier Österreichs!“

      Ein offenes Auto fuhr langsam mitten durch die Menschenmassen hindurch, die zurückdrängten und Bahn machten. Im Auto saß ein großer älterer Herr, dessen mächtiger Schädel mit willkürlichen Büscheln weißer Haare bedeckt war.

      Er nahm den grauen, weichen Schlapphut ab, nickte der jubelnden Menschenmenge zu und verzerrte das Gesicht zu einem Lächeln. Aber es war ein saures Lächeln, das von den zwei Falten, die von den Mundwinkeln abwärts liefen, gewissermaßen dementiert wurde. Und die tiefliegenden grauen Augen blickten eher finster als vergnügt drein.

      Lachende Mädchen drängten sich vor, schwangen sich auf das Trittbrett, die eine warf dem Gefeierten Blumen zu, eine andere war noch dreister, schlang ihren Arm um seinen Hals und küßte den Dr. Schwertfeger auf die Wange. Als ob der Chauffeur ahnte, wie seinem Herrn bei solchen Gefühlsausbrüchen zumute wurde, ließ er das Auto vorwärts springen, so daß die Mädchen mit jähem Ruck nach rückwärts fielen. Sie taten sich dabei nicht wehe, denn die Menschenmauer fing sie auf.

      Im Parlamentsgebäude herrschte nicht die laute Begeisterung der Straße, sondern fieberhafte Erregung, zu stark, um Ausdruck nach außen zu finden. Die Abgeordneten, die sich bis zum letzten Mann eingefunden hatten, die Minister, die Saaldiener gingen schweigend und unruhig umher, sogar die überfüllten Galerien verhielten sich lautlos.

      In der Journalistenloge, in der es sonst am ungeniertesten zuzugehen pflegte, wurde nur im Flüsterton gesprochen. Und eine bemerkenswerte räumliche Spaltung hatte sich eingestellt. Die kompakte jüdische Majorität der Berichterstatter drängte ihre Stühle zusammen, die Referenten der christlichsozialen und deutschnationalen Blätter bildeten ihrerseits eine Gruppe. Sonst mischten sich die jüdischen und christlichen Journalisten fröhlich durcheinander, im Berufskreis war man nicht Parteigänger, sondern nur der Herr Kollege, und da die jüdischen Journalisten gewöhnlich mehr Neuigkeiten wußten und sie besser verwerten konnten, standen die antisemitischen zu ihnen in einem starken Abhängigkeitsverhältnis. Heute aber flogen hämische Blicke von der christlichen Ecke in die jüdische, und als der kleine Karpeles von der „Weltpost“, der eben erst eingetreten war, den Dr. Wiesel von der „Wehr“ mit „Servus, Herr Kollege!“ begrüßte, wandte ihm dieser ohne Erwiderung den Rücken.

      Es drängten immer noch Journalisten herein, darunter Vertreter ausländischer Zeitungen, die heute in Wien angekommen waren.

      „Nicht rühren kann man sich,“ brummte der Herglotz vom christlichen „Tag“, worauf ihm ein Kollege mit kleinem, bärtigem Kopf und mächtigem Bierbauch erwiderte:

      „Na, ein paar Tage noch und wir werden hier Platz genug haben!“

      Hüsteln, Lächeln, Lachen auf der einen Seite, gegenseitige bedeutungsvolle Blicke auf der anderen.

      Ein junger blonder Herr mit roten Backen machte nach links und rechts eine leichte Verbeugung.

      „Holborn vom ‘London Telegraph’! Bin eben vor einer Stunde angekommen und kenne mich wahrhaftig nicht aus. Vorgestern kam ich aus Sidney nach halbjähriger Abwesenheit in London an, eine Stunde später saß ich wieder im Zug, um nach Wien zu fahren. Unser Managing-Editor, das Kamel, hat mir nichts gesagt, als: In Wien wird es jetzt lustig, da schmeißen sie die Juden hinaus! Fahren Sie hin und berichten Sie, daß das Kabel reißt! Also bitte, wäre sehr nett von Ihnen, wenn Sie mich rasch instruieren wollten.“

      Das alles war in so drolligem Englisch-Deutsch herausgekommen, daß sich die Spannung ein wenig löste. Minkus vom „Tagesboten“ bemächtigte sich, heftig gestikulierend, des englischen Kollegen und begann mit den Worten:

      „Also, ich werde Ihnen alles genau erklären —.“ Aber Dr. Wiesel ließ ihn nicht weitersprechen. „Sie verzeihen, aber diese Aufklärung wird besser von uns ausgehen.“

      Tonfall drohend, das „uns“ bedeutungsvoll unterstrichen.

      Und schon befand sich Holborn in der christlichen Ecke, wo Wiesel kurz und sachlich erklärte:

      „Was geschehen soll, werden Sie sofort aus dem Munde unseres Bundeskanzlers Doktor Karl Schwertfeger erfahren, der das Gesetz zur Ausweisung aller Nichtarier aus Österreich eingehend begründen wird. Die Vorgeschichte ist, kurz gesagt, folgende: Nach der sogenannten Sanierung, die zwei Jahre andauerte, gerieten die Finanzen Österreichs wieder in Unordnung. Als die österreichische Krone auf den Wert eines zweihundertstel Centimes herabgesunken war, begann das Chaos einzutreten. Ein Ministerium nach dem anderen mußte gehen, es entstanden Unruhen, täglich kam es zu Plünderungen der Geschäfte, zu Pogroms, die Wut und Verzweiflung der Bevölkerung kannte keine Grenzen mehr und schließlich mußte zu Neuwahlen geschritten werden. Die Sozialdemokraten traten ohne neues Programm in den Wahlkampf, die Christlichsozialen hingegen scharten sich um ihren geistvollen Führer Doktor Karl Schwertfeger, dessen Losungswort lautete: Hinaus mit den Juden aus Österreich! Nun, vielleicht ist es Ihnen bekannt,“ – Holborn nickte, obwohl er keine Ahnung hatte – „daß die Wahlen den völligen Zusammenbruch der Sozialdemokraten, Kommunisten und Liberalen brachten. Selbst die Arbeitermassen wählten unter der Parole ‚Hinaus mit den Juden‘!, und die sozialistische Partei, vordem relativ die stärkste, konnte knapp elf Mandate retten. Die Großdeutschen aber, die gut abschnitten, hatten sich ebenfalls auf das ‚Hinaus mit den Juden!‘ eingestellt.

      Nun, der Genialität des Doktor

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